Pirouetten auf dem Grabbeltisch

Ich weiss nicht, ob es in meinem Alltag >Bescheunigungszwaenge< gibt. Es gibt allerdings Zeitdruck und das in gleich doppelter Form. So muss ich zum einen am Programm des Verlages arbeiten, und fuer die Buecher, die neu erscheinen, werden weit im Voraus Erscheinungstermine festgesetzt, an diese sollte man – glaubt man als Verleger zumindest – sich auch halten. Die Messen sind ebenfalls Stichdaten. Nun kann man aber nicht an jedem Tag gleich gut lektorieren, nicht an jedem Tag in gleicher Weise geistig arbeiten. Da baut sich in Monaten wie diesem – drei Wochen vor der Buchmesse Frankfurt – schon ein ziemlicher Druck auf. Zugleich muss ich, um mir meine Verlagsarbeit leisten zu koennen, als Journalist arbeiten – denn der Verbrecher Verlag wirft noch keine nennenswerten Ertraege ab, obschon er sich gut entwickelt hat. Da kann es schon mal dazu kommen, dass man zehn bis zwoelf Stunden am Tag arbeitet, oder an jedem Tag des Wochenendes. Dann aber gibt es auch wieder Tage, da arbeitet man nur zwei bis drei Stunden.

Da man sich als Kleinverleger niemals darauf verlassen sollte, Kredit zu bekommen oder Maezene zu finden, muss man das Geld, das man fuer Autorinnen und Autoren, neue Buecher, verbesserte Vertriebsstruktur etc. ausgeben will, erst einmal selbst erwirtschaften. Und das einzige, was man investieren kann, ist die eigene Arbeitskraft. Wobei die Selbstausbeutung selbstverstaendlich im eigenen Unternehmen groesser ist, waehrend man es als Angestellter ja eher schaffen wuerde, zu sagen: das und das koennen auch andere erledigen. In Kleinverlagen gibt es nun mal keine anderen, die einem die Arbeit abnehmen koennen. Daher bin ich in unserem Verlag fuer das Programm, das Lektorat, das Korrektorat, einen Teil der Pressearbeit und fuer den Vertreib zustaendig. Und weitgehend auch fuer das Marketing.

Auf dem Buchmarkt gibt es in den letzten Jahren einen immer hoeheren Druck. Grosse Buchhandelsketten fressen kleinere Ketten und beherrschen immer deutlicher nicht nur den stationaeren Handel, sondern nehmen auch Einfluss auf die Verlagsprogramme. Die Verlage, die grossen wie die kleinen, koennen kaum noch Kosten einsparen, ausser im Lagerbereich [die Lektorate sind schon auf das Minimum zusammengeschrumpft]. Daher gibt es neuerdings so ein grosses Gerede von >Schnelldrehern<, also Titeln, die kaum im Lager liegen, sondern sich sehr rasch abverkaufen. Das Problem allerdings ist folgendes: die >Schnelldreher< lassen sich nicht wirklich planen. Viele als >Schnelldreher< angelegte Buecher verkaufen sich nicht im erwarteten Masse, zumal die neuen Buchhandelskonzerne nicht so konservativ sind wie es Buchhaendlerinnen und Buchhaendler frueher waren, heisst: Sie kaufen nicht mehr unbedingt, was die grossen, >serioesen< Verlage ihnen ans Herz legen, sondern, wenn es nur Gewinn verspricht, auch bei Kleinverlagen – vor allem, wenn Elke Heidenreich das Buch in die Kamera halten wird. Um also die Buecher trotzdem >schnell drehen< zu lassen, werden sie rasch unter Marktwert geramscht und bei >Jokers<, >Wohlthats< und anderen auf Wuehltischen verschleudert. Das Ergebnis dieses Prozesses ist allerdings: Die Kundinnen und Kunden glauben nun, der regulaere Buchpreis sei eigentlich zu hoch. Das ist insofern fatal, als dass die Buecherpreise in den vergangenen Jahren kaum gestiegen sind, die Papierpreise jedoch sehr. Buecher kosten in der Regel weniger als ein Abend im Kino oder im Restaurant. Auf diese Weise jedenfalls entsteht eine Discount-Mentalitaet auf Seiten der Kundschaft wie auf Seiten des Handels. Discount-Mentalitaet und die Musse, die es braucht, um ein Buch zu lesen und zu verstehen, gehen aber meines Erachtens nicht zusammen. Die Folge: Der Buchhandel und die Verlagslandschaft teilt sich in >Schnelldreher<-Produzenten und -Verkaeufer und in solche, die noch immer langsam und behaglich produzieren und verkaufen wollen. Letztere allerdings hegen dann wiederum oft den anstrengenden, sehr konservativen Gedanken, dass es >das gute Buch< gaebe, das keinesfalls ein Taschenbuch sein kann. Das ist selbstverstaendlich auch Quatsch. Aber >das Buch< ist eben nicht nur Produkt, sondern auch immer ein Kultgegenstand. >Kapitalistische Zeitwahrnehmung<, gibt es die? Haben wir Antikapitalisten [wenn wir denn welche sind] mehr Zeit? Und nicht noch weniger, da wir Revolutionsarbeit leisten muessen neben der Arbeit fuer Butter und Brot? Wie auch immer, die Buecher, die im Verbrecher Verlag produziert werden, sind gut, sie machen Spass, unterhalten intelligent oder rufen sogar dazu auf, sich politisch zu betaetigen. Manche dieser Buecher hat man in vier, fuenf Stunden gelesen, fuer andere braucht man laenger. Ob dabei eine Entschleunigung stattfindet, weiss ich nicht. Die meisten Buecher werden nicht im Laufen gelesen, denke ich, aber eine ansehnliche Anzahl in der Bahn. Ich glaube nicht, dass unsere Buecher die Leute aufhalten. Ich glaube, die Leute halten inne, und dann haben Sie Zeit, unsere und andere Buecher zu entdecken. Aber auch fuer Leserinnen und Leser gilt: Man muss sich selbst die Zeit nehmen, wenn man mehr begreifen will als das, was in einem Dietrich-Groenemeyer-Buch steht. Die Buecher, die man vielleicht sogar dringend braucht fuer ein intellektuelles Leben, draengen sich nicht auf.

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