Online-Medien in Russland: Pressefreiheit, Geschäftsmodelle und die Neugründung “Bumaga”


Kaum jemand traut den Medien in Russland. Eine aktuelle Antwort auf dieses Dilemma: das Online-Magazin “Bumaga” (englisch: Paperpaper), ins Leben gerufen von Kirill Artemenko. An dieser Stelle spricht der 21-Jährige Gründer über Pressefreiheit, Finanzierung von Internetzeitungen und Soziale Medien. Interview von Stefanie Michels.

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„Paperpaper“ ist ein sehr ungewöhnlicher Name für eine Onlinepublikation.
Vor der Wahl mussten wir die Seite sehr schnell zusammenbauen. Ironischerweise denkt der gesamte Medienbereich an die „Papierzeiten“ zurück. Wir sind Fans der Onlinezeitungen, denn wir konsumieren Online-Medien. Tendenziell lesen junge Leute keine Zeitungen, weil jeder ein iPad, iPhone oder andere mobile Geräte hat. Das ist die Zukunft und daran müssen wir uns orientieren.

Der Slogan eurer Webseite ist „Neue Medien vom alten Schlag“ – ist das eure Motivation?
Unser Ziel ist das Beste der alten Zeitungen in die neue Generation mitzunehmen. Es ist möglich mit den neuen Technologien und Möglichkeiten qualitativ hochwertigen Journalismus zu betreiben. Wir arbeiten wie die Journalisten vor 30 Jahren, nur schneller.

Ihr habt die neue Seite nach den Wahlen im Dezember 2011 und März 2012 ins Leben gerufen. Wie hast du diese Zeit mit den Augen eines jungen Journalisten erlebt?
Es war eine sehr wichtige Zeit für Russland. Es war eine idealistische Zeit, denn jeder wusste, dass man nicht wirklich etwas an den Wahlergebnissen ändern konnte, aber der aktive Teil der Gesellschaft wollte für etwas Neues kämpfen. Mit unserem ehemaligen Onlinemagazin iUni.ru waren wir mittendrin und haben über alle Treffen und Entwicklungen berichtet. Es war ein starker Versuch neue Medien zu machen und wir haben damals erkannt, dass eine Studentenzeitung nicht genug für uns ist.

Warum?
iUni.ru war eine Studentenzeitung. Das Problem bestand darin, dass wir versuchten nicht wie eine Studentenzeitung auszusehen, aber wir waren Studenten und unsere Leser ebenfalls. Wir wollten eine große Onlinezeitung etablieren, ohne die studentischen Themen.

Was willst du jetzt anders machen?
Ich möchte Geld mit meiner Arbeit verdienen und nicht nur Studenten als Leser ansprechen. Wir haben versucht etwas Neues in die Medienszene von St. Petersburg zu bringen, aber wir konnten unsere Ziele nicht ganz erreichen. Heute bin ich viel skeptischer als vor zwei Jahren, als ich mit iUni.ru angefangen habe. Damals dachte ich, ich machen diese Webseite und dann wird sie sehr bekannt. Heute weiß ich, dass die Wahrscheinlichkeit auf Misserfolg viel höher ist als die Wahrscheinlichkeit erfolgreich zu sein. Aber ich versuche es weiter.

Wie willst du mit paperpaper.ru Geld verdienen?
Es ist ehrlich gesagt kein guter Plan, denn die Medien sind kein sehr profitables Unternehmen. Andere Medien denken an Paywalls und Werbung, aber wir möchten ein Crowdfunding-Projekt. Wir stellen uns das als geschlossene Gemeinschaft vor, die ihre Journalisten finanziell unterstützt. Das ist mein Traum. Das Problem dabei ist: Ich weiß, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist. Die russische Leserschaft ist zu konservativ und misstraut Journalisten. In Russland trauen wir niemandem.

Ist das ein russisches Phänomen?
Aus meiner Erfahrung heraus scheint es so, dass professionelle Journalisten in Deutschland von der Gesellschaft mehr Respekt erhalten, weil Journalisten die Interessen der Bevölkerung vertreten. Ich war sehr beeindruckt von der Geschichte über den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff – und seiner Entlassung aufgrund der Erkenntnisse und Berichterstattung in den Medien. Das ist undenkbar in Russland.
Wir sprechen immer von fehlender Pressefreiheit, aber das stimmt nicht: wir können alles über Vereintes Russland oder über Korruption schreiben. Es interessiert niemanden. Man kann seine große Enthüllung veröffentlichen, sie wird drei Tage lang das Netz beherrschen, aber nach eine Woche kümmert sie keinen mehr.

Die Berichterstattung über der Wahl und die Demonstrationen vermitteln einen anderen Eindruck.
Das war eine Minderheit. In St. Petersburg leben 5 Millionen Menschen, aber nur 20.000 war bei den größten Demonstrationen dabei. Die Teilnehmer waren Leute, die genug Geld haben, ihre Freizeit bei einer Demonstration zu verbringen. Es waren Studenten der besten Universitäten, Geschäftsleute und Freiberufliche – Menschen der Oberschicht. Es war eine Revolution der Bourgeoisie.

Zwischen den beiden Wahlen waren Blogs und unabhängige Online-Medien sehr wichtig. Wie passt Paperpaper in dieses Bild hinein, was macht es einzigartig?
Wir wollen vor allem über Dinge schreiben, die in den großen Medien keinen Platz bekommen oder Geschichten aus dem Blickwinkel der neuen Generation präsentieren.

Ihr wollt die Leser über die Sozialen Medien involvieren. Warum?
Aus einem einfachen Grund: Datenverkehr. Der einfachste Weg Datenverkehr zu generieren ist auf allen Kanälen zu posten: Facebook, Twitter oder Surfingbird.ru, einer Webseite wo man nach dem Zufallsprinzip auf Seiten landet, die den eigenen Interessen entsprechen. Dort muss man nicht alles über PaperPaper wissen, aber man landet trotzdem bei uns.

Wie geht ihr mit Feedback eurer Leser um?
In den sozialen Netzwerken bin ich vor allem an kritischen Meinungen und Kommentaren interessiert. Wer sich die Zeit nimmt, einen Kommentar zu verfassen, der zeigt Interesse. Natürlich mag ich positives Feedback, aber wenn alles gut ist, dann müssen wir nichts verändern.

Ist es bei den russischen Medien übliche Soziale Medien einzubinden?
Es ist beliebter geworden aber bei den großen Journalisten immer noch nicht weit verbreitet. Auf den Webseiten der großen Zeitungen und Magazine antworten die Autoren nie auf Kommentare. Es gibt zwar eine paar Projekte im Bereich der Neuen Medien, aber sie sind alle Blogs. Es werden berühmte, gebildete Leute eingeladen einen Artikel zu schreiben ohne journalistischen Hintergrund.

Engagieren alle bei Paperpaper sich persönlich in den Sozialen Netzwerken?
Wir haben nicht genug Zeit, jeden Kommentar zu sichten, aber während iUni.ru lief, musste jeder neue Autor einen Twitter-Account in seinem Namen anlegen und auch darüber die eigenen Inhalte posten. Das war eine gute Methode, die Leser zu erreichen.

Paperpaper hat nach nur zwei Monaten schon 30.000 Leser im Monat.
Viele Leser von iUni.ru sind auch zu Paperpaper gekommen. Wir haben einige verloren. Wir dachten, wir könnten die gleiche Zeitung machen nur mit anderen Themen. Aber wir haben jetzt eine andere Art der Berichterstattung und sind seriöser, offizieller und erwachsener geworden. Wir haben aufgehört, mit dem großen Netzwerk von Studenten zusammenzuarbeiten, weil wir es selbst schaffen wollen. Ich habe zum Beispiel eine große Wissenslücke im Bereich Wirtschaft und bin mir nicht sicher, ob ich einen guten Manager abgeben würde. Ich weiß, wie man ein Netzwerk kreiert, wie man Nachrichten findet und veröffentlicht. Bei anderen Themen brauche ich bestimmt noch mehr Erfahrung.

Anm.d.Red.: Das Interview wurde von Anne Christin Mook aus dem Englischen übersetzt und ist im Rahmen des deutsch-russischen Medienprogramms des International Media Center Hamburg (IMCH) entstanden. Das Foto oben stammt von highseecruiser und steht unter einer Creative Commons Lizenz.

3 Kommentare zu “Online-Medien in Russland: Pressefreiheit, Geschäftsmodelle und die Neugründung “Bumaga”

  1. Russische Sicherheitsbehörden können alle Telefon- und Internetverbindungen abhören und speichern – ohne einen Gerichtsbeschluss zu zeigen und ohne dass Provider davon erfahren. Das berichtet Andrei Soldatow von Agentura.Ru auf Wired. Ähnliche Systeme werden auch in anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion eingesetzt – darunter Ukraine und Weißrussland.

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