Mein 2010 in Facebook-Statusmeldungen: “Ich fahre jetzt mal eben kurz zur Hölle”

Der Video-Regisseur und Berliner Gazette-Autor Joerg Offer hasst Jahresrückblicke. Durch einen Kniff konnten wir ihn doch dazu bewegen, einen zu verfassen. Als “Konrektor Paulmann” war er bis Ende 2010 auf Facebook unterwegs. Seine nicht immer jugendfreien Statusmeldungen finden sich hier nun als Social-Network-Prosa aufbereitet.

*Ich bin auch nicht mehr das, was ich mal war!
*Heute abend in der BVG: Bus hält beim roten Rathaus rechts an, der Fahrer sehr freundlich ins Mikro: “Vaehrte Fahrjäste! Ehne kurze Fraje…muß ick hia nu links abbiegen? Ick bin die Strecke noch nie jefahren. Weiß dit jemand zufällich?“

*Eine Farce von Grindwalschaum an einer Tarte von pochierten Ohrenkneiferbeinen.
*Zum Frühstück trinke ich warme, handgeschöpfte Blattgoldmilch aus den Schädeln meiner Feinde!
*Aus meiner Schnittwunde am Daumen starrt mich seit Stunden ein schillerndes Facettenauge an. Sollte ich ihm zuzwinkern?

*Reales Schlingensief-Szenario in Berlin Mitte: Zwei sehr smarte Mongoloide in Barockkostümen warten auf die U-Bahn!
*Tante Rita besucht mich in einer halben Stunde wieder: Auf eine lange Nacht mit ihr und vielen Buchstaben.
*Ich fahre jetzt mal eben kurz zur Hölle.

*Soll ich fleißig weiterschreiben? Oder mich schon am Nachmittag betrinken? Im Swingerclub den Hof fegen? Bitte um Vorschläge einer destruktiven Wochenendplanung!
*Ausschlafen ist absolut überbewertet!

*Meine Tränen bestehen aus gescheiterten Träumen und Schreien nach Liebe, in die Welt gebrüllt durch die Kehlen Millionen abgetriebener Föten, kristallisiert in den tuboloazinösen Endstücken meiner Glandula Lacrimalis, von taubstummen Mönchen mit ihren blutigen Zungenspitzen aufgefangen und in heilige Magma-Phiolen ejakuliert!

*Ich bin völlig überschätzt!
*Ich mag ganzjährige, nukleare Fall-Out Winter…
*Würde hier gerne meine wirklichen Berufe angeben: Sensationsdarsteller, lebende Kanonenkugel, Steilwandfahrer und Boxbudenschiessfigur!

*Schmunzelt sich schon den ganzen Tag die Unterlippe rissig.
*Ich bin brav von nun an, ich gelobe es, trinke nicht mehr, spreche keine fremden Frauen an und führe ein gottesfürchtiges Leben! Ich schwöre!
*Komisch, hier wachsen überall Palmen! Ist der ICE bis Kuba durchgerast?
*Sonntags in der Heimat: Hatte völlig verdrängt vom verstrahlten Bikiniatoll zu stammen!

*Jeden Tag ein Meisterwerk!
*Diese Tabletten sind echt erstaunlich!
*Wenigstens ist der Mann von der Hamburg-Mannheimer nun Bundespräsident. Haftpflicht für ganz Deutschland!
*Erhole mich heute mal von mir selbst…
*Der Tod mein Freund, das Leben meine Liebe!
*Hoppla hier komm ich!

*Ich werde jetzt auch ein postpatriarchalisches Blog eröffnen, mit genderpolitisch korrektem Vokabular für FrauInnen, ohne den gewalttätig-sexuellen Unterdrückungsterror bösartiger Testosteronmonstren, deren Penisverlängerung der phallische Stift ist!

*Nachdem ich mich gestern gegen meine Lebenserwartung, die guten Sitten und einige Teile des StGb versündigt habe, bleibe ich heute brav, friedlich und sanft wie ein Lämmlein.
*Sonntags bei 39 Grad lässt sich super nur in Unterhose am Laptop sitzen und arbeiten! Wenn nur nicht immer dieser Schweiß von den Ellenbogen auf die Tastatur tropfte..
*Schlimm auch, wenn selbst der Zivi der Bahnhofsmission auf dem Bahnsteig schon Selbstgespräche führt.

*Wünsche mir zur Ankunft eine Blaskapelle und ungarische Stripperinnen am Bahnhof!
*Ob die Eltern des Kindes, das seit Fahrtbeginn im ICE laut und ununterbrochen “Didadadidada“ schreit, wohl rasch über den Verlust hinwegkommen werden?
*Versuche heute einfach mal alles richtig zu machen.

*Komisch: Früh morgens scheint auch schon die Sonne…das ist doch Verschwendung!
*Begrüßung unter sehr alten FKKlern am Müggelsee: “Na, Kamerad der Westfront? Was macht die Kunst?“
*Soll ich fleißig weiterschreiben? Oder mich schon am Nachmittag betrinken? Im Swingerclub den Hof fegen? Bitte um Vorschläge einer destruktiven Wochenendplanung!

*Ich bin ein wahnsinniger Dangerfreak und Adrenalinjunkie: Fahre mit der S-Bahn nach Königswusterhausen!
*Das Angebot Hausmeister einer vietnamesischen Hundeschlachterei in Hohenschönhausen werden zu können, vergrößerte sein Ego vor der allwöchentlichen Haufrauenbukkake ungemein.

*Verkaufe grade Mund gemalte Zombiepostkarten in der U-Bahn. Läuft etwas schleppend an.
*Bin grade total fasziniert! Von mir selbst!
*Werde morgen die Welt des Baden-Württembergischen Imagefilms grundlegend revolutionieren!
*Wie aufregend: Karlsruhe!
*Heute Verlobung mit Josephine Mutzenbacher im Chambre Separee der Hölle!
*Apfelwein ist die Macht!

*Gerade am Landwehrkanal inmitten von nichtsnutzigen Studentenhorden gesonnt: “Mögen eure verschissenen, kleinen Projektträume im Darm des Teufels verrotten!“
*Warum inspirieren mich Nachmittage in schicken Strassencafes immer zu Hasstexten? Ist das der Ahmadinedschad in mir?

*Fahre im Steh-Zug nach Leipzig, alles voller Republikflüchtlinge, Pfui!
*Vor mir sitzt ein beamteter Vater in Elternteilzeit, mit randloser Brille, sanfter Stimme und wenig Bartwuchs! Lasse mir gleich seine Kaiserschnittnarbe zeigen!
*Suche Demenzpflegekraft! Habe soeben für die Rückfahrt exakt die gleiche Zeitschrift wie auf der Hinfahrt gekauft.
*Rauche erstmal Geraniendünger zum Frühstück!
*Stelle heute Nacht die Uhr um siebzig Jahre zurück!

*An einem grauen Sonntag wie diesem, kann man nur mit dem Hund kuscheln, Nachbarn in den neuen Keller locken und einmauern, oder alten Chinesen Opiumreste aus der Nase lutschen.
*Infomüll Nr.666: Nasalkarzinom! Andere würden es nur einen dreckigen, unnützen Stricher von Schnupfen nennen!

*Durch einen sehr aufwendigen und komplizierten optischen Trick, schaffe ich es auf Partyfotos stets wie ein Schnitzelbrötchen essender Fernfahrer, unmittelbar vor seinem kalten Kornentzug auszusehen.
*Eben zum ersten Mal “Bauer sucht Frau“ gesehen..muss rasch wieder Oswald Spengler lesen.
*Neuestes Hobby: Im Kommentarbereich großer Foren über Kindermorde mitdikutieren und derjenige sein, der virtuell stets den Strick hervorholt! Todesstrafenfantasien ausmalen und jeden Satz mit “armes Deutschland“ beginnen…

*Ist das eigentlich menschlich besonders schlimm, oder eher löblich, wenn man auf weinerliche Statusmeldungen von Freunden mit “Bring dich doch einfach um!“ antworten will?
*Mal sehen welches Abenteuer mich in der Bahn erwartet: “Frozen II -Die Rückkehr“ mit Kannibalismus im eingefrorenen Waggon und einem unheimlichen Serienkiller, der mittels Eiskratzer Mädchen auf Zugtoiletten häutet?

*Entschuldige mich hiermit bei den dreiundsechzig Autofahrern, die ich eben in eisig-glattem Straßenverkehr, der Homosexualität und diverser Behinderungen bezichtigte, nehme auch die Pisa Vorwürfe und das mit den weiblichen Geschlechtsteilen zurück!

*Mein Schlaf ist viel besser als euer Leben!

22 Kommentare zu “Mein 2010 in Facebook-Statusmeldungen: “Ich fahre jetzt mal eben kurz zur Hölle”

  1. Man müßte das Paulmännchen Offer mal wieder nach St. Lucia schicken – am besten für ein ganzes Jahr. Danach würde der gefacebookte Jahresalmanach sicher ganz anders aussehen. Hier und da vielleicht lieblicher und grüner, aber insgesamt noch viel elephantiger und außerirdischer!
    Schönen Gruß auch von Stephenson King!

  2. der mann ist ziemlich wahnsinnig,aber hst phantasie! frage mich auch wie facebook aus diesem profil und den statusmeldungen informationen für sich generieren will. im prinzip wohl auch eine strategie mit solchen datensammlern umzugehen. anarchie.

  3. Ratemyvomit.com? Hmmm, schade eine gute Idee im Grunde, aber da kam mir wohl jemand zuvor.
    Trotzdem allergrössten Dank für den Zuspruch und die hübschen Forensik-Blanko-Einweisungsformulare…

    St.Lucia? Sofort! Wann geht der Flieger? Habe da noch dieses “Burning Man” Konzept eines “Straight to DVD” B-Pictures für extrem karibisches Setting auf Lager…

  4. Anmassend, selbstherrlich, oberflächlich, selbstreflexiv, grauenhaft, liederlich…

  5. “Seine Fingernägel pflegte er mehr als seinen Verstand, den er einfach verwildern ließ” (Robert Walser, Geschwister Tanner)

  6. Konrektor Paulmann: Ein Lehrer, der sich der unglücklichen Person Student Anselmus annimmt und als guter Freund zur Seite steht. Durch seine Ausbildung ist Konrektor Paulmann sehr sachlich und ein Realist. Er glaubt nur das, was er mit beiden Augen gesehen hat. Für ihn existiert keinerlei Traumwelt oder etwas Übersinnliches. Er versucht immer Mysteriöses und
    Unerklärliches zu erklären. So zum Beispiel ist der Alkohol oder plötzliches Fieber in seinen Augen die Ursache für ein ungewöhnliches Ereignis. Aus diesen Gründen versucht
    er Student Anselmus zu „heilen“, da er denkt der Mann leide unter psychischen Problemen. Paulmann ist eher ein strenger Lehrer, der aber auch sehr gemütlich und gesellig sein kann. Ein trotz allem sympathischer Philister, welche der Autor eigentlich überhaupt nicht mag.

  7. gerade gelesen. fühle mich jetzt wie ein besserer Mensch, mit echten Problemen. danke!

  8. Gerade erst gelesen. Endlich mal kein Jahresrückblicksgejammer. Danke dafür!

  9. Ja klar – nach St. Lucia und ich muss wieder die Röcke nähen!!! Also mir ist da zu wenig Sex dabei…geht das nicht ein wenig brutaler und asozialer? Aber es ist ja schon Jahre her..heute fiel mir Silly Spider in die Hand…und mit Unmengen an Tränen der Rührung – dachte ich an die lauen Nächte am Fuße des Herkules mit einem rüttelnden Hansmännchen zur einen und dem drehenden Dr. Logatec an der anderen Seite…Vernünftiger geworden? Ganz sicher nicht! Herzliche Grüße aus der Hölle!!

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