Nur Gespenster

An Orten der documenta12 begegnen einem Vexierbilder und Trompe l’Oeils, Imitationen und unvermutet andersgleiche Wiederholungen. “Relax – It’s only a ghost! Der naechste Winterschlaf kommt bestimmt!” [Dirk von Lowtzow] Bilderserien und Bildstilistiken kehren wieder, unvorhergesehen, als musisch-literarische Motive, unvermutet die losen Ausstellungsstuecke in einen Zusammenhang singend. Es ist die Aesthetik – unvermuteter Gegenstand einer Kunstausstellung? -, die sich hier immer wieder selbst besingt.

Die Aesthetik, Ausgeburt europaeisch-christlich gepraegter Schriftkultur und spaeterer Kunstreligion, die so gerne eine im nahen Suedosten angrenzende Weltregion zum anders aesthetisierten, ach so exotischen >Orient< hochstilisiert hat - bis heute; ist es die gleiche Aesthetik, die umgekehrt von eben dieser Weltregion als wiederum Exotisches ganz neu und begeistert sich angeeignet wurde und wird in Form der Avantgarden einer ach so begehrenswerten >Westlichen Welt<. Was ist exotischer: ein Orient, den es so wohl nie gab - oder eine Avantgarde, die es in ihrer Idealisierung gleichfalls nie gab? Osteuropaeische Avantgarden spiegeln Tuschezeichnungen oder Kalligraphien aus Mitte des letzten Jahrtausends, in Verzierungen und Farbigkeiten, Avantgarden des Tanzes beruehren Hochzeitsschleier und Gartenteppiche. Diese Modernen sind insofern unsere Antike als wir sie betrachten koennen [wollen?] mit einem Historizismus der aehnlich exotistisch idealisiert oder aburteilt. Charlotte Posenenske ist wieder zu entdecken unter Rockenschaubschen Pop-Nobjekten, eine beeindruckende Arbeit von Olga Neuwirth in ungewohnter Kupferstichkemenate. Pandaemonien von Juan Davila, Hito Steyerls Erkundungen im Pop oder die naive Hintergruendigkeit von Peter Friedl, documenta-Abonnent.

Nach Nominierung war Buergel/Noack vorauseilend eine Theorieangst entgegengeschlagen; die sich dann fix neu ausrichten musste zur Aesthetizismus-Irritation – Welche Angstlust sucht hier einen Anlass? Wie schwer ist es, Offenheit der Suche sich zu bewahren? Pressekonferenzen, Magazin-Interviews, Portraitserien, die Audioguides stuetzten diesen Eindruck. Diese Dokumentation zeitgenoessisch wirkender Kunst [nach Arnold Bodes Re-Edukations-Vorhaben] ist leichter und schoenheitstrunkener als die Kunstmarktapotheose des Jan Hoet 1992, damals meine erste, theorieversessener ist sie als ’97 Catherine Davids und postkolonialer gesonnen als vor fuenf Jahren Okwui Enwezors Weltausstellung der Kunst.

In der Vorherrschaft von Zweidimensionalem zeigt sie sich medienkuenstlerischer und individualmythologischer als viele zuvor – und nicht zuletzt als ein zartes Ironieecho auf’s Beiprogramm der Bundesgartenschau 1955. Ihr gelingt alles in allem ein diskretes, zartes, oft wohltuend schwaches, ganz weiches Gespraech unter Formfindungen und Gegenstandssuchbewegungen. Ein Gespraech, das mich erricht. Mich hat der Besuch der Ausstellung anders geoeffnet.

Ich habe die documenta12 genossen [auf einem deutschen Nachrichtensender lag wenige Tage spaeter Tocotronics Imitationen als Muzak unter den Bildern der automatischen Wetter=Webcam: Imitationen von Dir / Verbuenden sich mit mir / Beruehren und begleiten mich / Sagen: >Es gibt kein wahres Ich< / Verspueren und bereuen nichts / Spucken den Leugnern ins Gesicht // Dein schlecht ist mein schlecht / Dein schlimm ist mein schlimm / Dein schlimm ist mein / GANZ SCHLIMM].

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