No more Mr. Niceguy

Ich bin Filmwissenschaftler und Redakteur, in dieser Funktion seit 2000 bei CineGraph, dem Hamburgischen Centrum fuer Filmforschung, bzw. beim Deutschen Filminstitut ­ DIF angestellt. Gemeinsam mit Rita Baukrowitz von der Kinemathek Hamburg habe ich die Filmreihe >Maple Movies ­ Filmland Kanada< ueber zwei Jahre hinweg vorbereitet, wobei ich fuer die inhaltliche Konzeption sowie die Auswahl der Filme verantwortlich war. Rita Baukrowitz wiederum hat mit unseren Partnern Telefilm Canada und der Botschaft von Kanada in Berlin die Tournee der Reihe koordiniert, die bereits im Filmkunsthaus Babylon gezeigt wurde, noch in Muenchen, Bruehl, Tuebingen, Nuernberg, Berlin zu sehen sein wird und momentan in der Schweiz laeuft. Fuer die Idee, dem kanadischen Kino eine Retrospektive zu widmen, war vor allem die Erfahrung entscheidend, dass viele Filme aus Kanada auf internationalen Festivals begeistert aufgenommen werden, aber nie nach Deutschland gelangen.

Vornehmliches Ziel war und ist es, mit den >Maple Movies< dem juengeren anglo- und frankophonen Film aus Kanada ein Forum zu bieten. Daher haben wir auch bewusst die Arbeiten etablierter FilmemacherInnen wie Denys Arcand, Patrizia Rozema, Atom Egoyan oder Bruce MacDonald ausgespart, da diese ja bereits ihr internationales Publikum gefunden haben. Die Auswahl eroeffnet somit neue Einblicke in die aeusserst vitale Filmproduktion Kanadas, wobei es natuerlich auch Ziel der Reihe ist, den kanadischen Film ueberhaupt erst als solchen anzuerkennen, denn gerade anglo-kanadische Filme werden aufgrund der Sprache und Schauplaetze oft als US-amerikanische Produktionen wahrgenommen - was kanadische Filmmacher haeufig zu Recht aergert. Denn inhaltlich und stilistisch unterscheiden sich Filme dieser Reihe deutlich vom Gros der US-Produktionen. Das kanadische Kino zeichnet sich vor allem durch einen Verzicht auf gaengige Erzaehlmuster aus. Was also die Hollywood-Formula oder >High-Concept<-Produktionen angeht, koennte Kanadas eigenstaendige Filmproduktion kaum entgegengesetzter sein. Das haengt natuerlich auch mit den kommerziellen Anspruechen zusammen: Viele kanadische Filme werden mit weitaus geringeren Budgets realisiert, wobei vor allem die staatlichen Foerderprogramme der Telefilm Canada, des National Film Board und der weiteren lokalen und nationalen Kulturinstitutionen die Infrastruktur fuer eine diverse Filmproduktion geschaffen haben. In und um die grossen kulturellen Zentren Montreal, Vancouver oder auch Toronto ist ein dezidiert kanadisches Kino entstanden, dass sich im Gegensatz zum gaengigen US-Kino traut, die Schwaechen seiner Figuren als Staerken zu begreifen, menschliche Probleme nicht als Makel zu sehen, und eine grundsaetzliche Sympathie fuer bruechige Biografien aufzubringen. Die Protagonisten im kanadischen Kino ueberwinden nicht alle Hindernisse; sie muessen vielmehr lernen, mit den inneren und aeusseren Widerspruechen zu leben. Diese in den Filmen immer wiederkehrenden Darstellungen von Zerrissenheit, von der Suche nach einem Platz in der Welt und die Sehnsucht nach einer ­ wenn auch fragilen ­ Identitaet, spiegeln zum Teil sicher auch die Geschichte der noch sehr jungen kanadischen Nation. Als ehemalige franzoesische und britische Kolonie hat das zweisprachige Einwandererland, dessen politisches Selbstverstaendnis jahrzehntelang von den Auseinandersetzungen zwischen Separatisten und Foederalisten bestimmt wurde, erst verhaeltnismaessig spaet mit der Entwicklung eines kanadischen Nationalbegriffs begonnen. Dabei spielte insbesondere das Kino eine entscheidende Rolle, wenn man etwa die grosse Zeit der politischen Filme aus Quebec in den spaeten 1960er und fruehen 1970er Jahren bedenkt. Aber auch die anglophonen Filme sind haeufig Beleg fuer eine ebenso kritische wie kreative Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft und mittlerweile ist auch ueber die nationale Sprachbarriere hinweg ein positives kulturelles Selbstbewusstsein Kanadas entstanden, das sich aber grundlegend vom aggressiven Patriotismus anderer Laender unterscheidet. Was jedoch nicht bedeutet, dass Kanada nicht unter vergleichbaren Problemen leidet wie andere grosse Industrienationen: Armut, Ungleichheit und Konflikte zwischen Bevoelkerungsgruppen, sei es nun der historische Konflikt zwischen Franko- und Anglo-Kanadiern ­ wobei hier das Bemuehen um Verstaendigung auch seinen Ausdruck in der kulturellen Produktion findet ­, zwischen politischen und sozialen Gruppierungen, zwischen Native Nations und den Nachkommen der Kolonialmaechte ­ all dies findet sich auch in Kanada. Dennoch wird Kanada vor allem im Ausland gerne als eine Art kuschelige Variante der USA stilisiert, als nordamerikanische Nation mit sozialem Gewissen und ohne Weltmachtansprueche. Man schaue sich nur Michael Moores >Bowling for Columbine< an, einen US-Film, der die Kanadier als friedfertige Gutmenschen instrumentalisiert. Das kanadische Kino, welches die >Maple Movies< im Ausschnitt praesentieren, zeigt hingegen die Selbstbespiegelung einer Kultur, die sich zumeist sehr differenziert mit ihren Errungenschaften und Defiziten auseinandersetzt. Eine Kritikfaehigkeit, die auch von der Qualitaet der kanadischen Filmlandschaftzeugt.

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