Nimm dir, was du brauchst

Ich bin Künstlerin. Das ist ein sehr dehnbarer, wenig klar umrissener Beruf. Dementsprechend gibt es auch keinen gradlinigen Bildungsweg. Ich habe an der Universität Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie studiert. Gleichzeitig habe ich früh angefangen, auszustellen. Außerdem hatte ich Freunde und Freundinnen, mit denen ich sehr viel geredet habe.

Darüber hinaus habe ich systematisch Bibliotheken abgegrast, erst meine Stadtbücherei, dann die Kunstbibliothek. Mit systematisch meine ich, dass ich jeweils bei A anfing, beispielsweise bei Anouilh, und mich dann die Regale hinunter arbeitete. Und ich habe Kunstzeitschriften durchgeschaut und mir jeden Namen notiert, den ich nicht kannte.

Nach dem Abitur wollte man mich auf der Kunstakademie nicht. Ich wusste schon als Teenager, dass ich nichts anderes als Künstlerin werden könnte. Deshalb war das ein Schock. Aber ich denke, es war eigentlich sehr gut für mich, stattdessen ein Universitätsstudium zu machen. Das war eigentlich als Parkstudium gedacht, aber ich habe viel gelernt. Und Künstlerin bin ich ja trotzdem geworden.

Dann hat mir mein Kunstgeschichtsprofessor klargemacht, dass ich keine Doktorarbeit schreiben solle, wenn ich keine akademische Laufbahn anstrebte. Ich sei ja auch nie in seinem Kolloquium gewesen. Das war richtig, und ich verzichtete auf die Doktorarbeit. Mein Vater fand das unmöglich, aber ich habe dann meine Energie ganz in meine Kunst gesteckt, was viel besser war.

Sich keine Sorgen machen, sondern arbeiten

Denn wichtig ist es, dem zu folgen, was man wirklich will. Das ist manchmal nicht so einfach herauszufinden. Dann hat man ein Problem. Das Problem ist weniger, Geld aufzutreiben oder niemanden zu kennen. Beides kann man auf lange Sicht in den Griff bekommen. Das eigentlich Schwierige ist es, genau zu wissen, was gerade richtig ist.

Wenn man es irgendwie hinbekommt, sollte man sich keine Sorgen machen. Es ist manchmal sehr schwierig, nicht in Sorgen (um Geld vor allem) zu ersticken, aber die eigentliche Sorge kann nur die sein, dass die Arbeit nicht fertig, nicht richtig, nicht gut genug ist. Diese Sorge hört leider nie auf als KünstlerIn.

Duchamp: Unerreichbares Vorbild

Insofern ist man als Künstler eigentlich kein Lebenskünstler, zumindest nicht so wie manche sich das vielleicht vorstellen. Es ist ein ziemlich harter Beruf, da man sich mit der ganzen Person einer Öffentlichkeit aussetzt, in den meisten Fällen wenig verdient und die Arbeit nur durch permanenten, quälenden Zweifel nach vorne kommt. Duchamp hat uns vorgemacht, wie es aussehen könnte, wenn man als Künstler Lebenskünstler ist. Er bleibt da aber ein unerreichbares Vorbild.

Ich rate allen eher davon ab, sich für Kunst zu entscheiden, wenn sie es nicht unbedingt müssen. Man sollte auf keinen Fall Kunst studieren, weil die Lehrerin findet, dass man so begabt ist, oder weil man denkt, dass man da schöne Sachen macht.

Den Faden in der Hand behalten

Ich fände es hingegen gut, wenn in der Schule handfeste ökonomische Hilfestellungen angeboten würden, wenn man lernen würde, mit Geld umzugehen. Das kann ich bis heute überhaupt nicht. Ich habe gelesen, dass es eine neue Tendenz gibt, mit den Schülern auch praktische Sachen zu machen, wie ein Haus umzubauen oder eine Wanderung zu machen. Das finde ich einerseits gut, andererseits kann man sich das auch außerhalb der Schule selbst organisieren.

Allgemein denke ich, dass man sich immer selbst die Bildung verschaffen muss, die man braucht, und dass es nicht eine einzige Institution sein kann, die alles bietet. Die SchülerInnen sollten nicht die Schule als ihre Hauptquelle sehen. Alles kann “Schule” sein, eine Wiese, ein Club, die beste Freundin. Man kann sich auch schon mit fünfzehn in die Uni schmuggeln oder einfach zu Ausstellungseröffnungen gehen. Die Hauptsache ist es, selbst den Faden in der Hand zu behalten, statt sich nur als einen Behälter zu sehen, in den etwas hineingegossen wird.

15 Kommentare zu “Nimm dir, was du brauchst

  1. Ich bin hocherfreut hier wieder eine Stimme eines Künstlers zu hören/zu lesen! Eine schöne Möglichkeit einen Einblick in die Welt des Künstlers einzutauchen fernab der großen Hypes um Sell Out, Personality Cult oder Prekarität. Meine Frage: Hat sich an dem Beruf des Künstlers etwas grundlegendes geändert in den letzten Jahren oder Jahrzehnten? Und wenn ja: was?

  2. Die Kritik am romantischen Vorstellung des Lebenskünstlers gefällt mir; aber verstanden habe ich nicht ganz, inwiefern dieser Duchamp so wichtig ist in dieser Hinsicht. Was hat er denn so anders gemacht? Und: wird das wie er drauf war, nicht genau so romantisiert?

  3. Liebe Antje Majewski, Sie sagen, dass man nicht Künstler werden soll, nur weil eine Lehrerin etwas gut findet. Aber wann weiß ich, dass ich Künstler werden MUSS, so wie Sie es beschreiben? Gibt es dafür Anzeichen?

  4. Ich hatte mich nach dem Abi auch an der Kunsthochschule Weißensee beworben, weil ich nicht nur im Kunstunterricht gelobt wurde sondern auch zu Hause sehr gern malte. Ich wurde nicht angenommen und bewarb mich auch nie wieder. Das bereue ich bis heute nicht. Ich bin einen anderen Weg gegangen, der mir viele Möglichkeiten eröffnet. Ich muss mich nur noch für eine entscheiden. Bei Kommunikationsdesign wäre es jedoch hinterher wahrscheinlich einfacher bzw. eindeutiger gewesen, zu entscheiden.

  5. Liebe Silvia: geändert hat sich der Beruf insofern, als er noch viel mehr Möglichkeiten des Arbeitens umfasst. KünstlerInnen können heute malen oder Skulpturen machen, aber auch politisch arbeiten oder über nachhaltige Ökosysteme recherchieren. Die Definition von Kunst liegt bei dem, der sie macht – im Regelfall dadurch, dass er sie innerhalb des Kunstumfelds macht und ausstellt.
    Ausserdem ist die Konkurrenz noch viel grösser, aber auch spannender geworden, weil globaler. Das ist wirklich neu.

    Lieber Rainald,
    Duchamp hat etwas wirklich Tolles gemacht: er hat eine Anzahl von Brancusi-Skulpturen in Kommission genommen und immer dann verkauft, wenn er Geld brauchte. Duchamp war sehr gut darin, seine Geschichte selbst zu dirigieren, deshalb: natürlich hat er auch als Bibliothekar und Nachhilfelehrer gearbeitet und sich bei reichen Freunden durchgeschnorrt. Schnorren muss man aber auch können, auf eine elegante, unaufdringliche Art und bei Menschen, die man wirklich gern hat. Vor allem ohne Schuldgefühle. Duchamps Haltung zu Geld ist das eigentlich Bewundernswerte. Er tut so, als sei es nicht da.
    Ach so, und dann noch das: “In der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 1968 verstarb Duchamp nach einem Abend mit seiner Frau Teeny und Freunden Lébel und Man Ray an einem Lachanfall.”

    Lieber Soul Surfer: Danke!

    Lieber Timurcin,
    Anzeichen: eigentlich ganz einfach. Wenn du schwankst, also zum Beispiel denkst, daß Arzt auch ein guter Beruf wäre, dann MUSST du nicht. Dann würde ich lieber den anderen Beruf nehmen. Denk dran, mit Kunst bleibt man arm (jedenfalls über 90 %). Viele trinken und rauchen zu viel, und machen sich zu viele Sorgen, deshalb stirbt man früher ; ) Und man ist in jeder Hinsicht auf sich gestellt. Manchmal muss man auch einen anderen Beruf ausprobiert haben, um zu wissen, daß es eben doch nicht anders geht, es gibt sicher keinen Zeitpunkt, an dem man das genau wissen müsste.
    Das Fatale ist, dass die Selbstachtung an die Reaktion der Öffentlichkeit gekoppelt ist. Auch darin ist Duchamp ein grosses Vorbild, er hat ein sehr entspanntes Verhätnis zum Ausstellen: es konnte auch auf dem Balkon seiner Schwester sein, oder auf einer Messe.

    Liebe Sarah,
    vielen Dank für deinen Beitrag, das freut mich sehr für dich und auch für uns! Ich unterrichte sehr gern und freue mich sehr über meine Studenten, die zum Teil wirklich tolle Arbeiten machen, aber manchmal mache ich mir dann wieder Sorgen um sie – wenn ich weiss, wie schwierig es nach dem Diplom wird. Auch deshalb ist es gut, wenn man noch einen zweiten Beruf hat, auf den man zum Geldverdienen zurückgreifen kann.
    Was auch immer du wählen wirst, ich wünsche dir Glück damit!

    Herzliche Grüsse an alle, Antje Majewski

  6. Antje Majewski bringts genau auf den Punkt: Wer nicht “muss” und innerlich Alternativen hat, der sollte auch nicht. Alle Formen des Broterwerbs via Kunst, sind ein staubiger, langer, holpriger und steiniger Weg, der zudem noch fast nackt in einer Öffentlichkeit stattfindet! Durfte selbst das Martyrium zwei Aufnahmeprüfungen hinter mich bringen, zwar erfolgreich, aber wer diesen Vorgeschmack nicht erträgt, täte sich zumeist auch mit der folgenden Lebenswirklichkeit schwer. Ohne eine gewisse Besessenheit – keine Kunst! Ganz einfach.

  7. echt stark! klingt ganz so als hättest du noch immer die power der ersten stunden?!

  8. Liebe Frau Majewski,
    dass ich auf Ihren Namen gekommen bin, war ein
    Riesiger Zufall. Es begann am 31. April 2010 mit “Ihrem” “Traurigen Russen”, dessen Bild ich
    sehr mysteriös fand. Es ist ein wunderbares Werk, ich liebe Ihren Stil. Nächste Woche werde ich ein Referat über Sie halten, das wird brenzlig aber egal. ICH SCHAFF DAS
    liebe Grüße.

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