Neunzehnhundertwas?

Neulich in der Strassenbahn. Zwei Jungs dancen wild zu knirschender Technomusik, die aus ihrem Handy kommt. Ein aelterer Herr, Typ Opi, wackelt auf die beiden zu und kraechzt: >Mensch, das ist doch total unpolitisch, diese Musik.

1968 waere das ne ganz andere Nummer gewesen…<, die beiden Strassenbahntaenzer rollen mit den Augen und fahren sich mit den Haenden durchs gegelte Haar. Da meint der eine: >Neunzehnhundertwas?, das ist doch letztes Jahrtausend.< Es kommt zu keiner Annaeherung, der Opi wackelt weiter, die Jungs dancen. Irgendwie stimmt das ja auch mit >letztes Jahrtausend<. Auch wenn einen die Zahl 68 derzeit von ueberall her anspringt, bleibt sie doch seltsam hohl. Klar weiss ich, dass die Leute damals cool drauf waren und die Schwarzweissbilder aus der Zeit sehen chic aus, aber sonst? Meine Eltern haben zu der Zeit gerade mal das Alphabet gelernt, meine Grosseltern waren wiederum zu alt, um Teil einer Studentenbewegung zu sein. Ganz abgesehen davon, dass in der ehemaligen DDR anscheinend sowieso nicht so viel ging mit 68. Warum versucht eigentlich niemand, diesen historischen Moment zugaenglicher oder fruchtbarer zu machen, fuer die Jugend? Und ich meine nicht, dass man das Che-Konterfei neu designen sollte – so a la Techno. Mein Eindruck ist, dass die Alt-68er in Erinnerungen schwelgen, schoen als Zeitzeugen dokumentiert werden und dann zehn Jahre auf ihren naechsten Auftritt warten. Aber was koennen die Ideen von damals heute bedeuten? Was ist heute politisch und warum ist Tanzen zu Handymusik unpolitisch? Warum gibt’s zum Beispiel auf YouTube keine coolen Clips zum Thema? Ausser Rainald Grebe, der als Kai Diekmann auftritt und schmettert: >Die 68er sind an allem Schuld!<, findet man da nicht viel.

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