Neue Ambitionen

Keine Ahnung, ob es irgendeine Bedeutung hat, dass das Platzen der Dotcom-Blase ausgerechnet im Jahr 2000 stattgefunden hat. Fuer die Einsicht, dass das sogenannte neue Millennium wohl kaum eine kulturelle Zeitenwende bringen wuerde, war es im Fruehling 2000 zu frueh – wer darauf nicht schon Jahre vorher gekommen war, haette sich bis zum September 2001 und dem prompt in Gang gesetzten, unbegrenzten Krieg gegen den Terror in Sicherheit wiegen koennen. Ich vermute, dass das nichts mit irgendeinem frisch angebrochenen Zeitraum zu tun hatte, sondern damit, dass die Beteiligten eingesehen haben, dass auch die Virtualitaet des Kapitals ihre Grenzen hat, Zweitausender im Datum oder nicht.

Ich sehe in der Entwicklung der Medienkultur denn auch mehr Kontinuitaet als Bruch. Und die radikalen Aufbrueche, die elektronische Lifestyle-Magazine bei jedem neuen Gadget, jeder neuen Software-Generation oder einem neuen Album aus der >Kompakt<-Schmiede verkuenden, bleiben klassisches Cross-Marketing und werden nie kulturkritische Einsichten. Solche Unterscheidungen zwischen Kultur und Marketing ueberhaupt noch zu machen, gilt Vielen als hoffnungslos >20. Jahrhundert<. Aber ich glaube, dass die Pseudo-Beschleunigung der digitalen Kulturindustrie eine mentale Leere kaschieren soll, die sich in den Redaktionen >breit< gemacht hat. Fuer eine historisierende Rueckschau wird anlaesslich der zwanzigsten transmediale im Fruehjahr 2007 noch Gelegenheit sein. Auch in diesem Jahr bieten wir mit dem Festival wieder eine aktuelle Standortbestimmung der Kunst mit und durch digitale Medien. Dass dieses Verhaeltnis neu zu bestimmen ist, versuchen wir durch eine Veraenderung des Untertitels der transmediale zu verdeutlichen. Das fruehere >VideoFest< hiess zuletzt >Festival for Media Art< und firmiert seit einigen Monaten als >Festival for Art and Digital Culture<. Es geht um Kunst als spezifische Praxis, als Ausdrucks- und Produktionsform, und es geht um die Praegung der Gegenwartskultur durch digitale Technologien. Die transmediale will diese Praegungen reflektieren und gibt Einblick in die Art und Weise, wie Kuenstlerinnen und Kuenstler mit der Veraenderung unserer Welt durch digitale Technologien umgehen. Beim Festival in diesem Februar wird es zwei thematische Schwerpunkte geben. Der eine ist vorgegeben durch das kuratorische Konzept fuer die sechswoechige Ausstellung, die wir in der Akademie der Kuenste am Hanseatenweg zeigen. Die franzoesische Kunsthistorikerin Anne-Marie Duguet hat unter dem Titel >Smile Machines< eine Ausstellung ueber Humor, Kunst und Technologie zusammen gestellt, die einen historischen Bogen schlaegt von Fluxus und Videokunst der 1960er Jahre, ueber interaktive Maschinen und kuenstlerische Medienkritik der fruehen 90er, bis hin zum aktuellen Netzaktivismus und Videoperformances. Auch hier versuchen wir dem Eindruck entgegen zu arbeiten, dass alle zwei, drei Jahre ein komplett neues Zeitalter beginnt. Der thematische Schwerpunkt des Festivals traegt den Titel >Reality Addicts< und beschaeftigt sich mit einem Phaenomen, das dem Humor eng verwandt ist. Humor ist eine Haltung gegenueber der Wirklichkeit, die deren Zwaenge und Regeln nicht allzu ernst nimmt, sondern durch Ironie, Uebertreibung oder Absurditaet bricht und unterlaeuft. Dadurch entstehen komplexe, exzessive Variationen der Realitaet. Die >Wirklichkeits-Sucht< der >Reality Addicts< beschreibt eine solche Haltung, die sich aus den glatten, homogenen Bildschirmrealitaeten weniger macht als aus der lauten, verrauschten, trashigen Wirklichkeit, die auf uns wartet, wenn die PlayStation und der MP3-Spieler, keinen Saft mehr haben. Das groesste Geschenk, das das 21. Jahrhundert der Medienkunst bislang beschert hat, ist, dass sie - anders als noch in den 1990er Jahren - nicht mehr die Welt retten muss. Die Ambitionen werden bescheidener, die Kunst besser.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.