National Hell Service

Abgehetzt, schwankend, mit leerem Magen und entzuendeten Mandeln bin ich endlich im National Health Service Centre in der Naehe der Manchester University angelangt, genau eine Viertelstunde bevor die drop-in hour fuer heute ihre Toren schliesst. Die Wartehalle ist voll -fast jeder Kontinent ist vertreten, dazu Studenten und Drogenabhaengige in Trainingsanzuegen mit breiten Mancunian accents, schlechten Zaehnen, entfaerbter Gesichtshaut, der weibliche Teil von ihnen mit den gewohnten riesigen Goldohrringen, straff zurueckgebundenen Haaren, meist schwanger.

Neben ihnen ist noch ein letzter Platz frei, ich errieche verschwitzen Muff, stechenden Alkoholatem und kaltes Nikotin, denn die Wartezeiten sind lang, werden von den goldbehaengten Schwangeren mit der ein oder anderen Kippe verkuerzt. Der Security-Beauftragte schreitet mit leichtem Laecheln vor unseren Reihen entlang, besetzt mit jenen, die durchs soziale Netz gefallen sind, dort noch hinein wollen oder sich ihr eigenes bauen muessen. Ich hoere die verschiedensten Sprachfamilien dieser Welt in einer faszinierend vor sich hin wabernden, langsam einlullenden Geraeuschmasse, gemischt mit quietschend froehlichem Kinderlachen, durchbrochen vom nasalen Mancunian accent.

>Dr. Cunningham? You must be dead before you get something from her!< beschwert sich ein Trainingsanzug- traeger mit braeunlichen Restzaehnen bei seinen Kumpels. Vor Erschoepfung fangen meine Haende an, leicht zu zittern, mein Fieber laesst meinen Atem langsam schnaufender werden, ich wuerde am liebsten wegdaemmern, muss jedoch aufpassen wie ein Luchs, damit ich nicht auch noch meinen Aufruf verpasse, da die Schwestern jedes Mal mit der Aussprache meines Namens einer anderen Sprachkultur samt englischem Akzent gerecht werden wollen und ich mich daher selbst bei klarem Bewusstsein oft nicht angesprochen fuehle.

Wenigstens weiss ich, dass es wieder meine Mandeln sind, deswegen muss der Arzt auch nicht wie sonst lange suchend in seinen Buechern wuehlen, sondern ich werde diesmal ohne Gegenwehr gleich seine Verschreibung von Antibiotika akzeptieren, die in diesem Land wie alle Medikamente ohne Nachdenken gefressen werden. Nur bei Pfefferminztee zeigt man sich zoegerlich. Im Fieberdelirium sinkt mein Kopf zur Seite, der Lautsprecher ruft die naechste Patientin herein: >Ms. Margaret Thatcher, please go to see Dr. Kent in Dr. Martin’s room, please.< In meinem Zustand halte ich dies fuer eine akustische Halluzination meinerseits, gebe auf und schlafe langsam ein, waehrend eine kleine, untersetzte Frau mit blond gefaerbter, kurzer Lockenfrisur, an der man sieht, auf welcher Seite sie heute geschlafen hat, an mir zu Dr. Kent vorbei schlurft, so alt, dass klar ist, dass ihre Eltern damals nicht wussten, was sie ihrer Tochter fuer einen Namen verpassen wuerden.

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