Nachruf auf Robin Meyer-Lucht: “Etwas aufbauen, zu den Bedingungen der neuen Welt.”

Gründer des Autoren-Blogs CARTA, Grimme-Online-Award-Gewinner und E-Plus-Kurator des BASE_camp: Mit Robin Meyer-Lucht ist eine der schillerndsten Figuren einer neuen Generation von MedienmacherInnen gestorben. Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki hat einen persönlichen Nachruf verfasst.

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Ein Text über Robin Meyer-Lucht? Eine Würdigung, ja. Das wäre mir in den Sinn gekommen, hätte mich jemand gefragt. Aber ein Nachruf? Etwas Unwahrscheinlicheres scheint es im Augenblick nicht zu geben.

Zuerst ein Tweet von Christoph Kappes. Dann eine Meldung bei Google+. Dann lauter Schlagzeilen in der Übersicht der Suchmaschine. Unwahrscheinlich und unverständlich. Einige Stunden später schlägt die Botschaft bei mir richtig ein: Robin Meyer-Lucht ist gestorben. Ich versuche meine Gedanken und meine Gefühle zu ordnen, indem ich schreibe.

Ich sah Robin das letzte Mal am Rande einer Tagung in Berlin. Das war vor circa 14 Tagen. Wie es häufig so passiert, kamen wir nicht dazu, uns eingehender zu unterhalten. Es blieb bei einem Zunicken und Zulächeln – zwei Meter Entfernung. Die Begegnung war für mich eine Erinnerung daran, dass wir vor einigen Wochen ausgemacht hatten, uns im Prenzlauer Berg zu treffen, um ein Bier trinken zu gehen. Ich hatte erst neulich, bei einem internen Strategie-Workshop von politik digital erfahren, dass wir Nachbarn waren. So ist das in Berlin: In der virtuellen Nachbarschaft dicht an dicht. In der Stadt läuft man sich im selben Kiez nicht über den Weg.

Ein Bier trinken gehen, einander näher kennenlernen – darauf hatte ich mich gefreut. Und doch habe ich, wie es eben immer wieder (in Berlin) so ist, die Sache ein wenig aus den Augen verloren. Noch im Sommer, da war CARTA in die Pause gegangen, hatte ich ihn angemailt und dann angerufen. Ein geschäftlicher Anlass. Aber immerhin ein Anlass, sich mal wieder zu sehen. Ohne Erfolg. Er war anscheinend im Urlaub. Das legte die automatische Stimme eines ausländischen Handy-Netzwerks nahe.

Sich näher kennenlernen, Zeitgenossenschaft leben – in einer Welt der potenziell unzähligen Facebook-Freunde wird so etwas immer wichtiger. Robin war etwa mein Jahrgang, im selben Arbeitsfeld tätig und teilte einige meiner Interessen: Netzöffentlichkeit und Digital Publishing, um die wichtigsten zu nennen. Wie auch ich kam er in den 1990ern zu den damals so genannten “neuen Medien”, war aber ganz anders sozialisiert. Er stieß in Hamburg über Tim Renner und Rammstein dazu, deren erste Webseite er betreute, promovierte später bei Peter Glotz, machte sich selbstständig, gründete das Berlin Institute und dann CARTA.

Wie aus einer anderen Zeit

Das erste Mal, dass ich Robin traf, war in einem Berliner Buchladen, März 2008. Mercedes Bunz stellte dort ihr Buch “Geschichte des Internet” vor. Ich bekam eine Visitenkarte des Berlin Institute ausgehändigt – von jemandem, der einen schwarzen Rollkragenpullover aus elastischem Feinripp unter dem Jackett trug, die Haare kurz, etwas streng, dabei ein wenig altmodisch wirkend, irgendwie britisch, wie aus einer anderen Zeit, aber ganz offensichtlich absolut auf der Höhe jeglicher Entwicklungen im digitalen Wonderland, vielleicht seiner Zeit voraus.

Seiner Zeit voraus? Das musste ich mich auch fragen, als ich hörte, dass CARTA in die Pause ging. Die nach Außen getragenen Gründe: kein skalierbares Geschäftsmodell habe sich finden lassen. Die Suche danach: ein großes, ambitioniertes Ziel. Das erfolgreiche Auffinden desselben: wohl nicht unmöglich, aber alles andere als selbstverständlich. Der Anspruch: äußerst ambitioniert in einer Gegenwart, in der fast alle, die im digitalen Mediensektor Deutschlands arbeiten, gerade erst noch Schwimmen lernen.

Robin hat aus dem Bundestag gesendet, wenn es um netzpolitische Themen und digitale Öffentlichkeit ging. Er war als einer der ersten Online-Publizisten dabei als in Deutschland qua Live-Internet “Fukushima” die Parteienlandschaft in Sachen Atomkraft auf den Kopf gestellt wurde – auf CARTA publizierte er eine Sammlung der besten Tweets zum Thema und rief zum Crowdsourcing auf. Er bekam einen journalistischen Wutanfall, als sich Digitale Gesellschaft gründete, weil er selbst diesen Begriff zwar nicht für sich gepachtet, aber für die damit verbundenen Inhalte stritt, wie nur wenige außer ihm, die nicht zu den Gründungsmitgliedern gezählt haben.

Seine öffentlichen Äußerungen zum Medienwandel waren häufig aufbegehrender, polemischer Natur (siehe: Perlentaucher, CARTA). Rückblickend denke ich: vielleicht war genau das sein Programm. Passend zu einer Medienlandschaft, in der gut 20 Jahre nach der massenhaften Verbreitung des Internet die meisten großen Medienmacher langsam ausgeschlafen haben und die desaströsen Folgen dieser Late-Comer-Experience zu kompensieren suchen. Robin wollte, so würde ich sagen, in diesem Umfeld nicht nur aufmischen, sondern auch etwas aufbauen, zu den Bedingungen der neuen Welt. Mit Leidenschaft. Nachhaltig. Er wird fehlen.

Anm.d.Red.: Der Verfasser des Beitrags arbeitet an einer Serie über die “Zeitung im Medienwandel”, die er Robin Meyer-Lucht gewidmet hat, hier zum ersten Beitrag. Das Foto unten zeigt den Verfasser des Beitrags zusammen mit Robin Meyer-Lucht bei einem internen Strategie-Workshop von politik digital, aufgenommen im Soho House Berlin, Frühjahr 2011. Das Foto darüber zeigt Robin Meyer-Lucht im Herbst 2010 bei seinem Auftritt im Rahmen des Berliner Gazette-Symposiums Mobile Textkulturen.

22 Kommentare zu “Nachruf auf Robin Meyer-Lucht: “Etwas aufbauen, zu den Bedingungen der neuen Welt.”

  1. oh mann, das ist ja wahrlich eine erschütternd traurige nachricht. hab’s gerade gelesen und bin ganz gelähmt die Meldungen auf GoogleNews durchgegangen. Den Nachruf und von Krystian und den im Vorwärts (siehe comment 6) kann ich empfehlen.

  2. “Er bekam einen journalistischen Wutanfall, als sich Digitale Gesellschaft gründete, weil er selbst diesen Begriff zwar nicht für sich gepachtet, aber für die damit verbundenen Inhalte stritt, wie nur wenige außer ihm, die nicht zu den Gründungsmitgliedern gezählt haben.”

    ich möchte daran erinnern, das RLM im BASE_Camp eine Veranstaltung organisiert, bei der sich die Mitglieder der DigiGes mit anderen Aktiven in diesem Feld austauschen konnten

  3. Danke für diesen persönlichen und gar nicht schnell geschriebenen Nachruf.

  4. wir haben in unserem Archiv noch ein schönes Foto von Robin Meyer-Lucht gefunden, das ihn in Aktion zeigt auf dem Berliner Gazette-Symposium “Mobile Textkulturen”. Und wir haben es jetzt oben im Text eingebaut.

  5. “In der deutschen Internetszene war er eine Ausnahmeerscheinung, die die Begeisterung für die digitale Vernetzung mit dem kritischen Blick des Wissenschaftlers verbinden konnte”, so die Würdigung der Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel.

    und ein Gespräch im Deutschlandfunk:
    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/corso/1561115/

  6. es lassen sich nun auch mehr Nachrufe auffinden, die versuchen, die Arbeit von Robin Meyer-Lucht zu beschreiben und sie einzuordnen, historisch, was natürlich immer sehr schwierig ist, besonders, wenn jemand nicht halbwegs bequem zwischen Buchdeckeln gebündelt sich an die Öffentlichkeit wendet, Öffentlichkeit erzeugt, sondern fragmentarisch verstreut im Internet, hier etwas, das ich empfehlen möchte, zu lesen:

    http://www.perlentaucher.de/blog/215_robin_meyer-lucht

  7. es ist sicherlich nicht einfach der versuchung nicht zu erliegen sich selbst, seine eigenen anliegen, interessen und politik in so einem moment der öffentlichen trauer nicht ins spiel zu bringen, aber sicherlich das ziel eines jeden (seriösen) nachrufschreibers, nicht alle (seriösen) schaffen es.

  8. ich will nicht stänkern, das ist nicht der zeitpunkt sowieso, mir ist nur aufgefallen beim lesen, ach es geht nicht um den artikel von euch, nein, die leser der anderen texte, die ihr empfiehlt werden schon selbst merken, wo es ihnen zuviel um politik geht, die politik dessen, der schreibt und des publikationsortes.

  9. @#19: das verpixelte Bild oben zeigt Robin Meyer-Lucht, die Vorlage wurde Frühjahr 2011 aufgenommen. Die Idee der Verpixelung ist sehr spontan entstanden und soll Greifbarkeit/Ungreifbarkeit des Portraitierten illustrieren.

  10. zurecht kritisiert +Stefan Niggemeier in seinem jüngsten FAZ-Artikel ( http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/cybergesellschaft-das-wahre-leben-im-netz-11447755.html ) jene, die sagen: was im Internet passiert, ist nicht Teil des wirklicken Lebens, die Beziehungen, die dort “gepflegt” werden, sind ebenfalls nicht real, echt, wahrhaft. Doch wenn +Pia Ziefle mit Blick auf “unser Leben” im Netz fragt: “Wie wirklich sind wir denn hier?” ( http://www.denkding.de/2011/10/wie-wirklich-sind-wir-denn-hier ), dann deutet sie in meinen Augen auf ein entscheidendes Manko der Niggemeier’schen hin. Ja: die Frage nach dem WIE? muss gestellt werden. Wie real sind wir, wenn wir allein Solidarität, Freundschaft, Liebe – all das geht im Netz ja – zum Maßstab für das Soziale machen? Das Soziale ist und war auch schon vor dem Netz mehr als das. Das Soziale ist auch (gerade heute unter den verschärften Bedingungen des Post-Kapitalismus) geprägt von Wettbewerb und allem, was sich davon ableitet. Es steht immer auch im Zeichen von Antagonismus und Konflikt. Das Netz wirkt häufig wie ein Vergrößerungsglas: auch solche “Kehrseiten” bzw. Defizite, nach denen +Christoph Kappes (auf Google+) gefragt hatte, wirken hier bisweilen stärker als im analogen Teil unserer Realität. Der traurige Tod eines Zeitgenossen sollte uns nicht zu (wie auch immer gut gemeinten) Lobpreisungen des digitalen Sozialen bewegen – sondern zum Innehalten und zur Selbstkritik der “Netzgemeinde”. Diese Selbstkritik fehlt meines Erachtens in der Niggermeier’schen Analyse – sie wäre sowohl im Hinblick auf die Trauergemeinde als auch im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit den Verklärern des Internet notwendig.

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