Nachforschungen im Schwabendschungel

Die Schwaben in Berlin. Östlich der Elbe am Prenzlauer Berg gehören sie nicht zu den beliebtesten Lebewesen. Ein Grund weswegen Berliner Gazette-Autor Joerg Offer in der U-Bahn der Schweiß ausbricht, als er feststellt, dass er sich gerade auf dem Weg ins Auge des Orkans befindet: Ein schwäbischer 40. Geburtstag am Prenzlauer Berg. Angekommen, stellt er Nachforschungen im Schwabendschungel an, denn er will das Geheimnis der Menschen südlich vom Rhein erkunden.

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Vor kurzem begab ich mich in grosse Gefahr. Unbedacht und unvermittelt, fast naiv, wie ich nun einmal bisweilen so sein kann. Ich hatte zugesagt zum 40. Geburtstag meines langjaehrigen Kameramannes zu erscheinen. An sich klingt das ja sehr ungefaehrlich.

Vor allem wenn man weiss, dass der gute Mann mittlerweile verheiratet ist, eine kleine Tochter hat und endlich in Berlin fest niedergelassen ist. Damit naehere ich mich aber auch schon dem unmittelbaren Gefahrenpotential der Situation. In der U-Bahn, auf dem Weg zur Feier, daemmerte mir allmaehlich, worauf ich mich da eingelassen hatte.

Es sollte ganz entspannt im Kreise von Freunden und Familie daheim gefeiert werden. Bei Hellem, Weisswuersten und frisch gebackenen Schwabenbrezeln, hiess es. Schwabenbrezel? Ach ja, er ist ja gebuertiger Schwabe. Ruhig rollte die U-Bahn Richtung Prenzlauer Berg. Ein ungutes Gefuehl stieg in mir hoch, intuitiv begann ich den mir bekannten Teil seines Freundeskreises in Gedanken zu visualisieren. Allesamt Schwaben. Wo wohnte er noch gleich genau? Ich hatte sein neues Domizil noch nicht besucht und nestelte deshalb nervoes in meiner Jackentasche um die genaue Adresse zu eruieren. Helmholtz-Kiez. Kalter Schweiss perlte auf meiner Stirn.

Oh Gott! Ich war dabei in das Auge des Orkans hineinzusegeln, mit dieser kuemmerlichen, kleinen Schaluppe meines Lebens, notduerftig gefaltet aus einem halbzerissenen BVG Fahrschein. Ich war tatsaechlich dabei eine Feier aufzusuchen, deren Besucher zumeist Menschen Ende Dreissig sind, womoeglich mit festem Einkommen, gebuertige Schwaben, das Ganze inmitten des Prenzlauer Berges und dort sogar noch in unmittelbarer Umgebung des Helmholtzplatzes. Quasi ein Epizentrum jeglichen Klischees. Nicht-Berliner sollten wissen, dass Schwaben am Prenzlauer Berg zu der verhasstesten Gattung Lebewesen oestlich der Elbe gehoeren.

Laternen und Waende sind regelmaessig mit Flugblaettern gegen sueddeutsche Mietpreistreiber gepflastert. >Schwaben verpisst euch, keiner vermisst euch< gehoert noch zu den netteren Slogans. Oder >Nur 800km bis FreiburgSchwaben< stellvertretend herhalten fuer alle Menschen, die suedlich des Main geboren wurden und vom Prekariat so weit entfernt sind wie die Leasingraten ihrer Kombis von Crackheads am Kottbusser Tor. Ihr deutlicher Akzent dient als phonetisches Kainsmal. >Wir koennen alles, ausser Hochdeutsch< ist schliesslich der Titel einer eigenen Imagekampagne.

Nun war man sehr gastfreundlich zu mir, umsorgte mich mit sueddeutscher Kost und schuettete Unmengen bayrischen Bieres in mich hinein, so dass sich meine Angstattacken langsam legten und einer matten, prallen Hopfen-Sattheit das Feld ueberliessen. Ich lehnte mich in einem tiefen Sofa weit zurueck, legte den Arm ueber die Lehne und liess das schwaebische Szenario auf mich wirken.

Mir war so nach ethnologischen Feldforschungen zumute. Der Alkohol verursachte wieder dieses Albert-Schweitzer-Urwald-Doktor-Lebensgefuehl. Und tatsaechlich stammten alle anwesenden Maenner aus den Waeldern Baden-Wuerttembergs. Einzig zwei oder drei Gattinnen war wohl das FDJ-Halstuch dereinst nicht ganz unbekannt gewesen. So frotzelte der erfolgreichste der versammelten Schwaben, ein etwas behaebiger Jungunternehmer Ende dreissig, dass gerade Frauen aus dem Osten offener, natuerlicher und unpraetentioeser seien, auch und gerade in sexueller Hinsicht. Vorgetragen mit einem etwas herablassend-verstaendnisvollen Liberalismus in der Stimme. Goennerhaft. Den angesprochenen Damen schmeichelte das sogar.

Ich begann mir langsam ein Bild zu verschaffen. Vom gemeinen Schwaben und dessen natuerlichen Feind. Quasi eine ornithologischer Beobachtung im fremden Wohnzimmer und ohne Feldstecher. Nun schwingt in derartigen Versammlungen einstmals junger Paare -nun gemeinhin eher Eltern als Menschen- ja immer ein gewisser, grauer, unangenehm summender, melancholischer Unterton. KiTa-Gespraeche ersetzen das Philosophieren ueber einstige gemeinsame Lebenstraeume, Erwerb steht weit ueber dem Erreichen.

Ehedem behende und vor Energie vibrierende Maenner, schlurfen leicht adipoes und muede vernachlaessigt durch den Raum. Seit Jahren unausgeschlafen. Die Ehefrauen hingegen wirken meist eher Beischlafslos. Einzig wenn seit der letzten Niederkunft schon ein paar Jahre vergangen sind und eine Handvoll Prosecco ihre gnaedige Wirkung entfalten, keimt in ihren Augen etwas Leben, Feuer und Begierde auf. Allerdings nicht fuer ihrem domestizierten Gefaehrten. Eher Genshopping beim Fremden, potenziell Gefaehrlichen. Das ist nun bei Schwaben nicht anders, als bei gleichaltrigen Transferleistungsempfaengern im Plattenbaumeer Lichtenbergs.

Aber die Faerbung, die Vehemenz, die Fallhoehe ist dann doch eine andere. Ich habe mir ja bei Kuechenparties mit intimem Smalltalk angewoehnt zumeist ueber mich und meine Taetigkeiten ausgiebig zu schweigen. Sonst erfaehrt man zu viel wenig vom Anderen. Entweder fuehlen sich Sachbearbeiter dazu provoziert ihr Gefieder deutlich staerker aufplustern zu muessen als ueblich. Oder man wird mit Ideen anderer, vermeintlich kreativer Koepfe und langjaehriger Taxischeinbesitzer, ueber Stunden gequaelt.

Schlimmer noch ist die Variante des >Safari-Maerchenonkels< in die man hineingedraengt werden kann und einen ganzen Abend des Monologisierens nach sich zieht. Ich wollte doch das Schwaben-Geheimnis ergruenden. Was unterschied also einen Menschen aus Boeblingen vom Ureinwohner Charlottenburgs, der ein Genom aus maerkischem Sand sein Eigen nennen kann? Also schwieg ich so gut es ging und hoerte zu.

Nun, letztlich war es entsetzlich wie immer, wenn man Menschen jenseits der aufgegebenen Phantasien der Adoleszenz und noch vor den grotesk unterhaltsamen Auswuechsen der Midlife-Crisis beobachtet. Eine langweilige Chronik des allgemeinen Schoenredens. Einzig der wirtschaftliche Hintergrund vor dem sich das alles zumeist abspielt, scheint mir deutlich gesicherter und weniger existentiell bedroht als vielerorts. Sind halt fleissig die Schwaben. Da hat Calvin aus der nahen Schweiz selbst auf den katholischen Teil des Volkes abgefaerbt. >Wer nicht schafft, kommt nicht in den Himmel

Eines vielleicht: Man wird den Eindruck nicht los, das Berlin fuer einige nur eine Durchgangsstation ist, eine Art revolutionaeres Pflichtprogramm im Curriculum Vitae, eine abgefahrene Filmkulisse fuer einen bestimmten Lebensabschnitt. Gewissermassen ein urbanes Mallorca fuer Menschen bestimmten Schlages. Bevor man sich wieder aufmacht an andere Ufer des Lebens. Fuer Daimler nach Asien zum Beispiel. Oder wieder nach daheim, Firma und Haus der Eltern erben in Boeblingen. Insofern geht man etwas anders mit dieser Stadt um als Menschen die schon heute wissen in Berlin auch sterben zu muessen.

Im kalten, nassen Sand. Irgendwann. Troestlich sei gesagt, dass >Schwaben< vom Balkan bis Kasachstan ein ganz verbreitetes Wort fuer Deutsche, deutsch-staemmige und auch lange in Deutschland lebende Gastarbeiter ist. Auch dort in einer Konnotation zwischen Verachtung und Bewunderung. Stammt historisch aus der Zeit der Ansiedlung Deutscher von der Walachei bis an die Wolga. Na immerhin. Ansonsten alles nur Geplaenkel deutscher Kleinstaaterei und provinzieller Foederalismus. >Verstehscht, gell?<

Anm.d.Red.: Das Foto oben stammt von Francisco Gomes und steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

Ein Kommentar zu “Nachforschungen im Schwabendschungel

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