Nachbarschaftliches Durchdringen

Zur Zeit unterrichte ich Kunstgeschichte an einer Akademie in Suedboehmen in der Stadt Cesky Krumlolv, zu deutsch Boehmisch Krumau. Diese wunderschoene Stadt am Ufer des Flusses Vltava, zu deutsch der Moldau, gehoert zu den bedeutendsten Baudenkmaelern Europas. Hier stehen lauter Renaissance- und Barockhaeuser, es gibt ein Renaissanceschloss und ein weltberuehmtes Barocktheater aus dem 18. Jahrhundert. Aufgrund dieses Erbes wurde Cesky Krumlolv im Jahre 1992 ins Verzeichnis der Denkmaeler des Kultur- und Naturwelterbes der UNESCO aufgenommen. Fuer die deutschsprachigen Besucher wurde im Zuge dessen ein umfassender Informationskatalog erstellt, der auf mehr als 2.000 Seiten die Geschichte und Gegenwart der Stadt und der Region schildert. Ich habe an seiner Vorbereitung teilgenommen.

Meine Entscheidung, auf dem Gymnasium Deutsch zu studieren, wurde bedingt durch die traditionelle Vorstellung der unerlaesslichen Kommunikation mit den naehesten Nachbarn der boehmischen Laender. Ich habe Glueck gehabt, weil unsere Lehrerin Deutsche war. Sie begeisterte mich fuer die deutsche Grammatik und Aussprache sowie den deutschen Wortschatz und weckte mein Interesse fuer die deutsche Geschichte, Literatur, Kunst und Philosophie. Als im Jahr 1989 die Grenzbarriere zwischen der westlichen und oestlichen Welt gefallen war, konnte ich zum ersten Mal meine Kenntnisse der deutschen Sprache erproben, als Stadtfuehrerin von deutschen und oesterreichischen Touristen durch die Stadt Ceske Budejovice, Budweis. Mit Begeisterung erzaehlte ich den Touristen von der Gruendung der Stadt im 13. Jahrhundert, schilderte die Sage ueber den irrefuehrenden Stein und bestieg mit ihnen die Treppe des so genanten gotischen schwarzen Turms bis zum Dachboden.

Nach dem Abitur entschied ich mich, Geschichte und Kulturgeschichte zu studieren und spezialisierte mich dann auf die Kulturgeschichte des mitteleuropaeischen Adels sowie der aristokratischen Hoefe vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Dieses Studium waere ohne meine Deutschkenntnisse praktisch unmoeglich gewesen. Bei den ersten Besuchen der Archive habe ich schnell festgestellt, dass ein grosser Teil der Materialien, die ich zu meiner Forschung brauchte, in der deutschen Sprache verfasst worden war. Ich begann, die altdeutsche Paleographie zu erlernen und mich fuer die Wurzeln der deutsch-tschechischen Kulturkontakte in der Vergangenheit zu interessieren.

Wie die Forschungen der Historiker und der Linguisten zeigen, wurde im Mittelalter die tschechische Sprache in dem boehmischen Koenigstum als die einzige offizielle Landessprache angesehen. Nach der Wahl von Habsburgs Ferdinand dem I. zum boehmischen Koenig im Jahr 1526 wurde jedoch Deutsch das bestimmende Kommunikationsmittel auf dem Hof des boehmischen Koenigs und spaeter des roemisch-deutschen Kaisers und seiner Nachfolger. Der eigentliche Germanisierungprozess begann in Boehmen erst im Zusammenhang mit dem Dreissigjaehrigen Krieg, dem Aufstand gegen den Kaiser Ferdinand II. zwischen 1618 und 1620 und der Schlacht auf dem Weissen Berg am 8. November 1620. Vor allem nach 1627 begann eine massive Emigration der protestantischen Adeligen und anderer protestantischer Einwohner aus Boehmen, die zur Ankunft der neuen auslaendischen, vor allem deutschsprachigen adeligen Familien in Boehmen fuehrte, die die deutsche Sprache bevorzugten.

Als ich meine Forschung auf die Schriftquellen aus den Familienarchiven der Rozmberk, Pernstejn, Lobkovic oder Eggenberg verlegt habe, bin ich nicht nur auf Briefe, Schriften und Buecher in der tschechischen und deutschen sondern auch in der italienischen und spanischen Sprache gestossen. Die Benutzung der spanischen Sprache im Mitteleuropa jener Zeit hatte im Zusammenhang mit der Grossmachtposition Spaniens im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts, mit der engen Verwandschaft der mitteleuropaeischen und spanischen Habsburger und darueber hinaus mit der Abschliessung von Heiratsallianzen zwischen Adeligen aus Spanien, OEsterreich und Boehmen zu tun. Der kulturelle, gesellschaftliche und kuenstlerische Transfer fuehrte in Barockeuropa zur Schaffung von gebildeten und kosmopolitischen Adeligen. Zum Erreichen dieses Ziels sollten den jungen Aristokraten so genannte >Kavalierentours< helfen. Im Zuge dessen konnten sie im Ausland die Kultur der fremden Laender geniessen sowie ihre Sprachen und Braeuche kennen lernen. Das Reisetagebuch des Herman Jakub Cernin von Chudenic aus den Jahren 1678 bis 1682 ist ein interessantes Beispiel. Es ist immer in der Sprache des Landes geschrieben, in dem sich der Adelige jeweils aufgehalten hat. In seinem Tagebuch finden sich Passagen in der tschechischen, deutschen, italienischen, franzoesischen und spanischen Sprache. Der Kultureinfluss des habsburgischen Spaniens in seiner >goldenen< Aera auf die Formierung des Lebensstils, Geschmacks, der Mode und der Moebelausstattung der aristokratischen Residenzen in Mitteleuropa steht gegenwaertig im Vordergrund meiner Forschung. Dieses Interesse hat mich nach Spanien gefuehrt, wo ich in der Landeshauptstadt Madrid meine Dissertation vorbereite. Madrid ist eine kosmopolitische Stadt. Auf den Strassen hoert man eine interessante Mischung an Fremdsprachen; das Alltagsleben der Grossstadt wird trotz allem vollkommen vom Spanischen beherrscht. Die deutsche Sprache hoert man vor allem im Zusammenhang mit der Bildung. Einige Universitaetsprofessoren und wissenschaftliche Mitarbeiter koennen Deutsch, meistens jene, die ihr Forschungsinteresse auf das Gebiet Mitteleuropas richten. In der Universitaet treffe ich viele Studenten aus Deutschland, die nach Spanien als Teilnehmer des internationalen Studienprogramms Erasmus kommen. Deutsch kann ich in Madrid darueber hinaus mit den deutschen Maedchen sprechen, die in grosser Zahl als Au-Pair nach Spanien gehen, um ihre spanischen Sprachkenntnisse zu verbessern. Ich habe auch viele deutsche und oesterreichische Pilger auf der Wallfahrt nach Santiago de Compostela kennengelernt. Das Deutsche ist in Spanien auf dem Vormarsch. Nach meinen Gespraechen mit Kollegen aus dem internationalen Studentenwohnheim in Madrid musste ich darueber hinaus feststellen, dass die deutsche Sprache nach und nach auch in anderen spanischsprachigen Nationen an Bedeutung gewinnt. Studenten aus so unterschiedlichen Laendern wie Mexiko, Dominikanische Republik, Chile und Argentinien haben mir ihr ausdrueckliches Interesse am Studium der deutschen Sprache gezeigt. Der wohl wichtigste Grund ist ihre hohe Einschaetzung des deutschen Beitrags zur Entwicklung der Wissenschaft und das Fehlen der entsprechenden Uebersetzungen der deutschen wissenschaftlichen Literatur auf Spanisch. Insofern wird Deutsch insbesondere in den Universitaeten als ein wichtiges >Werkzeug< gehandelt. Uebrigens auch in der Tschechei. Trotz maessigen Rueckgangs des Deutschunterrichts in den tschechischen Mittel- und Hochschulen zugunsten der englischen Sprache, bleibt die kulturelle Rolle der deutschen Sprache in Mitteleuropa vor allem fuer das humanistische und oekomonische Studium unerlaesslich. Als Tschechin freut es mich wirklich sehr, dass wiederum auch deutsche und oesterreichische Studenten ein Interesse an der tschechischen Sprache haben. Als Teilnehmerin des Archaeologie- und Sprachaufenthalts in der Burg Landstein in Boehmen habe ich dieses Interesse persoenlich zu spueren bekommen. Universitaetsstudenten aus Tschechien und Oesterreich nahmen daran teil, nicht nur um die abenteuerliche Aufdeckung mittelalterlicher Schaetze zu erleben. Sondern auch, um Sprachkurse in Deutsch beziehungsweise Tschechisch zu absolvieren und sich im Zuge dessen ueber das Nachbarschaftsverhaeltnis auszutauschen.

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