30 Minuten Revolution: Verwackelte Videos, kommentiert von den Aktivisten selbst

Die revolutionären Unruhen in der Ukraine konnten in sozialen Netzwerken, über Twitter und auf Blogs verfolgt werden. Und so finden sich auch auf YouTube unzählige Videos, pro-russische und anti-russische. Eine Produktionsfirma aus Deutschland hat das Material gesichtet, die Urheber ausfindig gemacht und das Ganze in dem Videotagebuch “My Revolution” zusammengefasst: verwackelte Videos zeigen 30 Minuten Revolution, kommentiert von den Aktivisten selbst. Berliner Gazette-Autorin Rebecca Barth berichtet.

*

Am Anfang ist auf dem Maidan in Kiew noch alles ruhig. Wir sehen wie Menschen singen und die Nationalflagge der Ukraine schwenken. Belegte Brote werden verteilt, Suppe ausgeschenkt, ein paar Frauen und Männer wärmen sich am Feuer auf, andere spielen Fußball.

Dann kommt es zu den ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Die Leute beginnen sich zu organisieren. Sie seien müde, sagen die Aktivisten. Sie hätten einfach genug von dieser korrupten Regierung und von den gewalttätigen Übergriffen der Sicherheitskräfte. Sie schlagen Pflastersteine aus dem Boden, um sie an die errichteten Barrikaden zu bringen. Die Übergriffe auf Verletzte in Krankenhäusern, Entführungen, Folter und Mord hätten schließlich zur Radikalisierung der Bewegung beigetragen, heißt es in der Doku.

Es bilden sich Gruppierungen, die sich direkt mit der Polizei auseinandersetzen, um den Maidan zu verteidigen. Die Aufnahmen zeigen wie die Lage in Kiew eskaliert: Schüsse fallen, verwundete, leblos wirkende Körper liegen auf der Straße. Helfer versuchen zu den Opfern zu gelangen und sie fortzutragen. Auch ein Geistlicher ist zu sehen, wie er hinter einem Schild Schutz sucht.

Nach den heftigen Zusammenstößen und den vielen Toten seien die Menschen erschöpft, viele weinen, einige benötigen psychologische Unterstützung, berichten zwei Filmemacher aus Polen. Die Stimmung auf dem Maidan ist depressiv, die anfängliche Hoffnung ist allgemeiner Trauer und Wut gewichen. Das Video zeigt Blumen und Kerzen auf dem Maidan. Fotos der Getöteten hängen über ihnen.

Wer hat auf die Demonstranten geschossen? Welche politischen Gruppierungen demonstrieren dort? Das dreißigminütige Online-Video “My Revolution” gibt darauf keine Antworten. Die Dokumentation über die Proteste in der Ukraine zeichnet nach, wie es zu den gewalttätigen Ausschreitungen mit fast 100 Toten kam.

Eine Vielzahl von Augenzeugen

Die Produktionsfirma ECO Media hat dieses dokumentarische Videotagebuch mit Hilfe von Bloggern, Journalisten und Aktivisten erstellt. Es zeigt die Ereignisse auf dem Maidan von Ende September an bis zur Flucht Janukowitschs und der Ankunft russischer Soldaten auf der Krim.

Das Video besteht ausschießlich aus privatem, mit Handykameras aufgenommenem Bildmaterial, hinterlegter Musik und den Kommentaren und Schilderungen der Blogger selbst. Sie führten über Skype Interviews mit der Produktionsfirma, diese wurden in dem Video mit den Aufnahmen kombiniert. Alle Personen, die in der Videodokumentation vorkommen sind Augenzeugen, die teilweise seit Beginn der Demonstrationen an diesen teilnehmen.

Sie geben persönliche Eindrücke über ihre eigene Motivation, über ihre eigenen Ansichten und Einschätzungen der politischen Lage. Auch sie rätseln, wer die Scharfschützen waren, die auf die Demonstranten geschossen haben. “Ich denke nicht, dass Ukrainer auf ihre eigenen Leute schießen könnten”, sagt einer von ihnen.

“The Revolution won’t be televised”

“My Revolution” dokumentiert aus der Sichtweise der Aktivisten und Blogger. Obwohl weder konkrete Fragen gestellt, noch beantwortet und obwohl weder Interviews mit Anti-Maidan-Demonstranten noch mit Politikern oder Polizisten geführt werden, ist dieses Video sehr sehenswert, da es aus einer Vielzahl persönlicher Perspektiven berichtet.

Wie der Spiegel bereits bemerkt: Gil Scott-Herons berühmtes Zitat “The Revolution won’t be televised” ist schon lange nicht mehr aktuell. Selbstgedrehte Videos, die es in die Abendnachrichten schaffen, kennen wir spätestens seit dem 11. September. Auch aus Syrien, der Türkei und Iran kennen wir diese verwackelten Bilder, die sich schnell über das Internet verbreiten.

Daraus ergeben sich für den Nutzer Möglichkeiten sich unabhängig von den traditionellen Medien zu informieren. Dabei gelten Berichte von Bloggern und anderen Aktivisten jedoch nicht als Ersatz für professionelle Berichterstattung. Sondern als Ergänzung, wie Regisseur Stephan Lamby erzählt.

Im abendlichen Nachrichtenprogramm angekommen

Bei der Flut an Informationen, die man über Twitter, Youtube und andere Plattformen in Windeseile verbreiten kann, ist es schwer, diese Informationen einzuordnen und zu verifizieren. Während der Proteste im Iran wurde so Neda Soltani fälschlicherweise für tot erklärt. Die Nachricht verbreitete sich rasend schnell über den Erdball und sie wurde zunächst zu einer Ikone des Protestes.

Verwackelte, private Aufnahmen werden längst im abendlichen Nachrichtenprogramm gezeigt. Dadurch wirkt das Berichtete oft viel authentischer. Zum Problem wird jedoch, dass diese Videos aus dem Zusammenhang gerissen werden können. Häufig können wir genau zuordnen, was gerade genau passiert, beziehungsweise welche Personen oder Gruppierungen involviert sind. Dies wurde während der Syrienkrise einmal mehr deutlicher. Damals wurden im deutschen wie im russischen Fernsehen Bilder von Toten und Verletzten gezeigt. Aufgenommen von Augenzeugen. Die Bilder ähnelten sich ungemein, die Berichterstattung jedoch war eine völlig andere.

Derartige Aufnahmen sind also mit Vorsicht zu genießen. Nichtsdestotrotz bietet derartiges Material einen einzigartigen, persönlichen Einblick in die Geschehnisse, wie das Video “My Revolution” am Beispiel der revolutionären Umwälzungen am Maidan zeigt.

2 Kommentare zu “30 Minuten Revolution: Verwackelte Videos, kommentiert von den Aktivisten selbst

  1. @Karl Hungus: Da kann man Ihnen zustimmen, allerdings wird in dem Artikel durchaus angesprochen, dass das Video lediglich eine Sicht auf die Dinge zeigt.
    Bsp.:
    1)”Sie [die Blogger] geben persönliche Eindrücke über ihre eigene Motivation, über ihre eigenen Ansichten und Einschätzungen der politischen Lage.”
    2)”weder Interviews mit Anti-Maidan-Demonstranten noch mit Politikern oder Polizisten”
    3) “Derartige Aufnahmen sind also mit Vorsicht zu genießen”
    (…)

    In dem Artikel wird mehrmals darauf hingewiesen, dass das Video nur eine Perspektive behandelt (ergo: blendet rechte Gruppierungen aus, beziehungsweise weist unzureichend auf deren Einfluss und Rolle auf dem Maidan hin/kennzeichnet diese unzureichend).

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.