Mondo English

Von den heute gesprochenen 6.500 Sprachen werden in den naechsten 50 bis 100 Jahren zwei Drittel ausgestorben sein. Pessimisten sprechen sogar davon, dass es in den naechsten 100 Jahren nur noch 600 Sprachen geben soll. Tendenz sinkend. Und noch nie hatte das Englische einen so grossen internationalen Einfluss wie heute.

Die Angst vor dem Englischen als Lingua Franca, die alle anderen ethnischen Sprachen verschlingt, steigt. Wir setzten den Pinsel an und malen ein Schreckensszenario: Englisch verlaesst seinen Posten als Zweitsprache, erobert erhobenen Hauptes das Treppchen und schwingt sich zur allgemeinen internationalen Erstsprache auf. Wird Uebersetzung redundant, wenn alles standardisiert wird?

Bei meinen Recherchen zum Sprachensterben stosse ich auf David Crystal, der als einer der bekanntesten Sprachwissenschaftler gilt. Obwohl Crystal davon ausgeht, dass Englisch als einheitliche Weltsprache realitaetsfern ist, betont er die Bedrohung der Sprachenvielfalt, die von der Globalisierung ausgeht. Dass er dabei nicht gerade Franzoesisch oder Chinesisch im Hinterkopf hat, duerfte einleuchten. Denn die Vorstellung, dass sich Kulturnationen wie Frankreich und China Englisch als Erstsprache aufzwingen lassen, scheint so unvorstellbar, wie der Gedanke, dass die Welt demnaechst nur noch deutsches Vollkornbrot verspeist.

Dennoch: Der Untergang lokaler Kulturen im Zuge der Globalisierung bedeutet auch den Untergang diverser Sprachen. Geo-politische und geo-kulturelle Entwicklungen sehen in erster Linie >kleine< Kulturen sterben, die sich eine eigene Nationalsprache - man mag sie als Luxus der Industriegesellschaften bezeichnen - nicht mehr leisten koennen. Dort hat die Ausbreitung von Englisch die groessten Chancen. Dort findet eine neue, weiche Form der Kolonisierung statt, wie sie in Zeiten des British Empire, in denen die Verbreitung des Englischen erstmals globale Ausmasse annahm, niemals denkbar gewesen waere. Ein Zukunftsszenario: Nationen erfinden sich noch einmal neu. Die eigene Sprache bleibt auf der Strecke. Die neue Amtsprache entsteht aus einer Hybridisierung der Nationalsprache und des Englischen: Bastard-Derivate des Englischen, Mischungen und Versionen des Englischen, die danach schreien, als eigene Sprachen anerkannt zu werden. Und nicht als fehlgeleitete, falsch erzogene Lingo-Kinder angesehen zu werden, die nur darauf warten, an das Normsystem des First World English angepasst zu werden. Beispiele aus der Vergangenheit waeren Nigeria und die Karibik, wo sich englischbasierte Nationalsprachen entwickelt haben, die vom Standard abweichen. Sie sind stolz und kaempfen um Anerkennung, wissen aber auch: Selbst als David im englischsprachigen Weltsystem liegt es ihnen quasi naturgegeben auf der Zunge, aktiv mitzumischen. Ein anderes Phaenomen der englischsprachigen Globalisierung ist die Verbreitung von Broken English. Alle koennen Englisch. Alle zumindest ein bisschen. Derzeit zaehlt man etwa eine Milliarde Nicht-Muttersprachler. Touristen, Migranten, Internetnutzer. Insbesondere letztere duerften sich bereits heute wie in einer rein englischsprachigen Welt fuehlen: Das WWW spricht zu 75 Prozent die Lingua Franca. Aber wie? Fuer viele eine Frage von >wie gut<. Aber: Auch auf dieser Basis entstehen Derivate und Mischformen, die neue Hybride gebaeren. Diese werden in lokalen Slangs gross und beeinflussen die Standards des Mainstreams. Die Aneignung des Englischen unter japanischen Hip Hoppern [Japlish], kalifornischen Chicano-Gangs [Spanglish], Handy-ausgestatteten InderInnen [Hinglish]. Sind diese Derivate die besten Belege dafuer, dass Welt-Englisch schlechtes Englisch ist, oder haben auch sie eine Daseinsberechtigung als eigenstaendige Sprachen? Je mehr das Englische Verbreitung findet, je staerker dadurch das Sterben anderer Sprachen beguenstigt wird, desto groesser wird der Pool an Englisch-Varianten. Die Frage, die damit einhergeht, ist nicht nur wie wir die existierenden Sprachen erhalten koennen, sondern auch ob man jene neuen Spielarten als Sprachen anerkennt. Ob man auch sie pflegen sollte. Ob auch fuer sie Uebersetzer geschult werden sollten. Kurz: Die Dominanz und die zunehmende Verbreitung des Englischen gebiert nicht nur Schreckensbilder, sondern leitet auch eine sehr konstruktive Auseinandersetzung mit der Sprache an sich ein. Wirft Fragen nach Definition, Politik und Zukunft von Sprache auf. Wir sollten diese historische Chance nutzen. Und zum Schluss noch eine gute und eine schlechte Nachricht: Wie immer die schlechte zuerst: Sprachen sterben auch aufgrund von Bevoelkerungsrueckgang und - wie bereits allgemein bekannt - steht nicht nur Deutschland sondern auch der USA ein erheblicher Bevoelkerungsschwund im 21. Jahrhundert bevor. Wer jetzt nur Spanisch versteht, der sollte nun nicht auch noch anfangen Englisch zu lernen.

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