Hyper-Lokal: Mit Zierfischen im Haifischbecken

In der Redaktion einer Tageszeitung geht es hart zu. Der Chefredakteur macht Druck, jeder Artikel erfordert knallharte Recherche und die Arbeitszeiten sind unregelmäßig. So jedenfalls stellte ich es mir vor. Bis ich ein Praktikum in der Lokalzeitung meiner Heimatstadt begann.

“Die zwei hier sind Einspalter. So 20 Zeilen langen. Und bitte keinen Fachjargon. Ich weiß, du kommst von der Uni, aber den sprachlichen Anspruch stellen wir hier nicht”. Verdutzt blicke ich ihn an. Der Mitarbeiter der “unabhängigen und überparteilichen” Tageszeitung meiner Heimatstadt wirkt einfach gestrickt. Genauso wie sein verblichener Wollpulli. Seine Frisur stammt wahrscheinlich noch aus den 80er Jahren. Von mir aus. Soll ja schließlich auch die hintersten Hinterwäldler aus meinem Heimatdorf ansprechen.

Als die neue Praktikantin darf ich mich zunächst mit der Ankündigung einer Zierfischbörse des Vereins der Aquarien- und Terrarien-Freunde beschäftigen. Dann überlässt mir der Wollpulli die Rubrik “Kurz notiert”. Nach 40 Minuten bin ich mit insgesamt vier Meldungen durch. Auf der Suche nach meinem Ansprechpartner für das Praktikum gerate ich zufällig in hitzige Debatten um ein für die Jugendseite geplantes Filmquiz. Weil mir nichts besseres einfällt, setzte ich mich dazu. Gefordert sein ist etwas anderes.

Mittagspause statt Burnout

“Heute ist einfach nichts los. Kann ja nicht jeden Tag ein Amoklauf kommen.”, meint ein Redakteur trocken. “Geh doch erst einmal in die Mittagspause – ist ja schon fast halb eins.” Eineinhalb Stunden gammle ich durch die Innenstadt. Irgendwie zu lange zum Essen. Als ich schließlich zehn Minuten zu früh zurück bin, ist keiner da. Die nehmen die Pause wirklich ernst. Nichts von wegen abgehetzte Journalisten, die von einem Termin zum nächsten jagen. Irgendwie passt hier nichts und niemand auf die Klischees, die ich von einen Redaktionsalltag im Kopf hatte…

Kurz darauf erscheint der Praktikantenbetreuer auf der Bildfläche. Ein Artikel zum Thema Mülltrennung wird in zwei Tagen der Aufmacher für den Regionalteil. Endlich mal ein interessantes Thema. Immerhin hat es etwas mit Umweltschutz zu tun. Ich darf die Recherche zu Zahlen und Fakten der Mülltrennung im Landkreis übernehmen. Mit einem Fotografen werde ich dann sogar zum örtlichen Wertstofffhof geschickt um den Gemeindemitarbeiter und die vom Mülltrennen geplagten Bürger zu befragen. Seltsamerweise wird der gelbe Sack hier strickt abgelehnt – trotz der Mühen, alles einzeln in die Container werfen zu müssen.

Auf Kriegsfuß mit dem gelben Sack

“Wenn die Leute ihre Verpackungen selbst im Recyclinghof sortieren, ist es sicherer. In der Stadt kommt das ja alles nur zusammen”, versichert mir eine engagierte Anwohnerin. Ich schmunzle über diesen dörflichen Glauben, dass man selbst in der Hand hat, was wirklich mit dem Müll geschieht, und darf anschließend – zwei Stunden vor offiziellem Redaktionsschluss – nach Hause gehen. Den Artikel muss ich erst morgen schreiben. So läuft das in der Provinz.

8 Kommentare zu “Hyper-Lokal: Mit Zierfischen im Haifischbecken

  1. Was für Vorstellungen hattest Du denn davon, wie es in so einer Redaktion abläuft?

  2. Ich habe selbst meine erste Begegnung mit dem Journalismus bei der Lokalzeitung in meiner Heimatstadt gemacht – dort ging es auch eher gemütlich zu. Doch auch später in der großen Stadt habe ich bei einer großen Zeitung gearbeitet und festgestellt: Man kann auch hier ne ruhige Kugel schieben, wenn man will. Wichtig ist eher: Was willst du selbst als Journalistin machen? Es wird dich ja auch in der Lokalzeitung niemand davon abhalten, eigene Themen vorzuschlagen, die du interessant findest und hinter die du dich klemmst. Von daher – man kann aus jedem Praktikum was rausholen! Also viel Glück für den Rest deiner Zeit bei der Provinzzeitung – oder ist das Praktikum schon vorbei?

  3. Danke erst mal für eure Feedback… Nun ja, man erwartet grundsätzlich trotzdem guten Journalismus, ich will nicht übertheblich klingen wennn ich das sage, aber leider musste ich erfahren, dass in dieser Lokalzeitung dann doch häufig Themen oder extra große Fotos nur als Lückenfüller genutzt wurden. Aber andererseits hat mir die Redaktion auch die Chance geboten, viel selbstständig zu schreiben und es gab dann für mich doch einiges zu tun… ^^ Als ich Freitag mein Praktikum beendet habe, wurde mir sogar eine freie Mitarbeit bei der Kulturredaktion angeboten :-)

  4. arg zynisch dieser Bericht, ich finde es allerdings nicht in Ordnung, dass Du am Ende verallgemeinerst: so läuft das in der Provinz. Denn spannend ist Deine persönliche und spezifische Erfahrung, Du erlebst eine Art Kulturschock, wow, aber dann plötzlich “überall ist das so im Hinterland” umzusteigen ist sowohl im Journalismus und in der Wissenschaft einfach inakteptabel.!

  5. Provinz gleich zurückgeblieben und lahm, also nicht nur geografisch, sondern auch mental und kulturell “Hinterland” — das ist ein ziemlich ausgelutschtes Klischee und zudem eines, dass längst als überholt gilt, insofern ist der Artikel eine Belastungsprobe für meine Toleranz gegenüber Klischees. Aber ich spüre eine gewisse Liebe gegenüber dieser hier beschriebenen Provinz, insofern ein Spiel mit dem Klischee, das ironisch gebrochen ist und so.

  6. Nun ja, das spiel mit den Klischees ist wirklich alt, das stimmt! Aber wie Reinald K. schon gesagt hat, es ist meien Heimat und ich mag die Stadt und mein Dorf trotzdem sehr. Vielleicht hätte ich diese zwei Punkte (also Vururteil von Lokalzeitung etc. vs. Heimatliebe) besser gegenüber stellen können, das hat gefehlt…

  7. man sollte nicht vergessen, das lokaler journalismus sowie journalismus aus der provinz wahnsinnig viel zukunftspotenzial zugesprochen wird, weil dort die geschichten liegen, die sich im einheitsbrei der informationsströme abheben und ein ganz konkretes (potenziell wachsendes) publikum haben

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