Migrationshintergrund Deluxe

Nun bin ich uebertroffen worden. Frueher war ich noch >Halbchinesin<. Das war Anfang der 70er Jahre. Damals war ich >halb-und-halb<, also halb-chinesisch und halb-deutsch, denn mein Vater kommt aus China, meine Mutter aus Deutschland.

Mitte der 90er Jahre las ich in den Zeitungen, dass sich die juengere Generation biethnischer Kinder nicht als >halb-halb<, sondern als >voll< bezeichnet. Das leuchtet mir irgendwie ein. Seitdem bin ich oft voll, manchmal mehr biethnisch, manchmal deviant und anschliessend hybrid. Meistens fuehle ich mich niederlaendisch. Die Bindestrich-Identitaeten und das komplexe Gewebe aus allem, was einen ausmacht, sind eine taeglich Ueberforderung, wenn man es wirklich ernst meint. Und viele in diesem Land meinen es damit sehr ernst. Nun liest Layla Shah in Berlin aus ihrem Roman >Brit and Brown< und gilt als Identitaeten-Herausforderung - unabsichtlich. Layla Shah ist gebuertige Britin, ihre Eltern kommen aus Neuseeland und von den Fidschiinseln mit indischer Anstammung. Sie hat in Dubai und Hongkong gelebt und gearbeitet. Layla Shah hat also einen Migrationshintergrund de luxe. In ihrem Roman >Brit and Brown< thematisiert sie die multinationale Familiengeschichte oder besser -tragoedie, denn ihr Bruder stirbt mit 33 Jahren, und das >Warum?< seines Todes ist die Leitfrage des Romans. Der Bruder, genannt >Ant<, war chaotisch, unberechenbar und hochintelligent, wurde erfolgreicher Rechtsanwalt und hatte Frau und Kind. Kurz vor seinem Tod hatte er nur noch Schulden, seine Frau floh mit Kind vorher schon nach Australien. Hat ihn seine Drogensucht ins Unglueck gestuerzt oder litt er an Depressionen? Wurde er von der englischen Gesellschaft je wirklich anerkannt? Hat er nur den Wunschvorstellungen seiner Eltern entsprochen? Wer war er wirklich? Diese Fragen beschaeftigen die beiden Schwestern Layla und Silly seither und dabei entfalten sie ein Bild einer Familie in London am Ende des 20. Jahrhunderts, in der die Kinder an britischen Universitaeten studieren, auf muslimische Hochzeiten gehen, Ausfluege mit indischen Freunden des Vaters aus dem Fiji Social Club machten, und die Mutter Franzoesisch unterrichtete, waehrend der Vater seinen drei Kindern kein Hindi und Urdu beibringt. Die Fragen, was es heisst, britisch zu sein, wo es anfaengt und wo es aufhoert, durchziehen die Familiengeschichte. Layla Shah lebt mittlerweile in Hamburg, und wahrscheinlich fuehlt sie sich auch chinesisch. [Anm. d. Red.: Am heutigen Abend gibt es eine Lesung mit der Autorin im km36.]

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