Migrationsgeschichten

Mein Vater ist Schriftsteller, Dichter in erster Linie, also bin ich zu grossem Respekt vor der Sprache erzogen worden. Aber die Sprache funktioniert auf unergruendliche Weise …

Ich habe zwei Sommer, 1986 und 1988, in Berlin verbracht, als mein Vater ein DAAD-Stipendium hatte. Es waren zwei bezaubernde Sommer, die einen grossen Eindruck hinterlassen haben. Wiederum einige Jahre spaeter habe ich erstmals Deutsch studiert, am Goethe-Institut in Mexiko Stadt. Ich habe immer deutschsprachige Literatur geliebt und wollte meine Lieblingswerke im Original lesen.

Im Maerz 2003 bin ich dann nach Berlin umgezogen. Ich hatte mein Doktorat in Oxford fertig gemacht und wollte mich ganz auf mein eigenes Schreiben konzentrieren. Ich hatte Berlin immer sehr gern, hatte Freunde hier und war neugierig auf das Alltagsleben. Nach fast sieben Jahren in England war ich fuer eine Veraenderung bereit.

Das Deutsch, das ich im Goethe-Institut und in Buechern gelernt hatte, war natuerlich ganz anders als die Alltagsprache hier in Berlin. An diese musste ich mich zunaechst gewoehnen. Ich habe Woerter wie >schmachten< benutzt - im Ausland hat man halt keine Ahnung, was gebraeuchlich ist. Und natuerlich musste ich auch ein bisschen Umgangssprache lernen. Deutsch ist fuer mich von einer literarischen Sprache nun auch zu einem alltaeglichen Kommunikationsmittel geworden. Weil meine Mutter aus New York kommt und mein Vater aus Mexiko, habe ich zwei Muttersprachen: Englisch und Spanisch. In Berlin wechsle ich auch jeden Tag zwischen den Sprachen hin und her; es kommt auf die Situation an und mit wem ich spreche. Manchmal ist es fuer mich ein bisschen verwirrend, zum Beispiel, wenn Franzoesisch, das frueher immer meine >Hauptfremdsprache< war, hinzukommt. Dann wird alles ein bisschen schizophren. In solchen Momenten fuehle ich mich so, als haette ich eine Fremdsprachenabteilung in meinem Kopf. Die Sprachen vermischen sich, und manche Woerter werden ploetzlich fluechtig. Ich arbeite teilzeit als Uebersetzerin fuer das >internationale literaturfestival berlin<. Seit meiner Kindheit moechte ich aber vor allem eines sein: Schriftstellerin. Ueber meine Eltern habe ich viele Autoren kennengelernt, Menschen wie Borges, Ted Hughes und Paul Auster. Es war immer sehr inspirierend diese grossen Schriftsteller zu treffen. Ich beobachtete meinen Vater, wie er am Schreibtisch sass, und dachte, eines Tages will ich auch ein solches Leben fuehren. Nachdem ich die Zeit zwischen meinem zwanzigsten und dreissigsten Lebensjahr in der akademischen Welt verbracht hatte, fing ich an, ganztaegig zu schreiben. [Waehrend meiner Doktorarbeit habe ich zwei Romane geschrieben, aber sie liegen ganz tief in der Schublade.] Mein erstes veroeffentlichtes Buch war ein Sachbuch, basierend auf der Doktorarbeit, ueber Magie und Lyrik im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Es ist gut moeglich, dass das Schreiben eine Art Anker fuer mich ist, inmitten von so vielen Wanderungen. Manchmal identifiziere ich mich mit drei wandernden Tierarten, die jedes Jahr nach Mexiko fliegen oder schwimmen: der Monarchschmetterling, der Grauwal und die Seeschildkroete. Es ist merkwuerdig, in einer Sprache zu schreiben wenn man den ganzen Tag von einer anderen umgeben ist. Seltsamerweise habe ich, als ich nach Deutschland gezogen bin, eine Annaeherung an meine eigenen Sprachen erfahren. Vielleicht gehe ich nun bewusster um mit dem, was ich sage und schreibe, weil ich mehr in meiner Gedankenwelt eingeschlossen bin. Auf Deutsch lese ich vor allem Lyrik - u.a. Rilke, Celan, Trakl, Hoelderlin, aber auch die Prosa von Autoren wie Kafka, Musil, Thomas Bernhard, Robert Walser, Mann, Benjamin, Joseph Roth, etc. Haeufig lese ich morgens ein bisschen, bevor ich mich an den Schreibtisch setze. Wie die Woerter, die ich gelesen habe nachhallen, kann ich nicht sagen. Konkrete Beispiele sind schwer zu nennen, aber es gibt auf jeden Fall Echos. Mehr als die Sprache selbst, beeinflusst mich der Inhalt und die Autoren als Vertreter der deutschen Sprache. Mein neuer Roman spielt in Berlin, mit Rueckblenden nach Mexiko Stadt im Jahr 1988, zwei Schilderungen, die sich parallel entwickeln. Es ist aber nicht so autobiographisch, wie es klingt, dennoch, das versteht sich wohl von selbst, finden sich darin meine eigenen Erfahrungern wieder. Ein Zentralmotiv ist die kulturelle und staedtische Entfremdung, die die Protagonistin erfaehrt, ungeachtet davon, wo immer sie hin geht. Meine Kurzgeschichten spielen auch an verschiedenen Orten, in denen ich gelebt habe, unter anderem in Mexiko, England, Deutschland. Jedes Land beschwoert seine eigenen Charaktere und Atmosphaeren herauf. Meine Grosseltern haben alle Migrationsgeschichten: Die Grosseltern meiner Mutter waren Juden aus St. Petersburg und Galizien, die um 1900 in die USA ausgewandert sind. Mein Grossvater vaeterlicherseits war ein Grieche, der der griechischen Minderheit in Kleinasien angehoerte. Nach dem Krieg gegen die Tuerken ist er erst nach Bruessel und dann nach Mexiko ausgewandert. Ich vermute, dass alle diese Geschichten unterbewusst immer anwesend sind. Mein ganzes Leben ist von der Mischung der Kulturen gepraegt. Insofern denke ich, dass das Motiv der Bruecke zwischen den Kulturen auf jeden Fall eine grosse Rolle in meinem Schreiben spielt. Bis zu einem gewissen Grad verkoerpert Alexander von Humboldt fuer mich die Verbindung zwischen Deutschland und Mexiko, der alten und der neuen Welt, und durch seine Forschung und sein Schreiben hat er neue Dialoge in Gang gebracht. Hier in Berlin, ist das Iberoamerikanisches Institut eines der besten Beispiele, welches diese Dialoge zwischen den Kulturen und Wissenschaften foerdert.

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