Meine letzte Evakuierung

Ungluecklicherweise war ich waehrend des Erdbebens in China/Chengdu, gluecklicherweise ist uns nichts passiert – mal abgesehen von einem Schrecken, wenn das Gebaeude ploetzlich hin und her wankt, was sich aber als Luxusproblem entpuppte, nachdem wir von dem Ausmass der Katastrophe erfuhren.

Von den Bildern in den Medien beeinflusst und aufgrund der starken Nachbeben rieten uns Freunde und Familie, uns bei der Deutschen Botschaft zu melden. Mein erster Gedanke war >Das kann ich mir nicht leisten!<. Denn sofort hatte ich meine letzte >Evakuierung< aus China waehrend der Unruhen in Beijing 1989 vor Augen, die ich als Studentin jahrelang in Raten abzahlen durfte. Als ich damals bei der Deutschen Botschaft anrief und fragte, wie ich zum Flughafen in Beijing kommen sollte, um evakuiert zu werden, war die Antwort, ich solle zunaechst mit dem Fahrrad zur Botschaft fahren und dort uebernachten, sie haetten leider keine Autos und kein Benzin mehr. Dabei war der Fuhrpark das Alleinstellungsmerkmal der Deutschen Botschaft gewesen, auf interessante Architektur hatte man seinerzeit verzichtet. Quer durch die Stadt an Panzern mit Soldaten vorbeiradeln, die geladene Maschinenpistolen auf die Vorbeifahrenden richteten, fand ich als Evakuierungsmass- nahme merkwuerdig und konnte zum Glueck einen Platz in einem Auto der Kanadischen Botschaft ergattern. Ich winkte den thailaendischen und japanischen Studenten zu, die mit Bussen aus dem Studentenwohnheim direkt zum Flughafen gefahren wurden. Ich fuhr von der Kanadischen Botschaft zur Englischen und dann zum Flughafen, wo ich uebernachtete. Am naechsten Morgen drueckte mir ein deutscher Mitarbeiter der Botschaft ein Single-Ticket der Lufthansa nach Frankfurt in die Hand, antwortete auf meine Frage, wie ich denn nach Berlin weiterkommen soll, lapidar: >Es ist alles geregelt!< und verschwand. In Frankfurt gelandet, suchte ich vergebens nach irgendeinem Schild oder einer Person, die mir und den anderen weiterhelfen konnte. Nix war geregelt und ich lief von Fluggast zu Fluggast, um zu hoeren, ob jemand nach Berlin fuhr. Ein weiteres Mal hatte ich Glueck bei dieser >Evakuierung<, denn ein Paedagoge am Kofferband ueberlegte gerade, sich einen Wagen zu mieten, um mit zwei Jungen, die er sozialpaedagogisch betreute, nach Berlin zu fahren. Ich heuerte an und bekam einen Platz. Auf der Fahrt habe ich viel gelernt ueber Erlebnispaedagogik mit schwererziehbaren Jugendlichen. Kurz nach meiner Ankunft in Berlin, erhielt ich auch schon die Rechnung fuer die >Evakuierung<, um das Lufthansa-Ticket, das natuerlich den dreifachen Preis kostete wegen der Gefahrenzulagen, zurueckzuzahlen. Nochmal Glueck gehabt, dass ich als Studentin Ratenzahlung bewilligt bekam. Sonst waere ich pleite. Ich sehe ein, dass ich meinen finanziellen Beitrag leisten muss, wenn ich in diesem Sommer in Afghanistan oder Kabul Ferien machen moechte, entfuehrt werde und Deutschland eine Million Loesegeld fuer mich zahlen muss. Aber evakuieren lasse ich mich nicht mehr.

2 Kommentare zu “Meine letzte Evakuierung

  1. das klingt wunderbar: wie ein echtes erlebnis, wie im film, wie weihnachten und man hat vergessen dem weihnachtsmann bescheid zu sagen.

  2. Vielen Dank für diesen informativen Erlebnisbericht. Ich wollte schon immer mal hinter die Kulissen der Evakuierungsmaschine blicken.

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