„Teilweise frei“: Wie unabhängige Medien in Georgien das Internet entdecken

Zwar ist die Pressefreiheit in Georgiens Verfassung verankert. Dennoch werden unabhängigen Medienorganisationen im Kampf gegen die großen, staatlich beeinflussten Medienkonzerne Steine in den Weg gelegt. Was ändert daran die Tatsache, dass das Internet in der transkaukasischen Region noch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt ist? Der Kommunikationsexperte und Journalist Adam Thomas berichtet.

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„Wir bedauern zutiefst die voreilige Einführung einer Regelung des zentralen Wahlkomitees, das Journalisten in ihrem Recht, ihre Arbeit in Wahllokalen auszuführen, beschränkt“, teilte Reporter ohne Grenzen während der georgischen Wahlen im Oktober 2012 mit. „Warum wurde es als notwendig erachtet, die Rechte der Medienvertreter am Wahltag einzuschränken?“

Ein Reporter in Georgien zu sein, ist nicht einfach, und genauso wenig eine unabhängige Medienorganisation zu leiten. Georgien liegt auf Platz 105 von 179 des aktuellen World Press Freedom Index, der von Reporter ohne Grenzen erstellt wird. Freedom House schätzt das Land als „teilweise frei“ ein, mit einem Pressefreiheitsgrad, der das Land an die 111. Stelle in der Welt setzt (eine Verbesserung zum Jahr davor).

Laut Nino Robakidze, einem Dozenten der Caucasus School of Media, „ist Georgiens Medienlandschaft noch vielen Problemen ausgesetzt, darunter das schwierige post-sowjetische Erbe, regelmäßige Eingriffe durch den Staat, unklare Besitzverhältnisse und erschwerter Zugang zu öffentlichen Informationen und Ausstrahlungslizenzen.“

Die Revolution darf nicht im Fernsehen ausgestrahlt werden

Eine der größten Herausforderungen für unabhängige Medien ist das Fehlen einer finanziellen Sicherheit und nachhaltigen Unterstützung. Wenn Medienorganisationen auf staatliche Zuschüsse als Almosen angewiesen sind, können sich freie Medien nicht so schnell entwickeln. Wenn man unabhängig arbeitet und keine staatlichen Almosen erhält, gerät man sofort ins Hintertreffen.

„Die Tatsache, dass unabhängige Medien kein Geld vom Staat nehmen sollten, sondern, wie alle Unternehmen, sich auf die Qualität seiner Produkte fokussieren sollte, um ihr Publikum zu vergrößern und Profite zu erwirtschaften, ist weit weithin akzeptiert”, sagt Nino Robakidze, „doch in Georgien entwickeln sich Medien nicht wie Unternehmen“.

Laut Freedom House arbeitet die Georgian National Communications Commission (GNCC), die die ausstrahlenden Medien reguliert und lizensiert, nicht unabhängig von politischen Einflüssen, da die Mitglieder vom Präsidenten ernannt werden: „Unabhängigkeit ist für Medienvertreter offensichtlich nur eingeschränkt möglich, denn die politische Orientierung der Medien ist so eng verbunden mit den Ansichten ihrer Besitzer. Die Schaffung einer wirklich unabhängigen Medienlandschaft, die sich in ihren Redaktionsstandards und investigativen Recherchen gegen Eingriffe der Inhaber absichert, ist eine der Hauptaufgaben, denen sich Georgien stellen muss.“

Doch bei den Menschen, mit denen wir in diesem Land zusammenarbeiten, stellten wir fest, dass sie ihre Unabhängigkeit als Verkaufsargument nutzen. Nino Robakidze glaubt, dass „direkte finanzielle Verbindungen zwischen den berühmtesten nationalen Sendern und der politischen Elite die Existenz einer elementaren Unabhängigkeit in den Redaktionen unmöglich machen“.

Wenn Unabhängigkeit das einzige Verkaufsargument ist, ist das für die Pressefreiheit eines Landes kein gutes Zeichen. Doch das ist wahrscheinlich besser, als gar kein Verkaufsargument zu haben. Die Unabhängigkeit in eine starke Marke umzuwandeln, ist unerlässlich für Georgien – ansprechend aussehende Webseiten und aktive Social-Media-Strategien helfen ihnen dabei, ihre Message zu verbreiten.

Der Kampf um Werbeeinnahmen

Das Publikum für unabhängige Nachrichtenquellen ist klein und könnte vielleicht durch wettbewerbsfähigere Medienunternehmen vergrößert werden, doch das ist nicht die einzige Aufgabe, die georgische Zeitungen, Radio- und TV-Sender zu bewältigen haben. Nino Robakidze behauptet, dass viele unabhängige Medien nicht als Unternehmen agieren können, weil sie Probleme haben, Firmen anzulocken, die bereit wären, staatlichen Druck zu riskieren, um bei ihnen Werbung zu schalten.

Diese Hypothese wird von Freedom House unterstützt. Sein Bericht von 2012 wies besorgt auf den Einfluss des Staates in den Medien hin. „Mitglieder des Ausschusses des staatlich geleiteten Öffentlichen Rundfunks Georgien (SSM), der Fernseh- und Radiosender betreibt, werden vom Präsidenten zugelassen, und sein größter TV-Sender, 1TV, wird weithin als parteiisch zugunsten der Regierung wahrgenommen. Der GPB hat einen deutlichen Vorteil gegenüber anderen Medien, dank der staatlichen Fördermittel, die er bekommt, obwohl im April 2011 ein Zusatz zum Rundfunkgesetz erlassen wurde, der ihm das Recht zur Ausstrahlung von Werbung aberkennt, mit einigen Ausnahmen.“

Neue Einnahmequellen zu finden, ein größeres Publikum zu erreichen und soziale Netzwerke aufzubauen sind nur einige der Strategien, die unabhängige Nachrichtenorganisationen in der Region verfolgen. Wenn es zu schwer ist, Werbeinnahmen zu generieren, können andere Modelle eine Option sein, auch wenn sie schwierig umzusetzen sind.

Wo sind die Leser?

Wie man sieht, ist die Verbreitung und das Publikum von unabhängigen Medien in Georgien klein. Kostengünstige Open-Source-Software kann Medienorganisationen, die nur geringe Ressourcen haben, mit Systemen ausstatten, die so einfach und leistungsfähig sind wie die der großen nationalen Zeitungen. Doch sie benötigen noch immer Leser, Zuhörer und Zuschauer.

„Eine große Anzahl privater Druckerzeugnisse operiert im Land und genießt generell redaktionelle Unabhängigkeit, doch sie haben eine sehr geringe Auflage”, sagt Freedom House. „Die Leserschaft von Magazinen nimmt zu, unterstützt durch ein neugefundenes Interesse an seriösen, analytischen Beiträgen. Radiosender sind allgemein frei und unabhängig.”

Die NGO Sourcefabric, die darauf spezialisiert ist, Open-Source-Tools für Online-Medien zu entwickeln, hat das Interesse georgischer Organisationen erkannt, ihren Output breiter zu fächern. Infolgedessen unterstützt Sourcefabric diese Medienorganisationen mit einer Reihe von Werkzeugen: Zum Beispiel durch das „Longread“-Format, das detailliertere Berichterstattung ermöglicht (und durch Tools wie Booktype vereinfacht wird) oder Modelle, die von Medienorganisationen wie dem WADR im Senegal eingeführt wurden, bei denen Radio und Internet zusammenarbeiten, um einen digitalen und analogen Kanal für Audio und schriftlichen Content zu liefern.

Gründe für Optimismus?

Die georgischen Medien haben nicht die größten Freiheiten, aber sie haben auch nicht das schlechteste Los und einige Leitlichter nutzen diesen Vorteil. Schließlich muss man sagen, dass die Verfassung die Pressefreiheit schützt und dass Georgien über eine der fortschrittlichsten Gesetzgebungen in dieser Region verfügt. Trotzdem gibt Freedom House zu bedenken, dass diese Gesetzgebung nur schwer durchgesetzt und bei seiner Vollziehung politisch beeinflusst werden kann. Reporter ohne Grenzen vermindert auch die Hoffnungen, indem es vor Polarisierung warnt.

„Georgien hat wahrscheinlich die freiste und vielseitigste Medienlandschaft in der Region. Trotzdem werden die Medien politisch beeinflusst und neutrale und objektive Nachrichten gibt es nur von wenigen Quellen. Obwohl es erst bei der Wahl bekannt wurde, spielte Polarisierung schon vorher in den Medien eine Rolle und beeinflusst Printmedien, die vielseitiger sind, genauso wie Radio und Fernsehen.”

Die Zukunft ist hier, die Zukunft ist online

Über 37 Prozent der Georgier nutzten 2011 das Internet (laut Freedom House) und – das ist entscheidend – das Internet ist, bis jetzt, noch keiner Einschränkung durch die Regierung ausgesetzt. Freedom House stellt fest, dass die digitale Landschaft von neueren Publikationen dominiert wird. Das bietet jungen Nachrichtenunternehmen eine große Spielwiese: „Während viele der in Tiflis sitzenden Zeitungen im Internet nicht aktiv sind, haben regionale Zeitungen ihre Online-Präsenz stetig ausgebaut, und Start-up-Web-Publikationen, wie die unabhängige Netgazeti, gewinnen Leser.”

Sourcefabric veranstaltete kürzlich #newsbeta Tbilisi, ein Event, das sich mit Möglichkeiten beschäftigte, die Webtechnologien Medienorganisationen bieten. Die Entwicklung digitaler Fähigkeiten und Strategien ermöglicht jungen, flexiblen Organisationen einen Vorsprung, da sie aus den Web-Usern und Werbung Einnahmen generieren können.

„Die Web-Portale von Nachrichten-Agenturen, wie Interpressnews.ge, werden hauptsächlich für faktenbasierte News und Social-Networking-Seiten, wie Facebook, spielen eine größere Rolle für das Verbreiten von Nachrichten und Informationen”, sagt Freedom House. „Die Einführung von Web-Tools bei traditionellen Medien wurde durch das generelle Fehlen von Wissen und Fähigkeiten bei Journalisten und Redakteuren, das für Online-Medien wichtig ist, erschwert.”

Mit nur sechs Vollzeitstellen sind Organisationen wie die mit Newscoop ausgestattete Netgazeti in der Lage, über sich hinaus zu wachsen, dank ihrem nachhaltigen Schwerpunkt auf investigativem Journalismus, einem 24-Stunden-Publikationsrhythmus und der Einbindung von Social Media. Sie generieren enormen Traffic von Facebook, ein großer Teil davon aus dem Ausland, und daher wächst auch das Interesse Werbetreibender aus dem Ausland.

Das Internet scheint die richtige Umgebung zu sein, in der eine unabhängige Zukunft für georgische Nachrichten und Journalismus möglich ist. Neue Werbemodelle, dynamischere Content-Kanäle und größeres soziales Engagement lassen die Zukunft der neuen Welle von Medienorganisationen rosig erscheinen.

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in unserem Dossier Zeitung 2.0. Der Verfasser des Texts arbeitet bei Sourcefabric. Die NGO engagiert sich verstärkt in dieser Region, was sich auch darin ausdrückt, dass das letzte Newscoop-Release nach dem georgischen Wort für das Land benannt ist: Sakartvelo. Der Text erschien in englischer Sprache im Sourcefabric-Blog und wurde von Sarah Curth ins Deutsche übersetzt. Die Fotos stammen von gato-gato-gato und stehen unter einer Creative Commons Lizenz.

Ein Kommentar zu “„Teilweise frei“: Wie unabhängige Medien in Georgien das Internet entdecken

  1. ich hatte keine Ahnung von der georgischen Medienlandschaft, danke für den Einblick!!!

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