Maschinen sprechen eigentlich Deutsch

Meine Muttersprache ist zwar Niederlaendisch, aber im Laufe der Jahre kamen immer mehr englische Woerter hinzu – bei uns Zuhause waren immer viele internationale Gaeste zu Besuch. Popmusik hat dabei auch eine wichtige Rolle gespielt, vor allem die fremden Klaenge der Schallplattensammlung meiner Eltern. In Amsterdam Mitte und Ende der 1960er Jahre als Kind aufzuwachsen, war etwas Besonderes: Die ganze Politik-, Drogen- und Sexrevolution vor der eigenen Tuer mitzuerleben, war schon sehr praegend. Mein Vater war damals viel unterwegs und lernte in dieser Zeit Russisch und Italienisch. Ich dagegen interessierte mich fuer Deutsch.

Meine Liebe fuer die deutsche Sprache und Kultur kam allerdings erst auf, als ich 14 war. Natuerlich spielte der Zweite Weltkrieg eine entscheidende Rolle. Ich wollte die Vorkriegszeit verstehen und nicht nur einfach die Deutschen hassen fuer das, was sie getan hatten, wie die meisten aus meiner Generation. Man muss in Holland schon ein ziemlicher Einzelgaenger sein, um sich mit der deutschen Sprache und Kultur auseinander setzen zu koennen. Aber es gibt genuegend Megaindividualisten wie mich. Das Problem ist, dass wir uns in der Oeffentlichkeit nicht zu dieser Leidenschaft bekennen koennen.

Seit 25 Jahren komme ich nun regelmaessig nach Berlin, manchmal ein paar Mal im Jahr. Dreimal lebte ich in dieser Stadt sogar ein ganzes Jahr, 1983 bis 1984, 1990 bis 1991 und 2005 bis 2006. Als ich in von 2000 bis 2004 in Australien wohnte, habe ich es trotzdem geschafft, einmal im Jahr in Berlin oder irgendwo anders auf deutschsprachigem Boden zu sein. Deutschland ist meine geistige Heimat. Automatisch kehre ich immer wieder dorthin zurueck. Anfangs war es die Hausbesetzerbewegung, dann die Medientheorie, Mitte der 1990er schliesslich die Netzkritik zusammen mit Pit Schultz, der in Berlin wohnt. Zuletzt hat mich meine eigene Forschung zur Netzkultur wieder in die deutsche Hauptstadt verschlagen, genauer ans Wissenschaftskolleg. Der rote Faden in dieser Geschichte ist meine kritische Medienpraxis. Es ist eine Art der Reflektion, die es in Amsterdam kaum gibt. Da zaehlt nur das Machen.

Was die deutsche Sprache anbetrifft, ging es mir immer wieder ums Ueberwinden der Angst vor Grammatikfehlern. 1986, als ich einmal kurze Zeit Hollandkorrespondent fuer die taz war, musste ich Berichte auf Deutsch verfassen. Dafuer habe ich einen Deutschkurs gemacht. Das Ergebnis war schockierend: mindestens ein Fehler pro Satz. Da wird man schnell depressiv. Viele kapitulieren. Ich habe das aber nicht gemacht. Mitte der 90er Jahre waren meine Deutschkenntnisse vermutlich am besten. Es war damals eindeutig meine Zweitsprache, interessanterweise nicht das Englische. Dann aber ging es bergab, weil ich in der Zeit die Entscheidung treffen musste, nur noch auf Englisch zu schreiben. Das hatte klare wirtschaftliche Gruende. Das Internet ging los und ich wusste einfach nicht mehr, wie ich die ganzen Uebersetzungen von Niederlaendisch und Deutsch ins Englische organisieren und finanzieren sollte. Diese Frage beschaeftigt mich immer noch, aber mittlerweile in der umgekehrten Richtung.

Wenigstens in den 90er Jahren habe ich mich als Teil der deutschsprachigen Kultur verstanden. Manche wuerden mich als engagierten Outsider bezeichnen oder eben als Insider, der sich im Abseits bewegt. Egal. Heutzutage ist es ja unwichtig, wo man ist. Entscheidend ist, in welcher Kultur man sich positioniert. Der Einfluss der deutschsprachigen Theorie auf meine Arbeit war und ist immens gross, das steht ausser Frage. Ich muss aber feststellen, dass er in den letzten fuenf Jahren stetig abgenommen hat. Das hat weniger etwas mit meinem Australienaufenthalt zu tun, als vielmehr mit der generellen Verflachung der intellektuellen Kultur in Deutschland. In der Tat, alles geht bergab, sitzt fest im Reformstau, globalisiert nicht so richtig, bleibt provinziell und so weiter. Irgendwann wird es aber uninteressant, die ganzen Klagen zu lesen.

Es wuerde Sinn ergeben, Deutsch als Sprache der Maschinen zu etablieren. Denke an Volkswagen, BMW und Mercedes! Und an den Einfluss, den der deutsche Maschinenbau weltweit hat. Ohne deutsche Maschinen gaebe es dieses Wachstum in China gar nicht. Da sehe ich viele Moeglichkeiten. Das Problem ist aber, dass die Sprache der Technologie Englisch ist und sich da derzeit wenig machen laesst.

Waehrend meiner Zeit am Wissenschaftskolleg in Berlin habe ich mein naechstes Buch zu Ende geschrieben – ich musste das Manuskript auf Englisch verfassen, das geht heutzutage leider nicht anders. In der naechsten Zeit habe ich vor, mich mit dem Internet und globalen Sprachen zu befassen. Ich mache das zusammen mit Gerard Goggin in Sydney, der sich auch fuer dieses Thema interessiert. Es geht dabei um die gaengige These, das Englische reisse die Weltherrschaft an sich und das Internet sei sein Vehikel – das Ganze soll aus der Netzperspektive angegangen werden.

Wenn ich mir Blogs und die so genannten Social Networks wie MySpace und Flickr anschaue, faellt mir immer wieder auf, wie sprachlich begrenzt und laenderbedingt diese Webseiten sind – die wenigen Ausnahmen mal ausgenommen. Blogs gibt es nur in der jeweiligen Muttersprache. Nur ganz wenige kommunizieren auf Englisch. Die meisten Seiten sind auf Japanisch, Deutsch, Portugiesisch, Chinesisch usw. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Die Annahme, dass mit dem Internet alle auf einmal anfangen Englisch zu schreiben, stimmt einfach nicht. Reden, vielleicht. Lesen, ja, wer weiss. Aber bestimmt nicht Schreiben.

Worauf es meiner Erfahrung nach ankommt, ist eben in erster Linie das Schreiben. Die endgueltige Meisterung einer Fremdsprache zeigt sich im Schreiben. Das gilt genauso fuer die Hollaender. Fast alle Studenten, die ich an der Universitaet betreue, schreiben ihre Abschlussarbeit und Doktorarbeit auf Englisch. Erst dann bemerken sie, wie schlecht ihr Englisch eigentlich ist. Deswegen wuerde ich in den Schulen noch frueher mit Fremdsprachen anfangen. Tatsache ist aber, dass sich die meisten nicht mal fehlerfrei schriftlich in ihrer Muttersprache ausdruecken koennen.

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