Man kann Euch nicht hoeren

Alle sind sich einig: Bilder dominieren unsere Realitaet. Seit letzter Woche auch Bilder von Demonstranten, die durch die Felder ziehen. Naturverbunden, impressionistisch, geradzu romantisch verklaert. Protest – geht da doch was? 5, 27, 956. Ich habe sie gezaehlt. Mehr Demonstranten sind auf einem Bild nicht unterzubringen. Mehr muessten also auch nicht Schauflaufen, um [das naechste Mal] der Gegenmacht ein Gesicht zu verleihen. Wenn es nur um Bilder ginge.

Ich bin der Meinung, es geht um mehr. Oder vielmehr: Bilderregimes fuehren zu genau der Haltung, die der Protest jenseits seiner Fotogenitaet aufzubrechen vermag: Eine isolierte, im Reich der Zeichen beheimatete Macht, die ihre virtuelle Inszenierung notfalls mit Gewalt durchsetzt. Haende weg vom Zaun! G8-Gipfel, das waren acht Menschen plus gelandene Gaeste im Container des im wahrsten Sinne des Wortes Big Brother-TV. Fortsetzung folgt.

>Ich will nerven< hatte ein Blockierer auf der Fahrt nach Heiligendamm gesagt. Es macht einen Unterschied, ob 5, 27 oder 956 Menschen nerven. Nicht so sehr fuer die Bilder. Sondern fuer die Blase der Machtinszenierung. Wenn naemlich nicht nur Tausende, wie bei den Heiligendamm-Blockaden, sondern Hunderttausende oder Millionen mitmachen, wird die Membran, die >uns< von der Elite trennt, durchlaessiger. Allein der Klang des marschierenden Heeres wird sie erschuettern. Ein weiteres G8-Protest-Fazit: Mehr akustische Aktionen!

5 Kommentare zu “Man kann Euch nicht hoeren

  1. interessante beobachtung/fragestellung: werden bilder überbewertet? wie bewertet man sie “richtig”? welche rolle spielen töne, v.a. bei laufenden bildern kommen sie ja auch schon ins spiel (TV, etc.)? welche rolle spielt eigentlich das radio in diesem zusammenhang? in anschluss an den beitrag von marc james mueller muesste man auch nach der rolle von sprache fragen. alles in allem, und das wäre mein fazit, machen es sich einige beobachter/kommentatoren zu einfach. man kann nicht alles (die macht) auf die bilder reduzieren und auch nicht auf eine monokausale wirkungsweise des visuellen, man muss die intermedialen verstrickungen in betracht ziehen und deren soio-psychologische dimension—

  2. Keine lange theoretische Erklärung, warum ich nach wie vor die Bilder für das Wesentliche halte, sondern ein einfaches Beispiel: Nehmen wir an George W. Bush hätte eine Affäre mit einer Praktikantin. Im ersten Fall schreibe ich nur darüber, jeder wird sagen, ob das wohl stimmt? Kann ja jeder einfach so behaupten. Im zweiten Fall liefere ich den Soundtrack, man hört “Oh Georgie, give it to me” und “Yes Linda, yes!” und Gestöhne. Jeder wird sagen, das kann ja sonstwer sein und sonstwo aufgenommen. Im dritten Fall veröffentliche ich nur ein Foto von George W. Bush, wie ihm gerade Linda die Praktikantin einen bläßt. Niemand wird daran zweifeln, obwohl auch dieses Bild per Computer erstellt sein könnte, aber genau darauf sind wir noch nicht eingestellt.

  3. @tobias: das vertrauen an die bilder gerade als beweismittel ist spätestens seit den irak-kriegen, in denen an unterschiedlichen stellen beweisfotos verwendet worden und später als fakes entlarvt worden sind, gesunken, wenn nicht sogar abhanden gekommen. bilder haben eine große macht, aber so sehr sie blenden wissen wir auch meistens dass sie es tun und setzen uns diesem rausch der sinne bewusst aus. es ist ein zynisches, nihlistisches verhältnis zu bildern, das wir haben. gerade weil die macht der bilder so enorm ist, nehmen wir sie nicht für voll. auch das ist generation “du mich auch!” http://www.berlinergazette.de/?p=304

    @simon: ich denke auch, dass man macht (hier die macht der bilder) nicht mit der logik des “mono” erklären kann. macht heutzutage ist immer multi: multikausal, multizentrisch, multimedial. insofern: ich würde die analyse der politischen macht, die auf den begriff des empire gebracht worden ist, auch auf die welt der zeichen übertragen: “empire of signs” wie barthes vor einigen dekaden eines seiner buecher betitelt hat, ohne damit genau dasselbe zu meinen. bilder sind im reich der zeichen ein player unter vielen: auf der ebene der staatlichen politik wäre die analogie in den USA zu finden; auf der eben der multisektorialen machtanalyse wäre die analogie im kapital zu finden. also meintewegen stets “ein” klassenprimus, aber nicht “der”, sondern eben nur einer von vielen.

  4. wenn ich so über das ganze nachdenke, komme ich nicht umhin, mir die demonstration in rostock in erinnerung zu rufen, magdalena hatte ja darüber geschrieben: http://www.berlinergazette.de/?p=297
    bei dieser demo spielte ein hubschrauber eine wichtigerolle (siehe magdalenas bericht). eine ungeheure gewalt ging von diesem hubschrauiber aus. doch in nur sehr wenigen berichten von der demo wurde er erwähnt, thematisiert als problem wurde er kaum, fotos von diesem “geier” gab sowieso nicht in den medien zu sehen, warum? diese “gewalt” war akustischer natur. vielleicht haben sich alle zu sehr auf (die logik der) bilder eingeschossen, um ihrer angemessen gewahr zu werden, um ihr angemessen zu begegnen. wie man sie angemessen repräsentiert, ist nochmal eine ganz andere frage. fotos vom erdboden allein helfen da nicht wirklich weiter. ich habe es zumindest versucht und bin daran kläglich gescheitert. aus dem bild, das ich mit meiner digicam machte, “spricht” nicht der terror, den wir am 2.6. erlebt haben.

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