Mahlzeit in Uebersee

Ich bin Mitarbeiter in dem kambodschanischen Restaurant >Angkor Wat<, das meinem Onkel gehoert. Eigentlich ist er nicht mein Onkel, er ist aber wie ein Onkel fuer mich, manchmal sogar wie ein Vater. Asiaten sehen oft einen aelteren Bekannten, der sich um sie kuemmert, mehr als einen Verwandten, denn als einen Bekannten. Meine Familie [Eltern, Geschwister, Grosseltern, etc.] wurden waehrend der Zeit unter Pol Pot ermordet, ich bin der einzige Ueberlebende aus meiner Familie. Im Februar des Jahres 1988 bin ich in die ehemalige DDR gekommen, um dort eine Ausbildung als Werkzeugmacher zu absolvieren. Doch so einfach, wie es sich jetzt anhoert, war es nicht.

Nach dem Krieg habe ich meinen Onkel wieder gefunden und er hat mich adoptiert und in seiner Familie aufgenommen. Ich bin wieder zur Schule gegangen und habe fleissig gelernt. Mein grosser Traum war es, im Ausland zu studieren. Mein Onkel hat mich in meinem Wunsch bestaerkt und mir die Antragsformulare mitgebracht. Die Laender, die zur Auswahl standen, waren die Sowjetunion [Russland], Polen, Tschechoslowakei, Kuba und die DDR. Eine der Vorrausetzungen fuer einen Studienaufenthalt im Ausland war der Abschluss der 10. Klasse. Der erste Antrag war kein Erfolg und ich war sehr enttaeuscht. Doch mein Onkel sagte mir, ich solle geduldig sein und weiter lernen und es im naechsten Jahr noch mal probieren. Ein Jahr spaeter bin ich nach Hause gekommen und mein Onkel war guter Laune. Nach dem Essen sollte ich noch bei ihm bleiben und er sagte mir, dass ich im Ausland studieren koenne. Ich fragte wo und er sagte >DDR<. Welchen Beruf man erlernen wuerde, konnte man zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht sagen. Zehn Studenten konnten in jenem Jahr in der DDR lernen. Kurze Zeit spaeter wurde bekannt, dass ich Werkzeugmacher lernen wuerde und ich war sehr gluecklich, weil ich auch mit Maschinen arbeiten konnte, wie mein Vater es einst getan hat. Mein Vater war Ingenieur gewesen. Als Werkzeugmacher konnte ich sein Erbe fortfuehren. Noch in Phnom Penh habe ich mir ein Lehrbuch fuer die deutsche Sprache auf dem Markt gekauft. Und dann ging alles auch ganz schnell. Wir sind mit dem Auto von Phnom Penh nach Saigon gefahren und nach einigen Tagen nach Hanoi geflogen. Von dort sind wir ueber Leningrad nach Berlin-Schoenefeld geflogen. Dort haben unsere Betreuer uns abgeholt und wir sind nach Neubrandenburg gefahren, wo wir einen Sprachkurs absolvierten. Nach dem Sprachkurs sind wir in unser neues Zuhause in einem kleinen Ort bei Weimar umgezogen. Dort habe ich gelernt und in einem Betrieb gearbeitet. Die Ausbildung, die Umgebung, die Landschaft haben mir sehr gut gefallen und auch mit den deutschen Lehrlingen habe ich mich gut verstanden. Leider konnte ich meine Ausbildung nicht zu Ende bringen, weil im Herbst 1989 die Wende kam. 1991 waere ich mit meiner Ausbildung fertig gewesen. Doch noch heute habe ich freundschaftlichen Kontakt mit meinen Betreuern und meinem Meister. Mein Vater hat mir immer ein kambodschanisches Sprichwort gesagt: Auch wenn das Schiff ablegt, bleibt das Ufer. Nach der Wende habe ich auch den Besitzer des Restaurants >Angkor Wat< kennen gelernt und arbeite nun fuer ihn. 1990 wurde das Restaurant eroeffnet. Seit fast 20 Jahren lebe ich nun schon in Deutschland, habe die deutsche Staatsbuergerschaft und empfinde Deutschland als meine zweite Heimat. Es ist am Anfang nicht einfach mit den Deutschen warm zu werden, doch wenn man einmal ihr Vertrauen gewonnen hat, kann man auf sie zaehlen und sie stehen einem mit Rat und Tat zur Seite. Sie sind korrekte Menschen. Manchmal, wenn ich Kambodscha besuche, sehne ich mich nach Deutschland zurueck. Hier sind meine Freunde, ich kann in Cafes und ins Kino gehen. Ich kann shoppen gehen, was vor kurzem in Kambodscha noch schwierig war. Vor zwei Jahren habe ich meine Frau kennen gelernt. Sie ist auch aus Kambodscha. Zusammen haben wir eine kleine Tochter. Ich bin auch der Vorsitzende der Studiengemeinschaft Kambodschanische Kultur e.V. [SGKK] in Berlin und ich helfe auch in dem Verein Kambodschahilfe e.V. mit. Beide Vereine konzentrieren sich mittlerweile auf die Hilfe fuer Kambodscha. Die SGKK repraesentiert ausserdem die kambodschanische Kultur in Deutschland. Eine unserer groessten Veranstaltungen ist das Khmer-Neujahr im April eines jeden Jahres. Nach dem Krieg und den schwierigen Zeiten in Kambodscha muss man dem Land und den Leuten helfen, mit finanziellen Mitteln, Arbeitskraft, Wissen, und Oeffentlichkeitsarbeit. Mit unserem Restaurant >Angkor Wat< tragen wir dazu bei, die kambodschanische [Ess-]Kultur in Deutschland, speziell in Berlin zu verbreiten. Die Leute kommen in unser Restaurant, um einen Vorgeschmack auf das Land zu bekommen und sie kommen nach ihrem Aufenthalt wieder zu uns, um die einmalige Kultur Kambodschas noch ein bisschen zu spueren. Manche entscheiden sich sogar erst, nach einem Besuch im >Angkor Wat< [Paulstrasse 22, 10557 Berlin-Tiergarten], das wirkliche Kambodscha, seine Menschen und Kultur zu erleben.

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