Liquid, click it, you can lick it

Als ich das Internet erstmals im Jahr 1991 benutzte – damals auf VM/CMS-Terminals und einen EARN/Bitnet-Gateway im Rechenzentrum der Universitaet Konstanz -, existierten nautische Metaphern, soweit ich mich erinnere, nicht. Die damals bestehenden Dienste E-Mail, FTP, IRC und Usenet basierten auf den Metaphern der Post, des Datentransfers, des Chats und der Diskussionsgruppen. Die erste nautische Metapher, die ich erinnere, kam im Jahr 1994 mit der ersten Version des Netscape Navigator in die Welt.

Das World Wide Web war zu dieser Zeit noch ein experimentelles Medium und ueber langsame, instabile Modemverbindungen und unterdimensionierte PCs nur muehsam lesbar. Dennoch war es ein Durchbruch. Mit meiner Vergangenheit als Fanzine- und Mail Art-Netzwerker war ich schon in den spaeten 1980er Jahren an vernetztem elektronischen Publizieren als antikommerziellem Medium interessiert.

In der Praxis scheiterte es an Inkompatibilitaeten zwischen Betriebssystemen, Dokumenten- und Diskettenformaten. Komplexe Dokumente waren in proprietaeren Formaten wie HyperCard oder StorySpace gefangen, aber selbst einfaches ASCII war in seiner Codierung inkompatibel zwischen verschiedenen Betriebssystemen. Dennoch waren in der fruehen Zeit des World Wide Web so genannte Mailboxen- bzw. Bulletin Board Systems [wie z.B. FastBreeder/European Counter Network, W.A.S.T.E./The Thing, Bionic/Zerberus], die voellig ausserhalb des Internets als private PCs mit Modemanschluss betrieben wurden, interessanter und reicher als kuenstlerische, subkulturelle und aktivistische Publikations- und Diskussionsforen.

Ich konnte mit den fruehen Cyberpunk- und spaeteren Matrix-Metaphern nichts anfangen, ebenso wenig wie mit der verwandten Rhizom-Denkfigur – die ihre nicht unfragwuerdigen Urahnen [um nicht zu sagen: Wurzeln] in Henri Bergsons vitalistischem >Elan vital< und Wyndham Lewis >vortex< haben. Empathische Begriffe der Datenstroeme sind mir daher suspekt. Der Gebrauch des Internets ist kein Tauchen, Surfen oder Navigieren, sondern schlicht Arbeiten mit digitaler Information auf Netzwerkcomputern. Die Navigations- und Surfmetaphern nutzen sich schnell ab. Als erklaerende Begriffskruecke sind sie schon lange nicht mehr noetig. Wer heute noch ernsthaft behauptet, er tauche in den Strudel des Cyberspace ein, wenn er Webseiten liest, macht sich laecherlich. Man kann diese Metaphern daher getrost als 90er-Jahre-Kitsch ad acta legen - oder als retrofuturistischen Kitsch ironisch wieder beleben. Ich halte es altmodisch mit Umberto Ecos Klassifikation des katholischen und protestantischen Nutzerinterface, und falle als GNU/Linux-Kommandozeilenmensch und atheistischer Protestant unweigerlich in die zweite Kategorie. Die Entwicklung graphischer Benutzeroberflaechen stagniert, konzeptionell und funktionell gesehen, seit zwanzig Jahren. Ihr Xerox-PARC-Erfinder Alan Kay ging es um ein modulares visuelles SmallTalk-System mit Programmen, die Nutzer aus Modulen selbst zusammenstoepseln konnten. Apple liess dies beim ersten Macintosh aus Kostengruenden weg. Mac OS X oder Windows Vista, die auf heutiger 30 Gigaflop-PC-Hardware laufen [die im Jahr 1990 noch den Rechenleistungsrekord fuer Supercomputer gebrochen haette], bieten immer noch nichts Vergleichbares. Stattdessen fristet Kays System heute unter dem Namen >Squeak< ein Hacker-Nischendesign, so denn man nicht gleich auf die Unix-Kommandozeile fluechtet, die ebenfalls dem Lego-Paradigma des selbstgebauten statt der Playmobil-Logik des gebrauchsfertigen Spielzeugs folgt. Stattdessen uebertuenchen Apple und Microsoft, aber auch KDE und Gnome unter Linux, ihre funktionelle Stagnation mit visuellen Effekten, die im taeglichen Gebrauch hauptsaechlich nerven und laestig sind - wie bei einem Auto, dessen Lenkrad man mit Chrom ueberzieht. Kennt man sich in der Computerindustrie aus, weiss man, dass diese Entwicklungen allein vom Marketing getrieben sind. Es geht darum, dem Kaeufer im Elektronikmarkt sehen zu lassen, dass der neue Computer auch wirklich >neu< ist und >mehr kann<. Ich koennte es nicht besser formulieren als mein ehemaliger Rotterdammer Student Jorrit Sybesma in seiner Seminararbeit >The Sad Loss of Abstraction in User Interfaces<, der >car-pimping bling-bling subcultures< zum Vergleich heranzieht und die unendlich rekursive Verkaufs-Logik von Soft- und Hardware beschreibt: >The OS requires new hardware and the new hardware requires new software again. A perfect self-fulfilling cycle<. Im Falle des Macintosh zielen visuelles Hardware- und GUI-Design vor allem darauf ab, eine optische Einheit zu bilden und den Computer als organisch geschlossenes Ganzes erscheinen zu lassen. Genau dies, das Versprechen, sich nicht mehr mit Inkompatibilitaeten frei kombinierbarer Hardwarekomponenten sowie zwischen Hardware und Software abplagen zu muessen, ist der >selling point< des Macintosh seit 1984. Auch das Aqua-Interface folgt dieser Logik. In den Worten von Jorrit Sybesma: >For Apple to argument to use the Aqua-interface was actually quite plain and simple. Jonathan Ive designed the original iMac in 1998, which had translucent and transparent elements, combined with shiny colours. On that iMac the boring and grey MacOS 8.5 was installed, which did not reflect the Think different approach by Apple. During the same time OS X was in development, first in the same grey colour-scheme, very late in the process of development, a liquid, click it, you can lick it -look was introduced.< Die Stilisierung des Computers als Aquarium schliesst konsequent an die traditionelle Funktion des Fernsehers als Aquarium an. In ihr verkoerpert sich der auch >Konvergenz< genannte Anspruch der Computerindustrie, den Personal Computer als universelles Wohnzimmerunterhaltungsgeraet zu kanonisieren und, mit Enzensberger gesprochen, zu einem weiteren >Nullmedium< - oder, nach Nam June Paik, zum leeren Zen-Meditationsgegenstand zu machen.

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