Schwarze Sonne: Warum wir die Berliner Volksbühne als linke Meme-Maschine brauchen

Unter dem Theater-Genie Frank Castorf war die Berliner Volksbühne nicht zuletzt eine Meme-Maschine, die es geschafft hat, linke Ideen viral zu verbreiten. Jetzt, da diese Ära zu Ende geht, gibt es eine neue Petition, die fordert, alles neu zu verhandeln. Doch worum kann es noch gehen? Der Theatermacher und Berliner Gazette-Autor Alexander Karschnia geht der Sache nach.

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Nach Trumps Triumph musste die linke und liberale Öffentlichkeit sich eingestehen, dass ihr ein Gegner entstanden war, den sie bislang kaum zur Kenntnis genommen hatte: die Alt-Right-Bewegung, internetaffine Rechtsextreme, die allen Ernstes glauben, durch ihre memes (Text-Visuals) Trump zum Präsidenten ge-shit-postet zu haben.

„Can the Left meme?“ ist daher eine zur Zeit heiß diskutierte Frage. Wenn jemand eine Antwort darauf hatte – nein: war –, dann die Berliner Volksbühne. Von dem von Bert Neumann entworfenen Räuberrad-Logo bis zu den Lettern OST auf dem Dach hat das Haus genau so ein „iteratives ästhetisches Vehikel“ geschaffen: ein „Meme“, das sich – wie in der Evolutionsbiologie von Dawkins – „von Gehirn zu Gehirn fortpflanzt“.

Meme-Maschine Volksbühne

Es tauchte überall auf, als Aufkleber, Streichholzschachteln, auf T-Shirts – es wurde, was es war: ein Gaunerzinken. Ein öffentliches Geheimzeichen. Diesem Genie-Streich, ein by-product von Frank Castorfs Inszenierung von Schillers Räuber aus dem Jahre 1990, ist die Antwort, auf eine Frage, die sich erst 27 Jahre später stellt – am Ende der Ära. (Breaking News während ich diesen Text schreibe: Das Rad wird gerade abgebaut! Kurz danach Entwarnung: Versuch abgebrochen.)

Würde die alt-right die Volksbühne kennen – sie müsste sie als Feind (an)erkennen, als Kraft, die ihr gewachsen ist. More than that, die Volksbühne ist der Inbegriff all dessen, was von der alt-right über die Nouvelle Droite, die sog. Neue Rechte bis zum Massenmörder Breivik bekämpft wird: der „Kulturmarxismus“. Dahinter verbirgt sich meistens nur eine paranoide Angst vor der Offenen Gesellschaft, aber im Fall der Volksbühne hat dieser Begriff zur Abwechslung mal einen Sinn.

Der Volksbühne konnte man vieles vorwerfen, aber nicht, „liberal“ gewesen zu sein. Sie war immer radikal – zeitgenössisch: nie tagesaktuell, sondern ihrer Zeit zugleich voraus und hinterher – like a walking wheel… Für den Frankfurter Schule geschulten Dramaturgen Carl Hegemann war das Laufrad wahrscheinlich das Symbol einer Dialektik im Stillstand. Nun ist es genau dieser Einfluss der Frankfurter Schule, den sich der globale Neofaschismus zum Feind erklärt haben.

Die Linke konnte mal memen

Ja, es gab eine Zeit, da konnte die Linke memen: 1968ff., when the Philsophmeme of Kritischen Theorie went viral… Aber was dem einen eine Dialektik im Stillstand, ist dem andren Stasis: der Bürgerkrieg. Eine Zeit, die keinen Unterschied mehr kennen möchte zwischen lechts und rinks, muss vielleicht daran erinnert werden, dass es mal eine Alternative gab zum Krieg-aller-gegen-alle: die Revolution.

Nun haben zu viele Linke diesen Unterschied vergessen und konnten sich selbst zu sehr begeistern für den Bürgerkrieg, dass es kaum noch verwundert, dass irgendwann die Frontlinien verwischten und nur noch „Extremisten“ übrig blieben und eine liberale „Mitte“. In Zeiten, in denen der so genannte gesellschaftliche Zusammenhang schwindet, könnte es jedoch überlebenswichtig werden, eine Alternative zum Bürgerkrieg zu formulieren – sie muss auch nicht „Revolution“ heißen (sondern „wahre Demokratie“ oder so)… Finden wir dann auch noch ein Bild dafür, könnte sie glatt ein „meme“ werden! Voraussetzung dafür ist, dass wir nicht defaitisch werden und uns unsinnige Fragen fragen wie „Can the Left meme?“ Darauf gibt es nur eine klare Antwort: Try to beat the peace-sign! Oder das A mit dem Kreis drumrum.

„Tötet Helmut Kohl!“

Ein highlight der letzten Tage der Volksbühne war die Uraufführung von Kathrin Krottenthalers Film über Christoph Schlingensiefs Partei-Projekt CHANCE 2000 aus dem Wahljahr 1998. Timing, wieder mal: im Wahljahr, wenige Tage vorm Ende der Ära, wenige Tage nach dem Tod des Ewigen Kanzlers, kurz vor Merkels endgültiger Kohlwerdung. War doch Schlingensiefs Schlachtruf „Tötet Helmut Kohl!“ bei der documenta ’97 der Auftakt zu einem einmaligen politisch-ästhetischen Experiment: „Wähle Dich selbst! Wir wissen wie das geht. Scheitern als Chance!“ Meme, again…

Als Hommage an Schlingensief hatte die Künstlerin Ute Bella Donna ein Protestcamp auf dem Vorplatz errichtet: CHANCE 2017 – Besetze Dich selbst! Du bist das Camp! Das ist nur konsequent – unmöglich, die Bilder der Protestcamps des Jahres 2011, von New York bis Frankfurt/Main and beyond zu sehen und nicht an CHANCE 2000 denken: „Beweise, dass es Dich gibt!“ Während Schlingensief von den Minderheiten sprach, die mittlerweile zusammen die Mehrheit besitzen (Arbeitslose, Behinderte usw.), sind dort die Verschuldeten, Vernetzten, Verwahrten und Vertretenen (vgl. Negri / Hardt: Demokratie! Wofür wir kämpfen) ins Licht der Öffentlichkeit getreten.

Leider nur eine Kunstaktion für einen Nachmittag. Genau das hätte ich mir gewünscht: ein Protestcamp vor der Volksbühne: „BESETZT!“ Andrerseits war am Ende des Tages auch CHANCE 2000 nur eine Kunstaktion, die auf das Fehlen einer politischen Bewegung reagierte, nämlich auf das Ausbleiben der Proteste einer Arbeitslosenbewegung wie in Frankreich. Aber auch eine Kunstaktion kann ganz reale Effekte produzieren.

Wohin wir jetzt gehen?

20 Jahre später hat dieses Ausbleiben eine ganz reale Partei hervorgebracht: die AfD in Deutschland, En Marche in Frankreich. Wenn man heute den Kanzlerkandidat Axel Silber nochmal erleben darf im Kreise der anderen Kleinstparteien der Wahl ’98, drängt sich der Gedanke auf, dass viele von ihnen heute in der AfD wären. Als Schlingensief am Wahltag seinen „Abschied von Deutschland“ nahm und auf die 12.6 Prozent „Sonstige“ in der Wahlstatistik verwies, denkt man jetzt unwillkürlich, dass das in etwa die Stärke der AfD sein könnte. What has happened? DON’T LOOK BACK rief der Chor bei Pollesch. Auf dem Nachhauseweg fällt mir ein Titel von Ephraim Kishon ein: „Drehen Sie sich um, Frau Lot!“

Wohin wir jetzt gehen? „Eines ist doch klar“, sagt Martin Wuttke in Polleschs DARK STAR, die letzte Premiere in der Volksbühne, „auf keinen Fall weiter!“ Das Weiter! der europäischen Expansion hat die Menschen immer weiter nach Westen getrieben, bis nach California, an die Mauer des Pazifiks, dort ist die Welle zurückgeschwappt ins Innere, in psychedelische Innenwelten. Ab da ging es nicht mehr weiter nach vorne, sondern nur noch tiefer nach drinnen. Vielleicht kann man das als Resümee ziehen aus Polleschs Arbeiten – der grandiose Versuch, draußen zu bleiben, den Blick nicht nach innen zu richten. Das ist Brecht fürs 21. Jahrhundert.

Folgt jetzt, da der letzte instabile Planet zerstört ist, die Implosion? Die Angst ist berechtigt – war die Volksbühne doch immer das Beispiel: ein anderes Theater ist möglich! Aber auf einmal wird sie zum Inbegriff des Stadttheaters erklärt, zum Hort des deutschsprachigen Sprechtheaters, als Ensemblebetrieb mit einem Repertoire usw.

Und auf einmal geht es nicht mehr um die Volksbühne, sondern gegen die Freie Szene – ihr wird vorgeworfen, genau diese Stadttheaterstrukturen zu zerstören.

Um den Schmerz über den Verlust kommt die Wut über false friends der Volksbühne, die ihre Geschichte schon vor ihrem Ende umfälschen – als wäre es nicht erklärtes Ziel gewesen, diese Institution genauso zu zerlegen und falsch wieder zusammen zu setzen wie die Klassiker, nachdem Castorf mit ihnen fertig ist.

Scheitern als Chance

Natürlich hat auch der Traditionsbruch Tradition: der Junge Wilde Brecht (Materialwerttheorie der Klassiker usw.). Heute ist Castorf zugleich Wagner & Bakunin, der ausruft: „Die Lust an der Zerstörung ist eine schöpferische Leidenschaft!“ – und das Opernhaus abfackelt. The truth is: „Scheitern als Chance“ war das Motto der Volksbühne from the very start – und sein Erfolgsrezept. Man muss sagen: Castorf hat das deutsche Stadttheatersystem erneuert – nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Brecht wollte mehr: Brecht wollte „Neuerungen“ einführen, statt nur zu „erneuern“. Er wollte den ganzen Apparat umfunktionieren, um die gesamte Energie umzulenken, auf politische Ziele. Auch das ist passiert, wenngleich weniger planvoll, als sich das Brecht vorgestellt hat: Die Volksbühne hat eine unglaubliche Energie freigesetzt. Die gesamte Freie Szene, so wie wir sie heute kennen, ist in dieser Zeit entstanden: eine Generation illegitimer Kinder. Voller Hassliebe & Liebeshass. Wir haben tagsüber gegen das Stadttheater geschimpft und sind nachts nach Berlin gepilgert an den Rosa Luxemburg Platz.

Aber das ist lange her – Mitte der 1990er Jahre. Denn irgendwann haben wir verstanden, dass es genauso eine Institution braucht als Rahmen, um diese kreativ-destruktive Kraft zu entfesseln – gegen genau diesen Rahmen. Aber auch, dass wir uns eigne Orte schaffen müssen, freie Produktionshäuser, in denen anders gearbeitet werden kann, selbstbestimmt, in kollektiven Strukturen, usw. (Sophiensaele, HAU usw.) Dann kam Pollesch an die Volksbühne: einer „von uns“. Erst am Prater, dann auf die Große Bühne. Und ist zu ganz neuen ungeahnten Höhen aufgestiegen. Dass so was möglich war ist der große Verdienst der Volksbühne.

Es geht um die Produktionsmittel

Denn spätestens seitdem, also seit zehn Jahren, greifen die alten Gegenüberstellungen nicht mehr, sind vollkommen außer Kraft gesetzt. Dafür gilt es zu kämpfen: Vergesst die alten Kategorien, es geht – wie immer – um die Produktionsmittel: Die Volksbühne ist ein Produktionsort, ausgestattet mit Mitteln, von denen die Freie Szene nur träumen kann, mit unglaublichen Gewerken, manpower, brainpower – sie hat nicht nur Castorf zu Castorf gemacht, sondern Marthaler, Schlingensief, Pollesch, Vinge, Fritsch usw. Ein Kraftwerk. Eine schwarze Sonne.

Jetzt ist es raus, das Programm der neuen Leitung ist da und es ist klar: Die Volksbühne wird kein Ort der Produktion mehr sein. Zumindest keiner Produktion im starken Sinne, „produktionsproletarisch“ wie Castorf das wohl nennen würde: Da wird nix outgesourced, da reicht das Ensemble bis zum Technikteam. Man könnte sogar fragen, ob sie nicht das eigentliche Ensemble sind? Dieses Zusammenspiel: Bühnenbild, Licht, Ton, Technik, Text, Design als kompaktes „Produktionsproletariat“ konnte eben nur in einem Haus entstehen, auf dem fett OST stand und das direkt neben einem Gebäude residiert, in dem eine Partei wohnt, die für viele nur „die“ Partei war. Das war Berlin, das wird es nie mehr sein – aber der „lange Weg nach Mitte“ (Diederichsen), der wurde schon vor vielen Jahren angetreten. Das ist der Lauf der Welt.

Aber ein Produktionsort, der nichts produziert, zerstört sich selbst. Er implodiert. Wenn all die Brocken und Teilchen, all die memes, die die Volksbühne mit jeder Produktion in die Welt geschleudert hat, ihre Richtung wechseln und in das schwarze Loch stürzen – was dann? Oder ist das schon Kulturpessismus? Hoffentlich nicht, denn Kulturpessimismus ist immer konterrevolutionär.

Das ist die gegenwärtige Herausforderung: verzweifelt zu sein, aber nicht kulturpessimistisch zu werden! Am Ende des Tages geht es nicht um Gebäude, sondern um den Geist – er wird neue Zeichen finden, Gaunerzinken, new memes: Meme der Produktion! OST ist Geschichte, WEST aber auch. Vergessen wir nicht, was auf Marcuses Grabstein steht: WEITERMACHEN! Ergänzen wir: auch wenn es nicht mehr weiter geht. Und wenn wir auf der Stelle treten: Hauptsache es geht nicht nach innen! Denkt dran, was man früher zu den Hunden gesagt hat: WIR MÜSSEN DRAUSSEN BLEIBEN! Ich liebe Euch doch alle! Scheitern als Chance! CHANCE 2020.

Anm. d. Red.: Am 28.6. hat die Theaterwissenschaftlerin eine Petition gestartet, die sich an den Berliner Kultursenator Klaus Lederer wendet und eine Neuverhandlung der Zukunft der Volksbühne fordert. Am 1. Juli wird es am Rosa-Luxemburg-Platz ein großes Straßen-Abschiedsfest geben. Lesen Sie weitere Texte zum Thema in unserem Dossier Wem gehört die Bühne des Volkes? Das Foto stammt von Krystian Woznicki und steht unter CC-Lizenz.

13 Kommentare zu “Schwarze Sonne: Warum wir die Berliner Volksbühne als linke Meme-Maschine brauchen

  1. Nicht dass es mich sonderlich interessieren würde, sie zu “seh-lesen” aber: Gibt es denn rechte Meme? Sind die nicht alle nach erfolgreicher Mem-Piraterie nach rechts gedreht? Gut, das Lambda der IB ist ein Mem-Hit: Sieht aber deutlich nach dem Emblem der SA aus.
    Ist es nicht das, was sich die Neue Rechte auch kulturhegemonial wünscht: Den großen, braunen Haufen draufzusetzen auf das linksversiffte Regenbogen-Trallala und nicht nur zu shitstormen?

    Was wäre eine freie Assoziation der Kulturproduzenten? Könnten sich alle freien Produktionshäuser – jeweils in Selbstverwaltung – nicht die Produktionsmittel teilen? Dabei wäre die VoBü die traditionelle Allmende, der Forst, die Festwiese, den kein einzelner abholzen oder sonswie übervorteilen darf, sondern den alle nutzen und der allen Nutzen bringt – frei nach Elinor Oström.

  2. well, das hakenkreuz. aber das ist natürlich auch nur ein akt der piraterie, wie wir alle wissen: indische symbolik, ein pervertiertes sexsymbol usw. (s. wilhelm reich). und reaktiv – reagiert auf hammer & sichel. taucht dann schon auf den stahlhelmen der freikorps-gruppen auf. aber zugleich das A mit dem kreis bei den interbrigaden: a-anti-antifascista… das IB-lambda erinnert einfach an fraternities in den USA, vielleicht auch gewollt. ansonsten ist es einfach die schwundform von peace-sign zu merces benz zum dach ohne haus.

  3. Der Diskurs um die „Volksbühne“ und deren letzten Matador Castorf, ist er nicht auch der krampfhafte Versuch, nicht das Ende einer bürgerlichen Gesellschaft, die sich in ihren „Designeranzügen“ bequem kritisch reflektierend eingerichtet hat, zu verdrängen bzw. deren Kollaps einfach nicht wahrhaben zu wollen.

    Warum nur findet ein Ereignis wie NineEleven (Feuer – Sprengung) hier in Europa so wenig Beachtung und kommt nicht einmal auf der Super-Show der zeitgenössischen Kunst, der documenta 14 gewichtig vor? Wo sind die Künstler, die dieses so entscheidende Ereignis für unsere Zukunft, verarbeiten und mit ihren Arbeiten hinterfragen? Warum wird nicht die Linie zu dem gezogen, was uns Assange und Snowden offenbart haben? Weil „Links gegen Rechts“ längst überholt ist und von „Arm gegen Reich“ lange abgelöst wurde.

    Prof. Rainer Mausfeld führt dazu in seinem jüngsten Vortrag die teuflisch wirksamen und seit Jahrhunderten, längst bekannten, ausreichend dokumentierten Mechanismen: „Wie werden Meinung und Demokratie gesteuert“ überzeugend aus. Scheitern sollten wir uns nicht lassen – trotz Chris Dercon – oder gerade deswegen. Weil es allein in der Kunst und Kultur das notwendige Potenzial dazu gibt?

    https://www.youtube.com/watch?v=AU8hjfhAAxg

  4. Einen Artikel über die Volksbühne zu schreiben, in der der Name Bert Neumann nicht vorkommt, ist schlecht recherchiert .

  5. Liebe Lenore, ganz Deiner Meinung: was eine Scheiße – und das sage ich als Autor dieses Textes – dass ich Bert Neumann nicht irgendwo gebührend gewürdigt habe geht gar nicht…

  6. @bruno: ich verweise auf Schlingensiefs ATTA ATTA – die Kunst bricht aus! Bestes Kommentar zu 911 – und zwar kurz danach und nicht 16 Jahre später – 16 Jahre: das war doch was – ach ja, die Amtszeit von Helmut Kohl. Was hat das jetzt mit NEINILEFFEN zu tun? Da muss es doch eine Verbindung geben. Vielleicht die Bilderberger? Haben die am Ende das Rad geklaut? Was heißt hier es geht nach Avignon? Hat da nicht der Gegenpast residiert? Sollte Castorf am Ende auch dazu gehören???

  7. @Freund Freund Freund: die Vision die Volksbühne als Allmende zu betrachten ist natürlich schön. Das muss man eben auch sehen: die VoBü gehört niemanden, weder Frank Castorf, noch Chris Dercon. Es ist schon immer wieder erstaunlich, wie jede neue Intendanz sofort die Bühne als ihr Eigentum betrachtet, egal wo: genau so, wie Negri den “Mr. Socialism” beschreibt. Dabei ist die Bühne ja öffentlicher Raum: public space with a roof hieß ein Projekt von Bildenden Künstlerinnen, das fand ich immer eine schöne Beschreibung fürs Theater. Oder COMMON SPACE. Das ist auf alle Fälle ein in die Zukunft gerichteter Gedanke – tröstlich in einer Zeit, in der gerade etwas zur Vergangenheit geworden ist, was eben noch lebendige Gegenwart gewesen ist. Diesen Zweikampf, den Kafka beschreibt, den hat gerade wieder dieser Ringer gewonnen, der von vorne nach hinten drückt… Und zugleich behauptet er von sich, er drücke nach vorne… Vergessen wir nicht, es gibt noch eine dritte Kraft: diesen Ringer himself. Das sind wir.

  8. Wie der große Chris Dercon neulich sagte, die Volksbühne ist für ihn immer “ein Begriff” gewesen. Oder wie der kleine Preuße Kant besser definierte, schön sei, was ohne Begriff allgemein gefalle.

    Begriff, Meme, Mimimeme.

    Es ist schon was anderes, das lustige Dekonstruieren und die neoliberale Disruption. Das fällt nur der Volksbühne erst jetzt auf, wo sie das Gentrifitzefatze ereilt. Man sollte die Bühne auf jeden Fall in den Untergrund retten, und sei es nur zum Scherz. Eine Exil-Bühne des deutschen Sprechtheaters in Burkina Faso wäre ein guter Anfang, finanziert mit Rheingold und Rüstungsgeldern. Staub zum Glanze.

  9. Wenn man von “Produktionsproletariat” an der Volksbühne spricht und davon, dass hier Menschen durch Arbeit zusammengebracht wurden, durch künstlerische Arbeit – und dass dabei die Zusammmenarbeit von Kopf- und Handarbeit besonders wichtig war, dass das hier wie sonst kaum noch irgendwo gelungen ist über 25 Jahre lang, dann muss man den Namen von Bert Neumann als erstes nennen. Liebe Leonore Blievernicht, ich habe den Text in einer Nacht geschrieben, nach der Uraufführung vom CHANCE 2000 Film – mir tut das wirklich leid, denn ich habe selbst schon oft gesagt, dass man in diesem Streit nicht nur die Namen des alten Intendanten und der großen Regisseure nennen sollte, sondern auch den von Bert Neumann, denn er war es, der genau das, was Castorf in seiner Abschiedsrede gesagt hat(s.o.) geleistet hat: er hat alle zusammengeführt – er war der Master of the Memem-Machine! Ein großartiger Bildender Künstler, der sein Talent lieber ins Theater investiert hat, weil er genau wusste, dass hier ein anderes Ethos der Produktion herrscht – während in der Kunstwelt die Zirkulationssphäre die Führung übernommen hat, der Weltmarkt.

  10. @Neue Para (Kommentar 7): Diese Antwort auf meinen Kommentar bestätigt mir meine Befürchtung überdeutlich, NineEleven wird in seiner Tragweite für unsere Zukunft selbst in Künstlerkreisen nicht erkannt, geschweige denn verarbeitet. Blind gehen auch sie als „Lämmer“ dem Mainstream mit seinen Lügen auf den Leim. Meinen obigen Ausführungen habe ich damit leider nichts hinzuzufügen.

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