Lesen und lesen lassen

Ich bin bekennende Leseratte und trage seit meiner Jugend eine Brille, die fuer mich wie ein Orden fuer Leseratten ist. Durch das viele Lesen im Neonroehrenlicht bei einem laengeren Studienaufenthalt in China, wurden die Glaeser meiner Brille immer dicker. Heute bin ich halbblind, aber es reicht noch nicht fuer einen Blindenzuschlag. Frueher, in meiner Jugend und im Zeitalter ohne Internet, ging ich einmal woechentlich in die Bibliothek, um stapelweise Weltliteratur wie >Fuenf Freunde< oder >Die drei ???< zu holen. Mit einer Geschichte ueber das Pony Struwwel und seine Begleiterin gewann ich sogar einen Vorlesewettbewerb, obwohl ich Pferde eigentlich hasste.

Jahrelang habe ich dann vorgelesen, erst meinem Kind, dann anderen Kindern. Vorbildlich meine Teilnahme an Aktionen wie >Lest!< oder >Lesen leicht gemacht!<. Meinem Sohn habe ich zu jeder Gelegenheit ein Buch geschenkt, auch wenn das nie auf seinem Wunschzettel stand. Eine Leseratte ist er nicht geworden, aber er konnte fast das 78. Level eines Gameboyspiels erreichen und sich die 150 Figuren von Pokemon merken. Da musste ich passen. Dann haben wir uns auf gemeinsames Lesen geeinigt, doch trotz der spektakulaeren Textauswahl fiel der nicht-lesende Part immer in einen komatoesen Zustand. Heute lasse ich lesen, entweder vom Sohn, motiviert durch eine Taschengelderhoehung oder ich lese selbst. Abgesehen vom gerade boomenden und jetzt ja schon nicht mehr boomenden Hoerbuchmarkt, kann sich jeder selber etwas vorlesen. Do-it-yourself ist angesagt: selber schreiben, selber vorlesen, selber aufnehmen, selber hoeren. Nicht mehr abhaengig sein von Bibliotheken oder amazon, von Verlagen oder Vorlesern, egal ob pleite oder steinreich, die neue Autarkie hat etwas Revolutionaeres. Ich bin meine eigene Marktluecke, und der Markt kann mich mal. Ab heute bestimmen wir den Stoff fuer das >Land der Ideen<.

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