Lesen Sie gerade einen Tagebucheintrag?

Klingt hart, wenn’s jemand sagt. Wer es erlebt, ist uebel dran. Die oeffentliche Diskussion ueber >Abschiebung< bleibt dennoch hinter der Haerte und dem Uebel dessen zurueck, was in Wirklichkeit zur Disposition steht. Also nicht das, was zunaechst in den Sinn kommt und diskursiv vielfaeltig im Raum steht - nicht die Endgueltigkeit, die finale Zaesur -, sondern tendenziell dessen Gegenteil. Nicht fuer immer weg und fort von hier, sondern fuer immer nicht wissen wohin, geschweige denn wissen, wo hier und wo dort ist. Abgeschoben zu werden bedeutet Gewissheit zu verlieren und suspendiert zu werden in einem unfreiwilligen Zustand des Weder-Noch.

Abschiebung bedeutet Aufhebung von Zugehoerigkeit. Gefuehlsmaessig, rechtlich, sozial. Aus dem unentschiedenen >should I stay or should I go< wird das bange, zerrissene >can I stay or can I go<. Abschiebung bedeutet Warten im Zwischenraum der Resolution. Wer ist heute davon betroffen? Falsch anzunehmen ist, dass dies nur Migranten und so genannte Papierlose sind. Potenziell - und je nach Fall auch tatsaechlich - ebenso Du und ich. Nicht zuletzt deshalb geht die oeffentliche Diskussion an der Realitaet des Problems vorbei. Betroffen sind wir alle. Wenn es um die Rechte anderer geht, dann auch um unsere Rechte, die Rechte der wir-Anderen. Flexibilisierung wird staendig gefordert. >Ich< soll fluessig werden und im Zuge dessen anpassungsfaehig. Anpassen soll man sich nicht primaer an ungewisse Strukturen, sondern daran, dass man als Angepasster darin Bestaetigung erfahren soll, keine Bestaetigung zu bekommen. Im Status der Nicht-Zugehoerigkeit gehoert man dazu. Die Formel, die sich die Entrechteten des 21. Jahrhunderts auf die Fahnen geschrieben haben, ist auch Credo einer Gesellschaft, in der Mechanismen der Exklusion von Innen nach Aussen gekehrt worden sind. Was die einen als ungerecht und prekaer wahrnehmen, konsumieren die anderen als Integration zu den Bedingungen der Demuetigung.

Ein Kommentar zu “Lesen Sie gerade einen Tagebucheintrag?

  1. Aber ist die Erfahrung, die du beschreibst nicht eine individuelle? Kann sie demnach zu einem Gefühl für eine ganze Generation werden? Vielleicht fehlt es mir an Abstraktionskfraft…

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