Learning by misunderstanding

Meine erste Lektion in Sachen >Lost in Translation< erhielt ich im Kino. Genauer gesagt danach. Nach zwei Stunden geballter Langeweile verliess ich mit einem amerikanischen Freund den Saal. Als ich ihn fragte, wie ihm der Film gefallen habe, antwortete er: >Oh, it was interesting!<

Ich war verdutzt und hakte nach. Letztendlich gestand mir der Amerikaner, dass es totaler bull…. gewesen sei. Warum er das dann nicht gesagt habe, fragte ich ihn. Das wuerden wir Deutschen vielleicht so ausdruecken, entgegnete er, aber ich hatte schliesslich den Film vorgeschlagen und er habe mir gegenueber nicht unfreundlich sein wollen. Und by the way, jeder Amerikaner haette das auch verstanden.

Bevor ich im Januar 2005 nach Charlotte in die US-Zentrale eines deutschen Automobilzulieferers wechselte, um dort unter anderem als Kontaktperson und Vermittler zwischen den USA und Deutschland zu fungieren, war mir natuerlich schon klar gewesen, dass Deutsche das Gesagte wesentlich woertlicher nehmen als Amerikaner. Im Grunde genommen ist es wie bei einem Arbeitszeugnis: Wenn beide Seiten den angewandten Sprachcode kennen, gibt es keine Missverstaendnisse. Falls nicht, koennte es jemand als Kompliment empfinden, wenn ihm mitgeteilt wird, er habe sich >>tets bemueht<. So ist im Berufsleben der Ausspruch >Das bekommst Du von mir bis Mittwoch< von einem Deutschen quasi ein mit Blut unterschriebener Vertrag, waehrend die gleiche Aeusserung eines Amerikaners eher als lockere Absichtserklaerung gedeutet werden sollte. So lange er nicht sein commitment zum Einhalten dieser Frist abgegeben hat, wird er sehen, ob es sich bis dahin in seinen Tagesablauf unterbringen laesst. Als ich mich mit den kulturellen Wurzeln des deutschen und amerikanischen Verhaltens beschaeftigte, landete ich bei der historischen Situation der Einwanderer in den USA: Zum einen wollten sie, anders als im klassengetrennten Europa, in einer Gesellschaft leben, in der sich jeder locker mit jedem unterhalten konnte, ohne Ruecksicht auf Formalien zu nehmen. Zum anderen waren sie neu in einem fremden Land und somit darauf angewiesen, schnell Leute kennen zu lernen, die ihnen weiterhelfen konnten, also in moeglichst kurzer Zeit neue Freundschaften zu schliessen. Bis heute geben Amerikaner Fremden einen >Freundschaftskredit<, waehrend sich Fremde in Deutschland eine freundschaftliche Behandlung haeufig erst einmal verdienen muessen. Aus diesem Grund ordnen Deutsche die aus ihrer Sicht ueberschwaenglichen Worte von Amerikanern bei ersten Begegnungen oft so ein, wie sie sie gebrauchen wuerden, naemlich als ein bereits fortgeschrittenes Stadium der gegenseitigen Zuneigung. Sie interpretieren es dann als oberflaechlich, wenn schnell angedachten Plaenen oder Einladungen keine Taten folgen, weil sie eben nicht so bindend gemeint sind, wie im deutschen Sprachgebrauch, sondern eher als freundliche Gesten zu verstehen sind. Noch groesser sind die Unterschiede in dieser Beziehung zu Sued- und Mittelamerikanern. Ich hoerte von einer Deutschen, die in Costa Rica von einer Einheimischen den Vorschlag bekam, man koenne doch am naechsten Mittwoch gegen Zehn einen Vulkan in der Naehe besteigen. Und so erschien sie am folgenden Mittwoch mit der sorgfaeltig kalkulierten Verspaetung von einer halben Stunde gestiefelt und gespornt bei ihrer neuen Freundin und erntete erstaunte Blicke, weshalb sie so frueh und ueberraschend auftauche. Man beschloss daraufhin, nicht den Vulkan zu besteigen, sondern die naechsten Stunden bei Essen und Unterhaltung in der Kueche zu verbringen. [Kleiner Uebersetzungseinschub Latino - Deutsch: Sie haette sich zu einem spaeteren Zeitpunkt bestaetigen lassen muessen, dass sie den Ausflug tatsaechlich machen wollen.] Kulturelle Missverstaendnisse bieten eine gute Gelegenheit zu ueberlegen, ob die eigene als selbstverstaendlich angenommene Perspektive wirklich die bessere ist oder ob man sich anderen Sichtweisen oeffnen sollte. Als ich einem amerikanischen Kollegen davon erzaehlte, wie schwierig es in Deutschland fuer Architekten sei, einen Job zu finden, entgegnete er: >Kein Wunder. Eure Gebaeude sollen ja auch immer gleich 500 Jahre halten. Ihr muesstet mehr Haeuser bauen, die in ein paar Jahrzehnten auseinanderfallen. Die waeren billiger und ihr haettet weniger Arbeitslose.< Mit dieser Sichtweise konnte ich mich nicht so recht anfreunden; vermutlich wegen meines qualitaetsorientierten Made in Germany-Erbes. Doch manchmal kann ich den Vorwurf nachvollziehen, dass Deutsche so lange alle Eventualitaeten abwaegen, bis sie genug Bedenken finden, um eine Idee dann doch nicht umzusetzen. Man muss nicht in jeder Lebenslage vollkaskoversichert denken und Netz und doppelten Boden pruefen. Von typisch deutschen Gedankengaengen wie z.B. dem, ob man Kinder in eine Welt mit unsicheren Zukunftsaussichten setzen darf, wenn man ihnen nicht schon im Voraus ein sicheres Leben von der Wiege bis ins Grab zusichern kann, halte ich daher auch nicht mehr viel. Allein deshalb schon, um die Welt nicht Texanern zu ueberlassen.

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