Lahmer Macbeth

Provokativ war dieser Opernabend nicht. Waehrend einige Premierenbesucher drei Stunden andauernd und heftig gebuht haben sollen, waren schon in der zweiten Vorstellung alle Zwischenrufe verstummt. Die Kritik in den Feuilletons ging weit auseinander: eine >Radikale Sicht auf einen Klassiker< bescheinigte der Wiener Kurier der Inszenierung, der Muenchner Merkur sah dagegen statt Originalitaet nur >Zitateraten auf der Schaedelstaette<. Auf der riesigen Muenchner Opernbuehne haben Kusej und sein Buehnenbildner Martin Zehetgruber ein unuebersehbares Zeichen gesetzt: 14.000 Totenschaedel sind zu einer huegeligen Landschaft aufgeschichtet. Auf ihr bewegen sich die Saenger und der Chor, wenn sie nicht in den intimeren Szenen an der Rampe singen.

Angst jagen die Schaedel hoechstens zu Beginn ein, wenn trueber Nebel ueber der Szene liegt. Vor blutiger Sonne und blutigem Schlachtfeld beginnt auch Roman Polanskis >Macbeth<-Verfilmung. Doch hier wird das Hinsehen schnell langweilig. Kusej muss das gespuert haben und legt Regieeinfaelle nach: In jeder Szene ist der Chor verschieden gekleidet, von bunter Alltagskleidung ueber historische Kostueme bis zu spiessiger brauner Unterwaesche. Die Hexen, die in Verdis Oper neben der Lady Macbeth und Macbeth zur Hauptfigur werden, singen ihren Part von aussen ein, waehrend an ihrer Stelle sechs kleine Kinder mit blonden Peruecken und adretten Anzuegen stehen - laut Programmheft ein Zitat des Horror-Klassikers >The village of the damned<. Mit der Besetzung der Kinder als Hexen wollte Kusej den langhaarigen, baertigen Hexen etwas Ueberraschendes entgegensetzen. Tatsaechlich hat Macbeth Angst vor der Prophezeiung der Hexen, Banquos und nicht die eigenen Kinder wuerden dereinst Schottland regieren, ihm selbst wird bloss prophezeit, Koenig zu werden. Schon weil er mit seiner teuflischen Gattin Lady Macbeth keine Kinder hat, beginnt er Kinder zu hassen. Doch genau wie die anderen Hauptfiguren machen die Kinder bei Kusej nicht mehr, als adrett im Buehnenraum zu stehen und Macbeth bedeutungsschwer anzustarren. Macbeth toetet, um seine Impotenz zu verdraengen, vermutete George Tabori. Diesen Kampf darzustellen, waere provokativ gewesen. Doch davon war an diesem Abend nichts zu spueren.

5 Kommentare zu “Lahmer Macbeth

  1. Ich finde den Text sehr schön geschrieben, aber verzeih, dass ich nachfrage, denn mit Theater kenne ich mich überhaupt nicht aus: Warum wäre es provokativ gewesen, zu zeigen, dass Macbeth tötet, um seine eigene Impotenz zu verdrängen? Weil George Tabori so dachte, oder weil Töten wegen Impotenz provokativ ist? Ich stell mich nicht blöd, ich verstehe es wirklich nicht.

  2. Hallo Edwin, danke für deinen Kommentar.
    Warum es provokativ gewesen wäre, wenn man zeigen würde, dass Macbeth seine Impotenz verdrängt: Ich glaube, die Impotenz von Macbeth ist ein Tabu. Man hört einerseits, dass er ein tapferer Kämpfer ist zu Beginn, dann ist er es aber, der gegenüber dem Hinschlachten seiner Gegner Skrupel bekommt – allerdings hat er mit Lady Macbeth keine Kinder, von Erotik wissen wir auch nichts. Ich finde die These schön, weil sie die Ohnmacht Macbeths (und nichts anderes heißt ‘Impotenz’ ja ursprünglich) zeigt, ausgerechnet Macbeth, der die Macht generalstabsmäßig übernehmen will durch seine gezielten Morde. Provokativ wäre es, Taboris These nachzugehen, auch in ihrer Festlegung und Psychologisierung: Macbeth ist so und so, deshalb macht er das und das. Das ist riskant – aber lohnend.
    Was meinst du?

  3. mmh, ich finde das interessant, habe mir da vorher gar keine Gedanken gemacht. Ich dachte zuerst, dass du das provokativ finden würdest, weil es um Sexualität geht (wenn ich das kontemporäre Theata betrachte, dann scheint es provokativ zu sein, keinen Sex auf der Bühne zu zeigen) – aber jetzt verstehe ich besser. Vielleicht könnte man Macbeth auch zeigen als einen Mann, der in seinem Geschlecht gefangen ist, ergo seine vermutete Impotenz eben eine geschlechtliche Ohnmacht ist. Welche Rollen spielen dann aber andere asexuelle Wesen, wie Kinder? (kann man bei Impotenz überhaupt von Asexualität sprechen?)

  4. Vor einem Monat habe ich ein in Europa erfolgreiches Performer-Pärchen (Nature Theater of Oklahoma) gefragt, was denn heute wahre Provokation sei und die beiden sagten, ganz wie du: In New York masturbieren mittlerweile alle auf der Bühne, was die Leute wirklich provoziert ist dagegen die Liebe.
    Kinder sind Macbeths Begehren. Einerseits wären sie Resultat einer geschlechtlichen Vereinigung, die ihm verwehrt bleibt, andererseits sicherten sie sein Weiterleben nach dem Tod.

    Von Asexualität würde ich nicht sprechen, asexuell hieße ja, von Sexualität unabhängig zu sein, oder?

    Was mich bei “Macbeth” immer fasziniert hat, war die Besessenheit des Protagonisten von der Vorstellung, Glück auf Dauer zu stellen. Nichts anderes versucht Macbeth doch durch die immer wiederholten Morde, die aber nicht auf ein Endziel hinlaufen, sondern ihn zyklisch zum Ausgangspunkt zurückbringen: zur Verzweiflung, zur Angst. Ist das nicht vergleichbar mit der Unmöglichkeit, den Orgasmus auf Dauer zu stellen? Post coitum omnis animal tristis est. Ich glaube, Freud hat das mal ausgeführt. Aber ich weiß nicht, ob du mir dahin auch noch folgen magst…

  5. Oh doch, ich kann dir folgen. Ich programmiere normalerweise Websites den ganzen Tag. Da ist diese Diskussion eine anregende Oase des Denkens ;)

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