Kunst und Sterben

Eines vorneweg: alle sind wir krank und zum Tode verurteilt. Die Idee, des Kuenstlers Gregor Schneider einen auf >natuerliche Weise< Sterbenden in einem von ihm entworfenen, transportablen Raum zu praesentieren, ist deshalb erst einmal voellig banal.

Sie fuegt sich ein in die populaere Event-Kunst, deren vorrangiger Gehalt der Effekt ist. In einer Realitaet, die mehr denn je als Kombination von Simulation und Dissimulation empfunden wird, versuchen Kuenstler dem etwas >Echtes< entgegen zu setzen. Ob nun lebende Schweine, schluepfende Schmetterlinge, faulendes Fleisch, Schafe in Formaldehyd oder Skulpturen mit Leichen oder Foeten: Diese Kunst moechte echter sein als das Leben, es am liebsten uebertreffen. Dabei bewies bereits der verunglueckte Beuys-Klon Gunther von Hagens den Volksmassen durch die aufgeklappte Schaedeldecke einer praeparierten, Schach spielenden Leiche, wo das Denken stattfindet: offensichtlich im Gehirn. Nie kam die Aufklaerung so banal, so laecherlich daher. Wo aber laege der geistige und aesthetische Erkenntnisgewinn bei Gregor Schneider? Tatsaechlich wuerde die Realisierung seines Konzeptes den Tod banalisieren und verharmlosen. Zudem unterliegt der Kuenstler der eitlen Vorstellung, ein von ihm gestalteter Kunstraum muesse ein besonders schoener oder bedeutender Ort zum Sterben sein. Hinzu kommt das Phantasma, etwas unmittelbarer abbilden zu koennen, was nicht direkt abzubilden ist: naemlich den Tod, das Sterben. Doch ein Sterbender in einem Kunstwerk braechte keine Enttabuisierung des Todes, sondern wuerde lediglich einen enormen Leistungsdruck in das Sterben hineinbringen. Ein aeusserst unangenehmer Gedanke. Auch Christoph Schlingensief hat mit seinen >Freaks< oder der vollstaendig gelaehmten Angela Jansen den [im]perfekten Koerper auf die Buehne geholt. Angesichts seiner eigenen schweren Erkrankung bewies er mit rechtsanwaltlicher Unterstuetzung, dass ein [im]perfekter Koerper auch das Recht auf Nicht-Oeffentlichkeit haben kann. Kunst und Leben sind also doch nicht eins. Gregor Schneider hat das noch nicht verstanden. Er sagt, er habe bereits einen Schwerstkranken gefunden, der die Welt gern als Teil seines Kunstwerkes verlassen wuerde. Na und? Mit Sicherheit wuerde auch Starkoch Bocuse im Netz jemanden finden, der sich gern oeffentlich von ihm zubereiten und verspeisen lassen moechte. In seiner Kunst suggeriert der Kuenstler die vermeintliche Omnipotenz der Kunst, ihre Allmacht, grenzenlose Transparenz. Tatsaechlich aber offenbart er vor allem ein voellig aus den Fugen geratenes, typisch maennliches Selbstbewusstsein. Dieses funktioniert ohne groessere Zweifel, ist aber dafuer immer garantiert humor- und ironiefrei. Jenseits der Diskussion um menschliche Wuerde: Wenn die aktuelle, heiss geliebte Kunst des Spektakels tatsaechlich die Kraft und Aesthetik haette, die sie sich selbst zuspricht, dann brauchten wir keine Krankenpfleger und Sterbehospize. Dann kaemen die Menschen bestimmt gern freiwillig in die Kunsthallen, um neben dem Aufsichtpersonal zu sterben.

2 Kommentare zu “Kunst und Sterben

  1. Wer ist Gregor Schneider?
    Ich kenne Monty Python and his flying circus, die Welt weit einzige Institution, die sich meines Erachtens nach angemessen mit dem Thema beschäftigen könnte.
    In Anlehnung an ein Filmzitat aus “Das Leben des Brian” könnte es dann heißen: “Sterbegruppe still gestanden und wenn wir jetzt da raus gehen zum Sterben, dann wollen wir doch auch alle einen guten Eindruck machen…”
    Machen sie sich keine Gedanken Herr Müller, das was sie so bewegend beschrieben haben, das wächst sich eines Tages heraus, oder erledigt sich durch selbstständigen Abgang.

  2. Pingback: Er wird fehlen

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