Kunst des Gemeinsamen

Gemeinsame Interessen, insbesondere abstraktere, sind eine gute Voraussetzung fuer ein aufregendes Gespraech oder einen schoenen Abend. Vielleicht kann man sagen, dass genau dies einen guten Bekannten ausmacht. Fuer eine gute Freundschaft bedarf es allerdings mehr, in gewissem Sinne verlangt es nach etwas Gegenteiligem. Die Freundschaft kennzeichnet sich durch die Anerkennung des Anderen, einer beiden Seiten bewussten Ungleichheit und der gegenseitigen Bereitschaft diese zu akzeptieren. Der Philosoph Marcus Steinweg beschreibt dies sehr schoen in seinem Buch Subjektsingularitaeten: >Die Gemeinschaft der Freunde ist die Gemeinschaft der Aufeinander-Hoerenden.< Es geht also, wie er weiter schreibt, um eine Bewegung hin auf das schlechthin Andere, eine Ueberforderung der eigenen Person. Das gemeinsame Interesse besteht demnach eher in einer geteilten Bereitschaft diese Differenz anzuerkennen, einer gemeinsamen Teilhaberschaft an der Grenze.

Gemeinsame Interessen werden im Kunstbetrieb aufgrund der stetigen Internationalisierung immer weiter verstaerkt. Als Kuratorin sind meine Kontakte zu Menschen ausserhalb Deutschlands zunehmend beruflicher Natur und innerhalb der internationalen Kunstszene erleichtern die geteilten Erfahrungen und Interessen sicherlich den Kontakt. Das faengt ja bereits mit dem Englischen, der gemeinsam geteilten Sprache, an und setzt sich in geteilten Kenntnissen ueber Kuenstler, internationale Zeitschriften, Ausstellungen, Messen, Staedte usw. fort. Auf der anderen Seite, insbesondere in privaten Bereichen, zeigt sich schnell die Begrenztheit der eigenen Erfahrung wenn man das Land verlaesst, in dem man sozialisiert wurde. In manchen Staedten, beispielsweise Berlin, auch schon, wenn man sein eigenes Stadtviertel verlaesst. Das schon gegebene Gemeinsame in Form gemeinsam geteilter Erfahrungen und damit einhergehend auch geteilter Interessen verschwindet, je weiter man sich aus dem gewohnten Lebensbereich heraus bewegt.

Das kann sehr schmerzliche Einsichten und Erfahrungen mit sich bringen, die man bisher noch nicht machen musste, kann aber auch sehr schoen sein. Genau dies ist ja die Voraussetzung fuer eine spannungsreiche Auseinandersetzung mit dem Unbekannten und Fremden und dem Versuch einer Bewegung auf dieses Unbekannte zu. Einen Diskurs ueber das Gemeinsame herzustellen ist kein formuliertes Ziel meiner kuratorischen Taetigkeit. Vielleicht kann man aber sagen, dass sich jede kuratorische Taetigkeit auch als Versuch lesen laesst, das Gemeinsame herzustellen, zumindest so wie ich den Begriff des Gemeinsamen verstehe und beschrieben habe. Zum einen stecke ich ja jedes Mal, ob Einzel- oder Gruppenausstellung, in einer Auseinandersetzung mit kuenstlerischen Positionen, auf die ich mich zu bewege, zum anderen zaehlt neben dem Zeigen stets auch das Vermitteln von Kunst zu den zentralen kuratorischen Aufgaben. Hier erhoffe ich mir natuerlich eine Bewegung des Betrachters in Richtung auf die Kunst zu.

Respektive betrachtet, laesst sich das Gemeinsame aber auch auf Seiten der Kuenstler feststellen, wie beispielsweise an meiner letzten Gruppenausstellung >5 minutes later< in den Kunstwerken. Hierfuer waren 15 internationale Kuenstler mit unterschiedlichstem Werkhintergrund aufgefordert, ein Kunstwerk in nur fuenf Minuten zu schaffen. Eine starke Herausforderung insbesondere an die Kuenstler, die sonst ueber Monate an einem Werk arbeiten. Das Gemeinsame zeigte sich hier als eine geteilte Praxis, als Bereitschaft sich dieser Aufforderung zu stellen. Die Auslegung darueber, was es heisst, ein Kunstwerk in fuenf Minuten zu schaffen [Die Fragen danach: Wo beginnt ein Kunstwerk und wo hoert es auf, hoert es ueberhaupt auf?] interessanterweise sehr unterschiedliche Interpretationen fand. Auch solche, die ich selbst vorher nicht kannte oder fuer bestimmte der eingeladenen Kuenstler nicht erwartet haette. Auf der inhaltlichen Seite findet sich eben auch hier das Gemeinsame wieder genau im Anderen.

Das Gemeinsame im Anderen findet sich auch in Die herausgeforderte Gemeinschaft von Jean-Luc Nancy. Hier zeichnet er den Entwurf einer kommenden Gemeinschaft, die sich nicht auf das Gemeinsame als einheits- und identitaetsstiftend beruft, sondern sich als eine herausgeforderte Gemeinschaft denkt, die die ihr eigenen Gegensaetze und Brueche anerkennt. Dass dieses Sich-Selbst-Gegenueberstehen [affrontement avec soi] ein Gesetz des Gemeinsam-Seins sein koennte und sein Sinn selbst, das steht zu denken an.

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