Krieg in der Ostukraine: Zurück zum Anfang der Geschichte, der Maidanbewegung

Der Krieg in der Ostukraine hat innerhalb der letzten Monate an globalpolitischer Bedeutung dazugewonnen und ist ein ständiges Thema in den Medien. Sich als Außenstehender eine Meinung zu bilden, fällt angesichts der sich rasch entwickelnden Ereignisse und der vagen Kenntnisse über die Ukraine schwer. Berliner Gazette-Autorin Rebecca Barth wagt es trotzdem. Dafür geht sie zurück zum Anfang der Geschichte, zur Maidanbewegung.

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Es gibt zwei Perspektiven, aus der man den Konflikt betrachten kann: die globalpolitische und die ukrainische. Aus globalpolitischer Sicht handelt es sich um einen Ost-West-Konflikt, der nicht selten als neuer Kalter Krieg bezeichnet wird. USA und der Westen gegen Russland. Die Ukraine als Streitobjekt wird hier übergangen. Mit dieser Sichtweise wird man dem Konflikt an sich, aber besonders den Menschen in der Ukraine nicht gerecht. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die ukrainische Perspektive einzunehmen. Dafür müssen wir zurück zum Anfang der Geschichte, zur Maidanbewegung. Denn schon hier hapert es mit dem Verständnis.

Der Maidan entstand aufgrund des Nicht-Unterzeichnens des Assoziierungsabkommens mit der EU

Das plötzliche Nicht-Unterzeichnen des damaligen Präsidenten Janukowitsch kam für die Mehrheit der Bevölkerung völlig unerwartet, war es doch über Jahre hinweg ausgehandelt worden. Das Abkommen bedeutet für die Ukrainer Hoffnung auf eine friedliche Verbesserung der eigenen Lebensumstände. Mehr Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Bekämpfung der Korruption, die sich durch alle Bereiche des Lebens zieht und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Aus ukrainischer Sicht stellt Polen ein gutes Beispiel für gelungene europäische Integration dar.

Es handelte sich also weniger um eine Annäherung oder gar einen Beitritt zur Europäischen Union, als um die Hoffnung die mit dem Assoziierungsabkommen verbunden war und die Enttäuschung über dessen Nicht-Unterzeichnen. Der Maidan wurde erst zu einer Massenbewegung nach mehrmaligen, brutalen Eingriffen seitens der Sicherheitskräfte. Die Fahnen der EU wurden schnell als Symbol für europäische Werte verwendet. Sprachen die Menschen auf dem Maidan davon, dass sie nach Europa möchten, bedeutete dies, dass sie sich nach europäischen Werten sehnten.

Um einen EU-Beitritt hingegen ging es nicht. Auch die Forderung nach dem Sturz Janukowitschs entwickelte sich mit zunehmender Radikalisierung der Bewegung. Diese war wiederum Folge der Ignoranz der Regierung gegenüber den Forderungen der Demonstranten und den immer wieder gewalttätigen Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte und von der Regierung bezahlter Schlägertrupps. Die Maidanbewegung richtete sich auch nicht prinzipiell gegen Russland oder die russische Bevölkerung.

Russland steht als Symbol auf der einen Seite für alles sowjetische, dessen Ablehnung nach dem Zerfall der UdSSR ein weitverbreitetes Phänomen in den ehemaligen Ländern ist, sowie politische Bevormundung seitens der russischen Regierung. Dem ehemaligen Präsidenten warf man vor, lediglich eine Spielfigur Putins zu sein. Von anti-russischer Hetze kann von Seiten der Maidanbewegung nicht die Rede sein. Es mag vereinzelte rechtsradikale Gruppierungen geben, die russophobe Ansichten vertreten, aber diese sind nicht die Mehrheit. Aufgrund der russischen Propaganda gegen die Maidanbewegung stellte sich irgendwann eine anti-russische Haltung ein. Man kann jedoch nicht von einer per se anti-russischen Bewegung reden, sondern in diesem Falle eher von einer self-fulfilling prophecy.

Darüber hinaus war die Bewegung weder von westlichen Mächten initiiert, noch finanziert. Es stimmt, dass einige westliche Staaten in ukrainische NGO’s über die vergangenen Jahre hinweg investiert haben. Dennoch hat sich der Maidan spontan entwickelt. Er war eine Antwort des Volkes auf innenpolitische Ereignisse und hat sich als Reaktion auf das Vorgehen der Staatsmacht zu einer Massenbewegung entwickelt. Diese wurde mehrheitlich von Unternehmern, Akademikern und Studenten getragen und war über lange Zeit hinweg friedlich. Darüber hinaus kann man sagen, dass auch die Besuche westlicher Politiker auf dem Maidan, die Reden die sie auf dessen Bühne hielten, die Demonstranten nicht stark beeinflusst haben. Die Bühne auf dem Maidan war eine Bühne für jedermann.

In den Medien wurden dort besonders die Auftritte der drei ukrainischen Oppositionspolitiker betrachtet. Doch auch diese waren nicht die Köpfe der Bewegung. Im Gegensatz zur Orangenen Revolution ging es den Menschen nicht um die Unterstützung eines speziellen Politikers oder einer Partei. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Maidanbewegung eine spontane und in Selbstorganisation entstandene Volksbewegung war, die sich allein für die Verbesserung der Lebensumstände des ukrainischen Volkes und gegen das gegenwärtige politische System und dessen Eliten richtete.

Der Maidan war eine rechtsradikale Bewegung

Auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew haben die verschiedensten sozialen und gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam demonstriert. Neben Studenten, Arbeitern, Rentnern und Unternehmern gab es dort linke und rechte Gruppierungen sowie LGTB-Gruppierungen. Letzte sind aufgrund der weit verbreiteten Homophobie in der Ukraine still und zurückhaltend aufgetreten. Im Gegensatz zu den rechten Gruppierungen. Diese schlossen sich ziemlich schnell zum Rechten Sektor zusammen.

Der Rechte Sektor und die Anhänger der Svoboda Partei schafften es, laut und organisiert aufzutreten, was ihnen erhebliche Aufmerksamkeit zukommen ließ. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine marginalisierte Splittergruppe, genauso wie linke oder LGTB-Gruppierungen. Der Rechte Sektor jedoch entwarf Forderungen, die er auf der Bühne des Maidans verkündete und die von den Demonstranten mehrheitlich unterstützt wurden. Diese Forderungen hatten indes wenig mit rechter Ideologie gemein, sondern entsprachen tatsächlich den Forderungen der Demonstranten (zu diesem Zeitpunkt unter anderem Rücktritt des Präsidenten, Amnestie usw.). Bei den Präsidentschaftswahlen erlangten beide rechten Parteien knapp 2%, was auch ihrer gesellschaftlichen Relevanz entspricht.

Mit Blick auf den andauernden Krieg und das durch andauernde ausländische Aggression entstandene Nationalbewusstsein, bleibt allerdings zu sagen, dass die Chance auf ein Erstarken radikaler Gruppierungen aufgrund der anhaltenden Destabilisierung und Handlungsunfähigkeit der ukrainischen Regierung, immer weiter zunimmt.

Dies kann in Zukunft durchaus eine Gefahr für die Ukraine werden. Besonders freiwilligen Bataillone wie Aidar und Azow sind immer wieder in Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen genannt worden. Sie scheinen zunehmend eigenständig zu agieren und in ihren Reihen sollen sich viele Rechtsradikale befinden. Bei derartigen Gruppierungen besteht die Gefahr einer Guerillabewegung, die nicht mehr von der ukrainischen Regierung zu kontrollieren ist.

Die prorussischen Proteste im Osten waren mit dem Maidan vergleichbar

Während die Situation auf dem Maidan nach fast zwei Monaten des friedlichen Protestes in Gewalt umschlug, begannen sich die Separatisten in der Ostukraine schon nach nur kurzer Zeit schwer zu bewaffnen. Darüber hinaus gab es keine prorussischen Demonstrationen, die der Mehrheit der örtlichen Bevölkerung entsprach. Vielmehr wurde den Leute vor Ort systematisch mit russischer Propaganda in den Medien, sowie von örtlichen Politikern und teilweise Geistlichen, Angst vor russenmordenden Faschisten aus dem Westen gemacht. Die Bevölkerung in den östlichen Teilen des Landes stand den Ereignissen in Kiew sehr wohl kritisch gegenüber. Viele wünschten sich mehr Eigenständigkeit und Föderalisierung. Nie war jedoch von einer Abspaltung von der Ukraine die Rede.

Die prorussische Bewegung ist in keinem Falle mit einer Volksbewegung wie der des Maidans vergleichbar. An ihre Spitze setzten sich ukrainische Nationalisten wie Gubarew oder russische Staatsbürger, die von Außerhalb kamen, einige direkt von der gerade annektierten Krim. Zudem gab es selbst in diesen Teilen des Landes örtliche Maidans und auch auf dem Maidan selber haben Leute aus dem Donbass und anderen Teilen des Ostens demonstriert.

Vielmehr ist davon auszugehen, dass unter anderem mithilfe russischer Propaganda ein Konflikt initiiert wurde, der so, in dem Ausmaße, nie zustande gekommen wäre. Die russische Propaganda spielt hier gezielt die Faschismus-Karte, indem sie, besonders bei der älteren, sowjetisch geprägten Bevölkerung, einen Mechanismus bedient. Mit Begriffen, die mit dem Zweiten Weltkrieg verbunden werden, wie Faschismus und ethnische Säuberungen, setzt sie bei der Erinnerungskultur Russlands sowie der Sowjetunion an. Diese hat unter dem Zweiten Weltkrieg unheimlich gelitten und verbuchte die höchsten Opferzahlen. Die Erinnerungskultur, den Faschismus besiegt zu haben, ist auch deswegen immer noch sehr stark.

In Russland wird bis heute jedes Jahr der Siegestag gefeiert und das schwarz-orange Sankt-Georgs-Band dient als Symbol der Erinnerung an die gefallenen Helden. Es ist in Russland, und war bis vor kurzem auch in der Ukraine, durchaus populär. Mittlerweile benutzen es die Separatisten in der Ostukraine als Symbol ihres sogenannten antifaschistischen Kampfes. Durch diese Propaganda wird der Bevölkerung gezielt Angst gemacht und Erinnerungen wachgerufen. Obwohl es rechte Gruppierungen auf dem Maidan gab, die vielleicht sogar anti-russische Ansichten vertreten, waren Russen oder russischsprachige Menschen, sowie Juden zu keinem Zeitpunkt in Gefahr. Entgegen der Behauptung russischer Medien gab es weder Pogrome gegen jüdische Einrichtungen, noch Verfolgungen von russischsprachigen Menschen. Im Gegenteil: In Kiew wird weitestgehend russisch gesprochen und die Sprache ist von der ukrainischen Verfassung geschützt.

Anm.d.Red.: Mehr Beiträge zum Thema in unserem Dossier Europakrise. Die Fotos in dem Text stammen von streetwrk.com und stehen unter einer Creative Commons Lizenz.

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