Konstruktive Selbstaufloesung

Ich muss gestehen, dass ich mich lange Zeit geweigert habe, ueber das Uebersetzen nachzudenken. Das mag daran liegen, wie ich zu meinem Beruf kam. Ich wollte ihn nicht. Ich verstand mich als Journalist, sah mich als Vermittler englischsprachiger Literatur fuer einen deutschen Markt. Die ersten Uebersetzungen sind diesem Selbstverstaendnis zu verdanken. Eine Lektorin von Rowohlt-Taschenbuch koederte mich dann eines Tage in einem Buchladen in Cambridge mit dem Angebot: >Such dir aus, was dir gefaellt, wir veroeffentlichen deine Uebersetzung.< So wurde Martin Amis, den ich von einigen Interviews kannte, ins Deutsche uebertragen, danach folgten literarische Geschichten ueber AIDS, als dieses Kuerzel in Deutschland fast nur in Schwulenkreisen bekannt war. Ich habe diese Buecher nicht sonderlich gern uebersetzt, hielt es aber fuer notwendig, sie deutschen Lesern zugaenglich zu machen. Nach den ersten Buechern kamen weitere Angebote, die ich aus den unterschiedlichsten Gruenden fuer unwiderstehlich hielt, ohne dass ich mich jemals gefragt haette, ob ich eigentlich Uebersetzer sein moechte. Irgendwann schien die Frage auch gar nicht mehr wichtig, und ich habe nicht weiter darueber nachgedacht.

Doch liegt es wohl in der Natur dieser Art Fragen, dass sie keine Ruhe geben koennen. Wie jede Verdraengung fordern sie einen stetig wachsenden Verdraengungsaufwand, soll die Unruhe, die an ihrem Grunde rumort, nicht ins Bewusstsein dringen. Und die Ursache dieser Unruhe? Ganz einfach: Uebersetzer waren mir suspekt. Wie kann man sich bloss Tag fuer Tag freiwillig an den Schreibtisch setzen und die eigene Stimme verleugnen? Autoren, Journalisten schulen ihren ureigenen Zungenschlag, Uebersetzer plappern nach, sind die Papageien des schreibenden Gewerbes. Welch masochistischen Charakter braucht es, sich immer wieder aufs Neue aufzugeben? Jeden Morgen in die Haut eines anderen zu schluepfen? Den Geist von allem Eigenwilligen freizuraeumen, innere tabula rasa zu schaffen, um Anderem Stimme und Substanz zu verleihen? Wer uebersetzt, der laeuft vor sich selbst davon. Uebersetzer sind Ministranten am Altare eines fremden Gottes; sie trauen sich nicht, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Fasziniert von der heiligen Schrift dienen sie fremdem Werk aus lauter Unfaehigkeit, selbst schoepferisch taetig zu sein. Unfruchtbar, Parasiten im Wirtskoerper der Literatur.

Doch ehe ich fortfahre, will ich – gleichsam in Klammern – kurz berichten, wieso ich diesen Text ueberhaupt schreiben kann. Im Lauf der Zeit naemlich hat sich meine Einstellung zum Uebersetzen geaendert, ohne dass ich es recht bemerkt habe. Entscheidend war schliesslich eine laengere Krankheit, die mich zwang, meine Arbeit fuer fast ein Jahr aufzugeben. Nach einigen Monaten fehlte sie mir, die Arbeit. Ich haette mich gern wieder an den Schreibtisch gesetzt, aber ich konnte nicht, es war mir physisch noch unmoeglich. In dieser Zeit begann ich, anders ueber das Uebersetzen zu denken. Es fehlte mir die Lust, die es mir bereitet hatte. Nicht die oben beschriebene masochistische Lust, sondern die Lust am Spielen und Jonglieren, am handwerklichen Wortfeilen, an der Schauspielerei, der detektivischen Spurensuche. Denn wie eh und je ist das Gegenteil meist genauso wahr wie die entschieden aufgestellte Behauptung. Neben der perversen Lust an der eigenen Selbstaufloesung naemlich steht der Genuss an der eigenen Omnipotenz.

Uebersetzer leihen der Welt ihre Worte, dem Bauern in Irland, dem Gangster in Chicago, dem Ureinwohner in Australien. Sie haben viele Stimmen, die Autoren meist nur eine; sie schreiben sogar mehr Buecher als die meisten Autoren. Die Uebersetzer kennen selbst die fiktiven Welten oft besser als deren Schoepfer, die Autoren. Denn Uebersetzen ist, wie Burkhardt Kroeber es einmal formulierte: >die bestmoegliche Wiedergabe nicht nur dessen, was der Autor explizit geschrieben hat, sondern auch dessen, was implizit dahinter steckt, was er nur angedeutet oder suggeriert hat, was er unausgesprochen gelassen hat, weil es sich von selbst versteht, ja im Grenzfall sogar, was er – bewusst oder instinktiv – verworfen oder verschwiegen hat.< Der Uebersetzer ist ein genialer Dilettant, kennt sich in jedem Metier gerade gut genug aus, um es am wachsamen Auge des Lesers als wahrhaftige Welt vorbeischmuggeln zu koennen und leidet immer auch zu recht am Groessenwahn. Auf dem Schreibtischstuhl verwandelt er sich, schluepft in verschiedene Rollen, probt neue Stimmen, spricht sie laut vor sich hin, gestikuliert. Er ist Schauspieler, der im Schutz der Sprachmasken den Genuss des Lesers um die Freuden des Schoepfers vermehrt. Er sammelt Leben. Mit jedem neuen Buch potenziert er seine Wirklichkeit um eine neue Stimme. Jedes unbekannte Wort verfuehrt ihn auf unbekannte Wege. Es gilt aber auch noch von jenen Vorgaengen zu reden, die VOR dem Uebersetzen geschehen und tief ins Physische reichen. Ich denke dabei an meine schlechte Laune, mit der ich regelmaessig zu kaempfen habe, wenn ich ein neues Buch beginne. Am Freitagabend wird die Korrektur an einem Buch beendet, am Montagmorgen das neue Werk aufgeschlagen. Am Freitag war’s ein Krimi, am Montag ist es ein historischer Roman, doch nichts, aber auch gar nichts klappt. Die einfachsten Worte wollen mir nicht einfallen. Gereizt, grantig, muerrisch, unzufrieden in meiner eigenen Haut, zum aus der Haut fahren - die Sprache verraet, worum es geht. Jedes neue Buch bringt schon fast geologische Umwaelzungen mit sich. Wenn ich am Freitag mit einem Krimi aufhoere, habe ich am Montag noch keine Sprache fuer den historischen Roman. Ich muss mich erst umstellen. Die Umstellung beginnt an der Peripherie. Ich richte meine Aufmerksamkeit neu aus. Habe ich zuvor etwa auf Gangstersprache, schnellen Rhythmus und Slang geachtet, werde ich jetzt langsamer, lese einen Roman aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert, interessiere mich fuer andere Fernsehbeitraege, andere Zeitungsartikel, richte meine eigene Sprache neu aus. Erst diese Umstellung, die gleichsam die Wahrnehmung meiner Welt >verrueckt< und mich selbst teilweise in einen anderen verwandelt, aktiviert die Sprache, die ich fuer den neuen Roman benoetige. Mit jedem Roman wird so eine moegliche Variante meiner selbst geboren. Und je tiefer diese Verwandlung reicht, umso leichter geht die Arbeit von der Hand. Die Transmutation von einer in die andere Sprache gelingt erst, wenn sich der Uebersetzer das Buch in einer Art Mimikry ueber die Seele streift.

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