Keine Zeit zum Surfen

Im Amsterdamer Zoo >Artis< stand ich zum ersten Mal vor einem Aquarium. Ja, dass muss so gewesen sein. Anfang der sechziger Jahre, als ich dort aufwuchs. Ich habe daran keine Erinnerungen, weiss aber, dass es stattfand. Es gibt Fotos von mir in diesem Zoo. Als Medientheoretiker muss ich gestehen, dass ich manchmal froh bin, dass die Welt der Objekte und die der Tiere gegen die Invasion der Mikrotechnologie verteidigt werden sollten. Heutzutage glaube ich nicht [mehr] an diesen totalisierende Tendenz der Medientheorie, und Theorie im Allgemeinen, ueber dies und jenes, ueber alles Aussagen zu machen. Ich hoffe, dass Theorie keine Lebenshilfe ist, keine Ersatzreligion also.

Ich mag es, praesize zu sein und konkrete Aussagen zu machen, die hinhauen. Das Aquarium sollte also alleine gelassen werden. Am besten koenne man/frau beobachten, dass das Aquarium den Wunsch nach Realitaet darstellt. Fische, die Natur gibt es, es ist noch nicht alles virtuell geworden. Aber wie banal ist solch eine Beobachtung?

Der Mythos vom Netz als Ozean passt heute immer noch. Internetsurfen passiert immer noch, aber heutzutage, 15 Jahre nach dem Anfang der Webkultur, waere es eher ein Unfall, oder sagen wir, Freizeitmoment. Was die heutige Web 2.0-Situation am besten beschreibt, ist das Motiv des sozialen Netzes. Junge Leute verlieren keine Zeit mehr ans Surfen, sondern arbeiten an ihren sozialen Verpflichtungen innerhalb von StudiVZ, Facebook, MySpace, Flickr undsoweiter.

Wasser nimmt in der kritischen Netztheorie keinen Stellenwert ein und ich denke, wir leben nicht mehr in den 80er Jahren. Die Geisteswissenschaften liefern uns, leider, keine neuen Einblicke mehr in die groesseren Gesetzmaessigkeiten. Leider hat, z.B. die Psychoanalyse, ihre beste Zeit hinter sich. Schaue doch nur Zizek an, den kluegsten Europaeer, den ich besonders schaetze, und wie wenig er sich auch nur ansatzweise, mit der Netzkultur auseinandersetzt. Was Theoretiker machen sollten ist sich erst mal engagieren. Ohne detaillierte Kenntnisse kann es doch ueberhaupt keine kritische Theorie geben? Das gilt fuer alle Gebiete, egal ob wir uebers Wasser reden, oder nicht.

Klar gaebe es da meinen eigenen Beitrag, den der Agentur Bilwet ueber Wetware, aus den wilden Jahren der Medientheorie, Anfang der 90er, aber solche generellen spekulativen Kategorien spielen derzeit doch ueberhaupt keine Rolle mehr. Auch weil damals wie heute noch die Rolle des menschlichen Koerpers in den Medienfragen ueberbewertet wurde. Leider, muss ich gestehen, weil dieser theoretische Blick besonders komplex, kreativ und wertvoll war. Problem ist aber, dass die Medienrealitaet ganz andere Themen hervorgerufen hat und eben Koerper und Medien sich eher indifferent zu einander verhalten. Also exit Wasserfrage. Es waere wichtig diese Verschiebung der Theoriefunktion mal mit Klaus Theweleit zu diskutieren

Was wir brauchen sind amoralische Detailstudien. Aber Verfluessigung, klar, die gibt es, und wird immer realer. Ich rede lieber, in der Tradition Paul Virilios, von Beschleunigung und Fragmentierung, von Mobilisierung, wie damals schon von Ernst Juenger beschrieben, und von Miniaturisierung. Verfluessigung heisst fuer mich ganz konkret: das Unsichtbarwerden, das Verschwinden vieler Technologien. Wenn wir die Technologien nicht mehr anfassen koennen, weil sie so klein geworden sind, heisst das auch, dass wir kaum mehr in der Lage sind, sie zu hacken.

Den Zusammenhang zwischen Klimakatastrophe und Internet finde ich interessant. Auf den ersten Blick gibt es erstmal keine Verbindungen. Klar ist Wasser ein Feind der Hardware und den moeglichen Einsturz der Telekom und Energieinfrastruktur ein Horrorszenario fuer alle. Ich glaube nicht, dass viele noch recht daran glauben, EDV [ich liebe diese Deutsche Abkuerzung!] waere eine Alternative fuer den kommenden Klimakollaps. Wir fliegen nicht weniger [wenigstens… noch nicht], sparen kaum Elektrizitaet und wissen Bescheid ueber die schmutzigen Geschaefte, die in Afrika mit den Chipgrundstoffen gemacht werden.

Der Komputer ist keine saubere Technologie, so viel ist klar. Vernetzung loest keine Revolutionen aus und spielt nur ganz beschraenkt eine Rolle im Hintergrund, wenn es um grosse Veraenderungen geht. Obama hat Web 2.0 klug eingesetzt aber nicht deswegen gewonnen. Worum es z.B. bei Transmediale 09 ging und sonstigen Kunstinitiativen in dieser Richtung, ist die technofixierte neue Medienkunst aus der Sackgasse zu holen. Die Technologisierung der Gesellschaft erreicht derzeit so eine Intensitaet, sie greift so tief ein in der Welt der Objekte [siehe RFID, GPS undsoweiter], dass wir die neuen Technologien nicht mehr als getrenntes Objekt wahrnehmen koennen. Sie mischen sich also mit der Finanzkrise, Oekologie, Armut und Migration.

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