Keine Atempause

Mit dem Webprojekt Single-Generation fuehre ich meine Singleforschung fort, die ich im Zuge meines sozialwissenschaftlichen Studiums und meiner Magisterarbeit ueber das Single-Dasein begonnen habe. Seit zirka vier Jahren betreibe ich die Website www.single-generation.de, die eine Weiterentwicklung von www.single-dasein.de ist, mit der ich im April 2000 meine Dokumentation der Single-Debatte begonnen habe. Warum Single-Generation? Der Begriff, so wie ich ihn gebrauche, akzentuiert den vorherrschenden Zeitgeist neu, der um die Jahrtausendwende mittels Begriffen wie >Single-Gesellschaft< oder >Spass-Gesellschaft< kritisiert wurde.

Der Single-Generation wurden um die Jahrtausendwende Popliteraten wie Nick Hornby und Michel Houellebecq zugerechnet. Beide wurden in den 50er Jahren geboren. Ich habe diese Generation auf die Geburtsjahrgaenge 1948 bis 1964 datiert. Damit grenze ich sie sowohl zu den 68ern [1937-1947] als auch zur Generation Golf [1965-1975] ab. Single-Generation ist gleichzeitig eine andere Bezeichnung fuer die 78er-Generation [Reinhard Mohr] und die Generation Berlin [Heinz Bude].

Single-Generation bezeichnet jene Kohorte, die fuer den staerksten Anstieg der Einpersonenhaushalte in Westdeutschland verantwortlich war. Denn als 1990 das Buch >Das ganz normale Chaos der Liebe> von Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim erschien und die Rede von der Single-Gesellschaft modern wurde, war der Strukturwandel hin zu Einpersonenhaushalten bereits weitgehend abgeschlossen.

Zwischen 1973 und 1986 – also innerhalb von nur 13 Jahren – stieg der Anteil der Bevoelkerung in den Einpersonenhaushalten um 5 Prozent [9,8 – 15 Prozent]. Von 1986 bis 2002, also innerhalb von 16 Jahren, betrug der Anstieg dagegen nur noch 2,2 Prozent. Die Zahlen moegen manchem zu niedrig erscheinen, denn in der oeffentlichen Debatte heisst es des Oefteren, dass heutzutage jeder Dritte, in Grossstaedten gar jeder Zweite, allein lebt. Diese Single-Rhetorik wird von mir deshalb als Single-Luege kritisiert.

Mit dem Erscheinen meines Buches >Die Single-Luege< im Mai letzten Jahres, das die Quintessenz meines Webprojekts umfasst, ist die Phase der relativ umfassenden Dokumentation der Positionen von Zeitgeistfiguren, nicht nur aus der deutschsprachigen Intellektuellenszene, abgeschlossen. Inzwischen liegt der Schwerpunkt auf Analysen des historischen Materials. Hier kann deshalb auch eine persoenliche Bilanz gezogen werden. Mit meinem Webprojekt habe ich eine wichtige Umbruchphase im Kampf der Lebensstile dokumentiert. Als ich anfing, sprach kaum jemand vom demografischen Wandel, mittlerweile gilt Bevoelkerungspolitik als salonfaehig. Manche Themen, die ich ins Netz stellte, waren so nah am Zeitgeist, dass ich bereits Stunden vor Erscheinen der Internetausgaben der grossen Zeitungen deren Einschaetzungen vorweg nahm. Mein Anspruch war jedoch, dem Zeitgeist weit voraus zu sein. Tatsaechlich werden viele Beobachtungen, die ich in den ersten Jahren veroeffentlicht habe, erst jetzt in jenen Medien verbreitet. Das Webprojekt bewegt sich also auf zwei Zeitebenen. Aktuell sein zu wollen bedeutet Beschleunigung. Dem Zeitgeist voraus zu sein verlangt dagegen - zumindest phasenweise - Entschleunigung. Im Maerz letzten Jahres, als Schirrmachers Buch >Minimum< mit fragwuerdigen Methoden zum Bestseller gemacht wurde, war Aktualitaet zwingend notwendig. Einen Monat lang habe ich sowohl die Grenzen meiner Kapazitaeten als auch das Rauschhafte der Beschleunigung erfahren. An dieser Stelle ist anzumerken, dass ich kein Mitglied der >Digitalen Boheme< bin. Meinen Alltag verbringe ich ueberwiegend offline. Selbst fuer meine Arbeit muss ich nur relativ selten im Netz sein. Ich nutze nicht einmal eine Flatrate. Das ist bewusster Selbstzwang. Ich noetige mich damit zur effizienten Nutzung des Internets. Ich nehme bewusst auch Auszeiten vom Netz, d.h. ich bin zeitweise wochenlang nicht online. Dann rufe ich noch nicht einmal meine Emails ab. Das ist heutzutage wahrer Luxus. Meine Medienbeobachtung hat sich in erster Linie auf Printmedien gerichtet. Dass viele auch im Netz zu lesen waren oder noch sind, hat mir meine Arbeit erleichtert. Weblogs hatten anfangs noch nicht ihre heutige Bedeutung. Mittlerweile ist jedoch eine fuer mein Thema interessante Entwicklung festzustellen. Medienkonzerne haben neue Parallelwelten geschaffen: hier die analogen Familienzeitungen, dort die digitalen Single-Websites. Der Begriff Single-Generation ist bislang kaum Zeitgeist-praegend gewesen. Seine grosse Zeit steht noch bevor. Das Webprojekt will den Begriff popularisieren und verbindet damit auch eine bestimmte Sichtweise. Ich habe dazu meinen Beitrag als Archivar, aber auch als Interpret geleistet. Die Zugaenglichkeit zu Informationen eines Sachgebietes zu verbessern, wuerde ich als die Hauptaufgabe eines Web-Archivars sehen. Mit meinem Webprojekt gehe ich jedoch darueber hinaus, weil es mir auch darum geht, ueberfaelligen Debatten anzuregen.

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