Kein Weg zurueck

Fuer mich gab es schon immer zwei Wasser: das Wasser, das in mich dringt, und das Wasser, in das ich dringe. Zu Ersterem – Wasser als Getraenk – habe ich ein absolut positives Verhaeltnis. So es denn rein ist, betrachte ich es als den Heiligen Gral der Nahrungsmittel, den Quell des Lebens. Ein Grund, warum ich auf keinen Fall in Laender wie England oder Frankreich zoege, weil man das Wasser dort nicht aus der Leitung trinken kann. Ein Luxus, an dem ich mich hierzulande jeden Tag erfreue.

Das Wasser, das mich umschliesst, ist mir hingegen bei weitem suspekter. Ich akzeptiere es wenn, nur begrenzt als See. Womoeglich so flach, dass ich darin stehen kann. Hoechst ungern tauche ich ins grundlose Meer. Ich bin ein Erdbewohner, der bevorzugt mit beiden Beinen auf eben diesem irdenen Boden steht. Wir haben den Schritt an Land vollzogen – es fuehrt kein Weg ins Wasser zurueck. Alles andere ist intrauterine Romantik.

So ist es kein Wunder, dass ich ueber nicht ein einziges wirklich wasserdichtes Kleidungsstueck verfuege. Ich wuesste auch nicht, wozu es dienen sollte. Fuer den Notfall reicht ein Regenschirm, denn in einem selbst organisierten Tagesablauf, der fast ausnahmslos im versiegelt-entwaesserten Ambiente der Urbanitaet stattfindet, muss man die aeusserliche Begegnung mit Wasser schon willentlich suchen. Was ich nicht tue. Die letzte unfreiwillige Ganzkoerperbenetzung ereignete sich 2002 waehrend eines Wolkenbruches auf einem Waldspaziergang bei Jena.

Weitaus suspekter noch als See- und Meerwasser sind mir all die Wassermetaphern, die medial ueber uns ausgegossen werden. So klar wie sinnfaellig unterspuelen sie das Bewusstsein und reissen die Ratio fort. Internet, Klimawandel, Finanzkrise und Ichverlust tinnitusgeschuettelter Individuen – das betaeubte Hirn sucht nach Ahnungen von Aehnlichkeit in der Hyperkomplexitaet, um endlich zu verstehen, wie das eigene, kleine und fuer jeden selbst unendlich bedeutende Schicksal so eng verwoben sein kann mit Dingen, die >auf der anderen Seite der Erde< geschehen. Formlos, alles durchdringend, selbst Stein mit nur Tropfen hoehlend scheint das Wasser maechtig wie ein wahrhaft schlechtes Gewissen, das noch jeden frohen Gedanken zu durchtraenken vermag. Wenn das Soziale wirklich nach dem Prinzip des Wassers funktionierte, stuenden uns sehr einfache Mittel zur Verfuegung, wie wir die Verteilung der Gueter regeln koennten. Eine Zuckerloesung in einem Becherglas erreicht eine homogene Konzentration durch gezielte Temperatursteuerung oder durch Umruehren. Dem Zucker bleibt auch gar keine Wahl, denn schliesslich ist er im Wasser - und dessen hervorstechendes Merkmal ist seine molekulare Vernetzung, die die Zuckermolekuele ihrem polymorphen Teppich einverleibt. Eine soziale Gemeinschaft hingegen muss diese Vernetzung willentlich herstellen. Und ebenso ist es moeglich, dass sich Einzelne dieser Vernetzung willentlich entziehen. Etwas, das einem Wassermolekuel nur qua Verdampfen freisteht. Es sei denn natuerlich, es steckt zum Beispiel fest im Ganzkoerpergummianzug eines Menschen, der eine Fetischparty besucht, wo er oder sie sich entscheidet, den Atembeutel mit dem Naechsten zu teilen und ein finales geschlossenes System zu bilden. Oder die Maske abzunehmen und sich am Tresen mit anderen zu unterhalten. Oder einfach wieder nach Hause zu gehen und den Monologen kondensierter Gemeinschaft im Fernsehen zu lauschen. Meistens endet so ein Abend irgendwo unter einer Dusche oder in einer Badewanne, wo die Seele den beiden groessten Verheissungen des Wassers nachjagt: Reinheit und Schwerelosigkeit. Doch das einzige Versprechen, dass das Wasser wirklich einloest, wenigstens fuer eine Zeit lang, ist das Stillen des Durstes in unserem Leibe, waehrend die Seele immerfort weiter duerstet. Diese Ambivalenz aus paradiesischen Projektionen und unerfuellten Hoffnungen war eine der entscheidenden Grundlagen fuer das reproducts-Projekt >Kyberkur in Bad Lux<. Die virtuelle Kur am Computer erschien 1997 auf CD-ROM bei Rowohlt/Systhema. Heute kann man sie nicht mehr anschauen, da die Versionen von Quicktime und Macromedia Director nicht mehr an aktuelle Betriebssysteme andocken koennen. Reste davon sind in den Wasser- und Lichtmeditationen auf YouTube zu sehen.

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