Karneval der Toleranz

Letztes Wochenende fand der Rotterdamer Sommerkarneval statt. Wieder mal ein Event, mit Hilfe dessen eine Stadt versucht hat, auf sich aufmerksam zu machen. Und es scheinbar auch geschafft hat: Letztes Jahr hat der >Solero Zomerkarneval<, wie er aus werbetechnischen Gruenden eiskalt genannt wurde, immerhin 930.000 Besucher angezogen. Nicht nur mit diesen Zahlen kann der Karneval der Kulturen in Berlin gut mithalten, auch hier hat sich eine Marke sehr dominant gezeigt: ein Getraenk in einer kleinen braunen Flasche, das sich zunehmend um Kultstatus bemueht: der Jaegermeister.

Kurz: Der Karneval scheint den Erlebnischarakter eines verkaufsoffenen Sonntags bei Karstadt angenommen zu haben, wie es kuerzlich ein sarkastischer Kommentator in einem Zeitungsartikel schrieb. Gibt es da noch einen Bezug zum Thema Karneval, kultureller Vielfalt oder gar Toleranz? Wird der Karneval wirklich von allen als Ausdrucksmittel ihrer Kultur[en] angenommen? Oder wird im Fest oeffentlich einfach das als Erreichtes inszeniert, was im Alltag oft misslingt oder sich zumindest schwierig gestaltet?

Diese und andere Fragen stehen im Zentrum eines Studienprojekts zum Karneval der Kulturen im Fachbereich Europaeische Ethnologie an der Humboldt Universitaet, an dem ich beteiligt bin. Fragen, die unter anderem auch den kommerziell-korporativen Zusammenhang ins Blickfeld ruecken, wie auch die symbolische Oekonomie hematisieren. Genauer gesagt dreht sich beim Karneval Vieles um ein Image, mit dem sich eine Stadt wie Berlin allzu gerne schmueckt und welches man gut in Kapital umwandeln kann: Fuer vier Tage feiert der Karneval Multikulturalitaet und tolerantes Zusammenleben. Und in der >Oekonomie der Staedte< wird Toleranz ganz schnell zum Standortfaktor. >Der Karneval der Kulturen ist ein Beispiel fuer die geglueckte Integration in Berlin<, ist einer der Aussprueche, mit denen Politiker gerne auf den fahrenden [Um-]Zug aufspringen. Aber wer ist denn jetzt integriert? Der Kreuzberger Fahrradladen, der sich in der Parade praesentiert? Die Gruppen, die sich in farbenpraechtigen und aufwendig geschmueckten Kostuemen >von ihrer besten Seite< zeigen? Und moechte denn ueberhaupt jeder integriert werden? Man denke zum Beispiel an den Widerwillen so manch eines kritischen Denkers, Worte wie Integration in den Mund zu nehmen. Schliesslich hat es sich schon oft gezeigt, dass es in einigen Koepfen der Republik von der Forderung nach Integration zur Vorstellung von Assimilation nicht mehr allzu weit ist, und auch der Begriff den Eindruck vermittelt, es sei Sache der Minderheiten, sich in die Mehrheitsgesellschaft einzuordnen. Was denken eigentlich diejenigen, die mitmachen, bzw. nicht mitmachen? In den Medien wird immer mal wieder die Frage gestellt, warum eigentlich die Tuerken nur so spaerlich am Karneval teilnehmen, wo sie doch die groesste Minderheit Berlins, und vor allem Kreuzbergs, darstellen. Hoert man sich mal ein bisschen um, werden unterschiedliche Erklaerungen abgegeben. Gerade bei dieser Frage sieht man die politische Brisanz, die sich aus den jeweiligen Positionen entwickeln kann. Da gibt es zunaechst recht objektive Begruendungen, wie das Nicht-Vorhandensein einer Karnevalskultur in der Tuerkei. Auch der Alkohol, der zu reichlich fliesst, wird angesprochen, oft im Doppelpack mit zu viel nackter Haut. Das muesse wohl unvereinbar mit der islamischen Religion sein. Es wird auch auf den andersartigen Humor hingewiesen, den Tuerken anscheinend haben. Auch der bevorzugte Rueckzug in die geschlossenen tuerkischen Communities wird als Antwort angeboten. Man merkt, dass Abgrenzungsmechanismen manchmal sehr subtil sein koennen und in scheinbar rationalem Gewand daher kommen. Vielleicht saehen die Tuerken aber auch keinen Sinn darin, sich als Ethnie zu zeigen, sich schon gar nicht exotisieren zu lassen. Warum auch, nachdem sie schon so lange hier in Berlin das Alltagsbild praegen, und gerade in Kreuzberg, wo der Karneval stattfindet, einfach dazugehoeren. So hoert man von Leuten, die beim Karneval involviert sind, dass sich Tuerken nicht in explizit tuerkischen Gruppen praesentieren, sondern bei Gruppen mit unterschiedlichen Hintergruenden teilnehmen. Sambatanzende Tuerkinnen seien keine Seltenheit, und bei den tuerkischen Rappern auf den Soundsystems frage keiner nach der Herkunft. Manche lehnen den Karneval und ueberhaupt alle multikulturellen Konzepte, die auf ungleichen politischen Machtstrukturen beruhten, ab. Eine tuerkische Folkloregruppe meint, sie wolle doch nicht kostenlose Imagewerbung fuer Wowereit machen, und schon gar nicht fuer die Stadt Berlin, die ihnen mangelnde Integration in die deutsche Leitkultur vorwerfe. Einem ehemaligen Akteur auf dem Karneval sei die Lust vergangen, seitdem selbst in Deutschland geborene Tuerken eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen muessen, sobald sie 16 sind. Die unterschiedlichen Standpunkte machen deutlich, warum es nicht nur schwierig ist, die Frage nach der Partizipation der Tuerken zu beantworten, sondern auch, dass sie vollkommen unangemessen ist. Berliner Tuerken bilden keine homogene Gruppe, sondern zeigen sich in zahlreichen Facetten. Vor allem in den Anfangsjahren des Karnevals zeigte sich implizit der Anspruch in den Medien, dass doch bitte auch alle Minderheiten in Berlin ihre Chance zur Repraesentation nutzen sollen. Diese Einstellung ist falsch. Der Karneval sollte von denjenigen genutzt werden, die in ihm eine Plattform fuer ihr kreatives Schaffen sehen, es sollte aber niemand eine Nichtteilnahme als Abgrenzung auslegen. Man darf den Karneval nicht kategorisieren lassen, wer die richtige Einstellung hat und wer nicht, auch wenn er von Marketing und Politik gerne als Gradmesser fuer gelungene Integration angesehen wird.

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