Kaffee zum Gehen

Einstein Kaffee am Savignyplatz. Zwischen Bagel, Baguette, Ciabatta, Focchiata, Kaffee in allen Variationen und der Financial Times, Sueddeutschen und FAZ erzählt Designer Volker Ludwig die Geschichte von Jana Wolkenstein. Zwei mal die Woche steht sie hinter dem Tresen und muss dem König Kunde auf Kriegspfad einen Kaffee zum Gehen servieren. Nur der Geldnot wegen.

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Seit Jana Wolkenstein im Einstein Kaffee arbeitet, sieht sie die Menschen mit anderen Augen, Kaffee auch. Irgendwie, so scheint es, haben Mensch und Mocca nichts miteinander zu tun. Zweimal pro Woche treibt Jana die blanke Geldnot hinter den Tresen eines der inzwischen zehn, namentlich mit dem beruehmten Physiker verbandelten Coffee-Shops. Dass die Marke selbst gar nichts mit dem Realitivaetstheoretiker zu schaffen hat, ist ein Geruecht. Angeblich steht [irgend]ein Stein mit uebernatuerlichen heilenden Kraeften Pate. Im Laden ist vom guten Geist nichts zu spueren. Wahrscheinlich funktioniert dieser ZEN-Kram auch nicht in unserer teutonischen Metropole. Aber das ist reine Spekulation.

Heute hat Jana A-Schicht, 7.00 Uhr am Savignyplatz – wirklich unchristlich. Zum Glueck ist die Miete diesen Monat mal wieder ueberwiesen und der Hausbesitzer hat das Schloss nicht auswechseln lassen. Wechselgeld pruefen, Stuehle stellen und den Kosmopolitenfrass in die Vitrine: Bagel, Baguette, Ciabatta, Focchiata, blablabla. Dann Zeitungen auslegen: Financial Times, Sueddeutsche, FAZ – die gedruckten Statussymbole der Zielgruppe. Im Laden ist noch alles friedlich und Koenig Kunde noch nicht auf Kriegspfad. Jana geniesst eine heimliche Zigarette und einen Einstein-Kaffee. Dass der wirklich gut ist, beweist die Tatsache, dass sie ihn seit zwei Jahren trinkt, in jeder Schicht. Kein Vergleich mit der Ploerre, die man bei Starbucks warm gemacht bekommt.

Ausserdem kann der geneigte Geniesser die gute Bohne aus aller Herren Laender fein abgepackt in 250 g-Paeckchen im dezenten Edeldesign gleich noch kaeuflich erwerben. Den Geruch, der dadurch den ganzen Tag im Laden haengt, konnte sie lange Zeit nicht ertragen, aber man gewoehnt sich an alles. Abends an den Fingerspitzen zu schnuppern geht dagegen nie. Was die Inhaber vom amerikanischen Vorbild dagegen uebernommen haben, ist dieses anstrengende Corporate Design bis hin zur Einstein-Audio-CD, die noch kein Schwein gekauft hat.

7.30 Uhr, Tuer aufschliessen. Es dauert auch nicht lange, da lassen sich die ersten Stammgaeste auf dem Weg ins Buero blicken. Cafe Latte large und ein Erdbeertartelett fuer die Dame, Espresso medium und Dreikornecke fuer den Herren und taeglich gruesst das Murmeltier. Vier Zehn und Fuenf Siebzig, Bitte, Danke und einen Guten Tag. Trinkgeld? Fehlanzeige! Ist ja auch klar, die kommen jeden Tag hierher und in Ihrem Job gibt es auch kein Tip. Da gefallen die beiden Freundinnen schon besser, die sich hin und wieder im Einstein treffen und dann ganz aufgeregt etwas Neues ausprobieren, niemals das Gleiche bestellen. Oder der Bettler, der sein Kleingeld eintauscht und nachdruecklich darauf besteht, den vollen Preis fuer seinen Mocca zu bezahlen.

Zwei Bauarbeiter, die sich wohl verirrt haben, lassen sich jeden Kaffee detailliert erklaeren und beschliessen zwei Cafe grande mit extra viel Milch zu bestellen, beachtlich. Der Laden fuellt sich langsam. Man studiert den Wirtschaftsteil und schluerft Macchiato. Unglaublich, wie viele Erben ohne Beschaeftigung aber mit wichtigen Mienen in der Gegend wohnen. Zwischendurch kommt der neue Personalchef hereingepoltert und verlangt, dass Jana sich die Schuerze umhaengen solle. >Wenn Sie mir mein Gehalt endlich mal ueberweisen, dann vielleicht.Wollen Sie mich sonst kuendigen?< Er stottert etwas von so oder so aehnlich und ist wieder verschwunden. Jana waere es mehr als Recht, er wuerde seine Drohungen endlich wahr machen, denn das wuerde ihr die Entscheidung abnehmen, die sie zu treffen nicht in der Lage ist.

Der naechste Gast, Typ Rechtsanwaltskanzlei oder Werbeagentur, hat seine Gattin im Laden geparkt [4] und ist im angrenzenden Schuhgeschaeft noch auf der Suche. >Einen Americano Grande< toent es durch zwei Tueren. >Drei Euro< bruellt Jana lauthals zurueck, dass sogar die Kinder auf der Strasse erschrocken ihr Spiel unterbrechen. >Haben Sie heute keinen so guten Tag?< fragt sein Weibchen. Manche Leute merken es wirklich nicht. Gegen Mittag wird es anstrengend. Dann stehen die Angestellten aus den Bueros hier sogar Schlange.

Als erstes werden natuerlich die Bonuskaertchen ausgepackt. Die Bonuskaertchen sind das Wichtigste. Die bekommt sie unter die Nase gehalten, noch bevor die Bestellung abgegeben wurde. Zehn Stempel sind ein Freigetraenk. >Aeh, Sie haben vergessen zu bezahlen!< >Ach so, ja – Entschuldigung.< Hauptsache Stempel. Aber inzwischen ist Jana routiniert, den Stress merkt man ihr nicht an und die Milch bekommt jeder perfekt geschaeumt: Herzen, Blumen, Kleeblaetter. Nach einer Stunde ist die Panik vorbei: Trinkgeld: 25 Cent, Lohn auf Steuerkarte, echt Klasse.

Bis zum Feierabend stolpern noch einige aeltere Touristen zu ihr in den Laden und ziehen enttaeuscht wieder ab, weil es keinen Kaffee Amaretto gibt. Um 14.00 Uhr kommt die Spaetschicht. Jana wirft erschoepft das Handtuch. Eins steht fest, morgen streift sie sich das knallrote T-Shirt mit dem gelben M auf der Brust ueber: >Wenn ich dann nicht gekuendigt werde, dann weiss ich auch nicht mehr.<

Anm.d.Red.: Das Motiv oben stammt von LCG.

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