Wer macht eigentlich Jagd auf Julian Assange?

Durch das politische Asyl in der ecuadorianischen Botschaft hat der Fall Julian Assange eine neue Dimension erreicht. Die USA, Großbritannien oder Schweden wollen Assange um scheinbar jeden Preis haben. Aber nicht nur Staaten sind hinter ihm her. Der Gesellschaftskritiker Gerd R. Rueger nimmt die Medien unter die Lupe und fragt: Wer macht eigentlich Jagd auf den WikiLeaks-Chef?

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Das seit Monaten brodelnde Verfahren um eine Auslieferung des WikiLeaks-Gründers Assange nach Schweden ist endgültig zu einer Staatsaffaire geworden: Die Regierung in London drohte jetzt sogar Ecuador mit der Stürmung seiner Botschaft in London, weil sie Assange dort einstweilen Asyl gewährt. Großbritannien nahm, wie selbst zugegeben, nur aus Furcht von diesem martialischen Plan Abstand, dass britische Botschaften in aller Welt künftig ebenfalls Opfer solcher völkerrechtswidrigen Lynchjustiz werden könnten. Eine solche Stürmung wäre ein unerhörter Justiz-Exzess und ein Einbruch in den diplomatischen Usancen der modernen internationalen Beziehungen,

Die Regierung in Quito protestiert mit scharfen Worten, wirft den Briten Kolonialismus vor, mobilisiert die Weltöffentlichkeit, ruft internationale Gerichte an. Ecuador sieht Assange als politischen Flüchtling, der mit Auslieferung an die USA und dort mit der Todesstrafe bedroht wird. Assange hat Kriegs- und Staatsverbrechen der USA und anderer Machthaber aufgedeckt und wird deshalb wegen sogenannten „Geheimnisverrats“ verfolgt. Der angebliche Auslieferungsgrund nach Schweden ist als fadenscheinige Justizposse, die ursprünglich der Verleumdung von Assange dienen sollte, zu sehen.

In einer kurzen Pressekonferenz gab Ecuadors Außenminister Ricardo Patino bekannt, dass Ecuador eine entsprechende Mitteilung der Briten erhalten hat – was der Botschafter als unerhörten Affront betrachte, so Detlef Borchers bei heise.de. Ecuador sei souverän, keine Kolonie irgendeiner Imperialmacht und weise in aller Deutlichkeit die britische Drohung zurück. Botschafter Patino gab inzwischen bekannt, dass Ecuador dem WikiLeaksgründer Asyl gewährt. WikiLeaks protestiert scharf gegen die Behandlung von Julian Assange durch die Briten.

Formal gesehen könnte die britische Regierung Assange freies Geleit zum Flughafen gewähren, von dem aus er nach Südamerika ausreisen würde. Gegenüber Reuters erklärte London jedoch, dass man angesichts des schwedischen Auslieferungsgesuchs “Verpflichtungen zu erfüllen” hätte. Sollte die britische Justiz auf dem Haftbefehl bestehen, könnte der von den USA zum Staatsfeind Nr.1 erklärte Hacker also auf dem Weg zum Flughafen festgenommen werden. Und genau das ist wohl zu befürchten, wenn man das unverhältnismäßige Agieren Londons betrachtet.

Jagd auf Assange: Medien als Verleumder?

Die Olympiade ist gerade erst in London mit viel Pomp zuende gegangen –die Briten boten auf, was ihr Land an Kultur zu bieten hatte: Die Musik aus Monty Pythons „Life of Brian“ begleitete den Ausklang der Spiele. Doch der Blick auf die „bride side of life“ wurde schon bald getrübt: Die hysterische Atmosphäre der des August 2012 wird in der Geschichte der westlichen Medien vermutlich als Tiefpunkt einer inhumanen Anti-Assange-Kampagne zu verzeichnen sein.

In kaum einem deutschsprachigen Medienbeitrag über den WikiLeaks-Gründer fehlte der Begriff „Vergewaltigung“ –obwohl lange bekannt ist, dass die dünnen Anklagepunkte der schwedischen Justiz sich maximal zwischen sexueller Belästigung und dem in Schweden sehr ausgedehnten Begriff des sexuellen Missbrauchs bewegen. Keine der beiden Schwedinnen, auf deren Anzeigen hin Assange von Interpol zur Fahndung ausgeschrieben wurde, hat je geleugnet, mit Assange einvernehmlichen Sex gehabt zu haben.

Assange hat sich in den letzten Jahren in unzähligen Verleumdungsklagen gegen britische Medien verschlissen, die dennoch stur auf ihrer Lüge von der „Vergewaltigung“, derer Assange angeblich verdächtigt würde, beharrten. Jeder Journalist kann heute wissen, dass es nicht um Vergewaltigung geht, sondern um ein geplatztes Kondom bzw. die Behauptung, es sei im Verlauf einer einvernehmlich durchvögelten Liebesnacht auch zu Sex ohne Kondom gekommen –angeblich entgegen dem Willen der Schwedin. Sie forderte von Assange einen Aidstest, was er verweigerte. Sie fand heraus, dass er noch mit einer anderen Schwedin einvernehmlichen Sex gehabt hatte und beide Frauen zeigten Assange an. Warum schreien die westlichen Journalisten dennoch fast unisono „Vergewaltigung!“ aus allen Medienkanälen?

Es ist ja nicht so, als ob unsere westlichen Journalisten Kritik an Machthabern nicht zu schätzen wüssten –es dürfen nur nicht die Machthaber unseres eigenen, des westlichen Machtblocks sein, die kritisiert werden. Über „Pussy Riot“, die Punkband, die 30 Sekunden in Moskaus Hauptkirche einen Gottesdienst mit Putin-Schmähungen unterbrach, wird anders berichtet. Minutenlang breitet sich die Tagesschau über den unfairen „politischen“ Prozess aus, spielt Bilder von weltweiten Unterstützern ein und Screenshots von Solidaritätsmails im Internet. Tags zuvor im Fall Assange gab es nichts dergleichen.

Dabei könnte wenigstens die deutsche TV-Leitsendung Tagesschau, die gern auf ihr weltweit größtes Korrespondentennetz verweist, durchaus mitbekommen haben, dass auch die Internet-Plattform WikiLeaks im Internet ein paar Millionen Unterstützer hat, deren unermüdlicher Kampf für Assange ein paar Screenshots wert gewesen wäre. Stattdessen der dauernde verleumderische Verweis auf die angebliche „Vergewaltigung“, nicht relativiert oder hinterfragt –und kein Ton über die offensichtlichen Hintergründe der Auslieferungsfarce: Die Kriegsverbrechen der USA und anderer westlicher Regierungen und deren aus politischer Motivation zum Verbrechen erklärte Enthüllung. Das totale Versagen der westlichen Medien im Krieg „gegen den Terror“ in Irak und Afghanistan setzt sich heute fort in Libyen, Syrien und bei WikiLeaks.

Jagd auf einen Whistleblower

Enthüller leben gefährlich und was Julian Assange erleben muss, ist in seinem Arbeitsgebiet nichts prinzipiell Ungewöhnliches. Whistleblower werden regelmäßig Opfer von Rufmord-Kampagnen durch die Straftäter, deren Verbrechen oder Verfehlungen sie ans Licht gezerrt haben. WikiLeaks hat grauenhafte Kriegsverbrechen der USA, der westlichen Besatzungstruppen in Irak und Afghanistan enthüllt.

Mehr noch: Assange hat die Verbrechen einer abgestumpften, willfährigen westlichen Journaille so unmissverständlich unter die Nase gerieben, dass sich keiner mehr abwenden, lapidar darüber hinweg gehen konnte. „Collateral Murder“ hat das Selbstbild des Westens, vor allem der USA ins Mark getroffen und für immer verändert. Kein duckmäuserischer Redakteur, kein kriecherischer Reporter konnte ableugnen, was dort geschehen war: Bestialischer, feiger Massenmord, das Abschlachten von kritischen Beobachtern, zufälligen Zeugen, helfenden Zivilisten, kleinen Kindern. Täter: Unsere angeblich die Freiheit verteidigenden Truppen.

Assange hat dem Westen den Spiegel vorgehalten, was dort zu sehen war, war die Fratze eines mordlüsternen Killers –nicht der strahlende Kriegsheld und humanitäre Helfer, den unsere Medien uns Jahr für Jahr zeigten. Dafür hassen die westlichen Machthaber Assange, dafür hassen ihn auch die Heerscharen von Journalisten, deren verlogenes Wunschbild WikiLeaks hat platzen lassen. Darum hetzen sie jetzt Assange mit den übelsten Verleumdungen, die sie sich nur aus den Fingern saugen können: „Vergewaltigung!“.

Zitieren wir zum Schluss eine nüchterne, weibliche Stimme: 2011 schrieb Antje Bultmann, Expertin für Whistleblower, in ihrem Beitrag „WikiLeaks und die Grenzwachen bürgerlicher Freiheitsrechte: Wie die USA ihre demokratischen Ideale verraten“, in der kriminologischen Fachzeitschrift Big Business Crime: „Zwei wehrlose Frauen? Beide Frauen sind Intellektuelle, keine ‚Hascherl‘ vom Land, Frauen, die sich später rächen wollten, weil Assange sich nicht mehr für sie interessierte. Jedenfalls ließ Anna Ardin sich im Internet darüber aus, wie man sich bei Männern rächen kann. Sie gingen zusammen zur Polizei. Die Beweislage war aber so dünn, dass die Klage fallen gelassen wurde. Allerdings fanden sich ein paar Wochen später Argumente, die Verfolgung wieder aufzunehmen. Wie das?“

Antje Bultmann weiter: „Über den Sinneswandel der Staatsanwaltschaft kann nur spekuliert werden. Auf was sich der Vorwurf der Vergewaltigung oder der sexuellen Belästigung bezieht, wurde dem Rechtsanwalt von Assange lange nicht gesagt. Amerika hat hier vermutlich mitgemischt. Es gibt ja wohl keinen zweiten Fall, der wie der von Assange wegen unterschiedlicher Ansichten um ein Kondom von Interpol zur Fahndung ausgeschrieben wurde. Der Gejagte stellte sich in London am 7. Dezember 2010 selbst der Polizei und wurde festgenommen.“

Anm.d.Red.: Weitere Beiträge zum Thema finden sich in unserem WikiLeaks-Dossier. Das Foto oben stammt von orkomedix und steht unter einer Creative Commons Lizenz.

3 Kommentare zu “Wer macht eigentlich Jagd auf Julian Assange?

  1. Vielen Dank für den Artikel!

    Für mich war unter anderem folgende Information neu:

    Großbritannien nahm, wie selbst zugegeben, nur aus Furcht von diesem martialischen Plan [die Botschaft Ecuadors zu stürmen] Abstand, dass britische Botschaften in aller Welt künftig ebenfalls Opfer solcher völkerrechtswidrigen Lynchjustiz werden könnten.

    Ich hatte bislang nur gehört, dass der britische Außenminister (wenig glaubwürdig) so getan hat, als sei die Stürmung nie ernsthaft erwogen worden. Weiterhin hat der Außenminister ausgeführt, dass eine Stürmung selbst nach dem in der Androhung genannten britischen Sondergesetz in diesem Fall nicht zulässig sei.

    Wann hat Großbritannien wo zugegeben, von dem Plan Abstand genommen zu haben, um keine Rache zu provozieren?

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