Was wollte Judith Butler in Berlin?

“Butler macht uns den Reich-Ranicki!” hätte die BILD vor einer Woche vermutlich getitelt – würde man sich dort für Gender-Themen interessieren. Doch auch ohne BILD war die mediale Aufregung um Judith Butlers Ablehung des Zivilcouragepreises des Berliner CSD groß. Der aufgewirbelte Staub hat sich ein wenig gelegt und man kann nun in Ruhe fragen: Welche Auswirkungen hatte Butlers Handeln?

Durch ihre Ablehnung des Zivilcouragepreises schaffte es die Ikone der Gender Studies einmal mehr, die Gräben zwischen wissen- schaftlicher Theorie und politischer Praxis zu überwinden. Und die deutschsprachigen Medien spielten bei ihrem Coup mit.

Grenzüberschreitendes Medienspektakel

Kaum hatte Butler auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor ihren Preis abgelehnt, ging die Meldung über den dpa-Ticker und war beinahe in Echtzeit auf Spiegel Online und FR-online nachzulesen. Kurz darauf war ein Mitschnitt auf YouTube einsehbar. Mehr als 20.000 Menschen schauten innerhalb von drei Tagen hin.

An den darauf folgenden Tagen brachten regionale und überregionale Medien den “Eklat” (dpa). Die taz kommentierte und diskutierte Pro und Contra, 3sat sendete in Kulturzeit eine fünfminütige Reportage, zahllose Menschen diskutierten auf YouTube und auf queer-politischen Foren das Für und Wider von Butlers Paukenschlag.

Warnung vor Homonationalismus

Am Tag zuvor hatte Butler in der Berliner Volksbühne einen Vortrag gehalten. Es ging um Queere Bündnisse und Antikriegspolitik. Da hatte sie bereits angedeutet, den Preis nicht anzunehmen. Die breite Diskussion über Butlers Entscheidung, den Preis abzulehnen, lässt sich am besten vor dem Hintergrund ihrer eigenen Ausführungen nachvollziehen.

Butler sprach von der Notwendigkeit, queere Politik als Bündnispolitik zu verstehen. Sie sprach von queerer Politik als einer Haltung, die ihre Kritik an Homo- und Transphobie mit einer Kritik an Rassismus, Militarismus, Nationalismus, Kapitalismus zusammendenkt.

Butler warnte vor dem, was Jasbir Puar Homonationalismus nennt: die Vereinnahmung scheinbar homofreundlicher Politik im Namen vermeintlich freiheitlicher westlicher Gesellschaften für eine Politik der Ausgrenzung muslimischer MigrantInnen und Gesellschaften.

Strategie des Eklats

Dies ist eine Warnung gegen eine Politik, die queere Subjekte als Weiß konstruiert und migrantische Subjekte als homophob. In dieser Logik geraten antirassistisch-queere Bündnisgruppen aus dem Blick. Und gerade solche Gruppen wie GLADT, LesMigraS, SUSPECT und ReachOut hob Butler hervor.

Ganz klar: Butler hat ihre einflussreiche Position strategisch genutzt, um Gruppen Gehör zu verschaffen, die ohne ihre Fürsprache von der hetero– und homonormativen Dominanzgesellschaft nicht gehört würden. Damit setzt sie ihre Forderungen um, mit denjenigen an einem Strang zu ziehen, die eine hegemoniekritische Haltung einnehmen wollen.

Es geht hierbei nicht um identitätspolitische Bündnisse, sondern um Bündnisse, die auf “kontingenten Grundlagen” beruhen, wie sie es selbst einmal genannt hat. Strategisch mag dieser Einsatz vorbildlich sein. Ein gefühlter Rest Ambivalenz bleibt dennoch. Denn die Aporie bleibt: indem Butler die öffentliche Aufmerksamkeit von sich weg lenkt, bleibt sie an ihr haften.

6 Kommentare zu “Was wollte Judith Butler in Berlin?

  1. Super, dass ihr dazu was bringt. Habe die Blogs auch durchstöbert, aber das ist mir alles viel zu aufgeregt. Es geht doch nichts über eine sachliche Einschätzung!

  2. Ein gutes Beispiel für Homonationalismus ist der niederländische Politiker Geert Wilders (http://de.wikipedia.org/wiki/Geert_Wilders). Er hetzt gegen den Islam unter anderem mit dem Argument dass die erkämpfte Vielfalt (v.a. was die Rechte Homosexueller angeht) in den Niederlanden durch den Islam gefährdet ist.

  3. Danke für den Beitrag! Warst du denn selbst vor Ort? War die Stimmung wirklich so feindselig und Künast so peinlich?

  4. Dank auch von mir! Etwas weniger Fachsprache hätte es für mich definitiv auch getan :) Aber ich spüre, worauf Sie hinaus wollen, die Argumentation ist überzeugend, gerade das Fazit gefällt mir.

    So viel Unterscheidungsvermögen und Nüchternheit hätte ich mir von anderen Medien auch gewünscht, das wird mir auch nochmal klar, wenn ich die ganze Links in Ihrem Artikel clicke.

  5. Keine Aporie. Sondern die Funktionslogik der modernen, politischen Ikone, die die Aufmerksamkeit, die sie genießt bzw. auch ganz zielgerichtet auf sich zu ziehen vermag, umzuleiten versteht, auf die “Issues”, für die sie steht, die ihr wichtig sind.

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