Journalismus in Japan & Deutschland: Drei Irrtümer

Seit der Dreifach-Katastrophe vom 11. März beschäftigen sich deutschsprachige Medien immer wieder auch mit den großen Mysterien der Kultur im Land der aufgehenden Sonne. Denn scheinbar geht man dort mit der Notlage so ganz anders um. Nicht nur der Energieriese Tepco und die Regierung geben große Rätsel auf. Auch der Journalismus. Berliner Gazette-Chefredakteurin Magdalena Taube zeigt auf, dass den Annahmen über den Journalismus in Japan ein falsches Verständnis des Journalismus in Deutschland zu Grunde liegt. Eine Analyse von drei Irrtümern.

Irrtum 1: Journalisten in Japan verstehen sich als Chronisten, während ihre KollegInnen in Deutschland als investigative „Wühlmäuse“ unterwegs sind.

Es stimmt, dass Journalisten in Japan ihre Rolle anders interpretieren als KollegInnen in den westlichen Medien. Doch der Vergleich mit den Wühlmäusen in Deutschland (so stellt der SPIEGEL es dar) und den braven Info-Bereitstellern auf der Insel hinkt. Erstens sehen sich deutschsprachige JournalistInnen nicht in erster Linie dem investigativem Journalismus verpflichtet (der SPIEGEL mag eine Ausnahme sein), sondern sehen ihre Aufgabe eher darin, ihr Publikum neutral und präzise zu informieren. Das legt zumindest die letzte große JournalistInnen-Befragung aus dem Jahr 2005 nahe.

Außerdem suggeriert der Vergleich einen qualitativen Unterschied zwischen Investigativjournalismus und Informationsjournalismus, der sich nicht belegen lässt. Kann Journalismus seinen Aufgaben tatsächlich nur dann nachkommen, wenn eine ganz bestimmte Form der Berichterstattung, nämlich der Investigativjournalismus, gewählt wird? Wer das glaubt, übersieht den Reichtum der vielfältigen Presselandschaft.

Irrtum 2: Politik, Wirtschaft und Journalismus sind in Japan heillos miteinander verstrickt, während sich die Wühlmäuse in Deutschland ihre weißen Westen nicht schmutzig machen.

Um diesen „Missstand“ des Journalismus in Japan zu illustrieren wird immer wieder das Bild vom Tokioter Journalisten bemüht, der sein Büro in der Institution oder Firma hat, über die er berichtet. Auch dieser Fakt stimmt und die Verschränkungen von Politik, Wirtschaft und Journalismus sollen hier nicht gutgeheißen werden. Doch auch bei diesem Vergleich wird suggeriert, dass es in Deutschland grundlegend anders wäre. Das ist definitiv nicht der Fall.

Nur ein Beispiel von vielen: Während der Wirtschaftskrise im Oktober 2008 soll Angela Merkel die „bedeutenden Chefredakteure der bedeutenden Medien“ ins Kanzleramt eingeladen und sie darum gebeten, „zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren.“ Jakob Augsteins Aussagen zufolge haben sich die Medien daran gehalten. Bei soviel Nähe zur Politik kann einem die Aufregung über die „in-house-journalists“ in Japan nur scheinheilig vorkommen.

Irrtum 3: In Japan gibt es ein anderes Journalismus-Modell als in Deutschland. Und anders bedeutet: schlecht.

Während viele Medien die Unterschiede zwischen Journalismus in Deutschland und Journalismus in Japan herausarbeiten, werden wenige Versuche unternommen, wirklich zu verstehen, was das „Journalismus-Modell Japans“ ausmacht, abgesehen von der Tatsache, dass es wie die Systeme anderer Länder auch mit Problemen behaftet ist. Selbstherrlich wird immer wieder darauf verwiesen, dass JapanerInnen bescheiden und unterwürfig sind. Ergo sind auch die JournalistInnen in Japan bescheiden und unterwürfig und können ihren Job nicht richtig machen.

Solche Erklärungsmuster helfen jedoch niemanden, die Potenziale des Journalismus in Japan zu verstehen. Ausgeblendet wird dabei, 1) dass Japan keine Diktatur ist, 2) dass Japan im Press Freedom Index von 2010 sechs Plätze vor Deutschland auf Platz 11 liegt und 3) dass es erstaunliche Modelle der Zusammenarbeit zwischen den sozialen und klassischen Medien nach 3/11 gibt.

In der taz wurde von Reginald Grünenberg jüngst der Versuch unternommen, das Journalismus-Modell in Japan nicht mit kulturellen Unterschieden, sondern aus sich selbst heraus zu erklären. Ein seltener Ansatz, der Schule machen sollte. Denn wer andere nur zu seinen eigenen Bedingungen versteht, hat im Umkehrschluss ein verklärtes Selbstbild. Das ist keine gesunde Grundbedingung für den Journalismus in Deutschland.

15 Kommentare zu “Journalismus in Japan & Deutschland: Drei Irrtümer

  1. Tolle und kompakte Zusammenfassung.
    Kann Magdi in allen Punkten nur zustimmen und finde es auch erschreckend, wie wir den tollen westlichen Journalismus über den der Japaner stellen. Dabei sind viele deutsche Journalisten kein Deut besser, sondern nur anders schlecht. Genau wie manche japanische Kollegen.

  2. “Während der Wirtschaftskrise im Oktober 2008 soll Angela Merkel die „bedeutenden Chefredakteure der bedeutenden Medien“ ins Kanzleramt eingeladen und sie darum gebeten, „zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren.“ Jakob Augsteins Aussagen zufolge haben sich die Medien daran gehalten.”

    wann und wo hat Augstein das gesagt?

  3. @andi: ja, niemand will hier irgendwen Schoenreden auf die Kosten von anderen.

    @nele: die Verschränkungen zwischen Politik und Journalismus in Deutschland beschreibt Freitag-Chef Jakob Augstein in dem Buch „Wozu noch Journalismus?“

  4. “das Journalismus-Modell in Japan…aus sich selbst heraus erklären”… man könnte vielleicht auch sagen: es gilt, die Journalisten Japans über ihr eigenes Modell sprechen zu lassen, statt die westlichen Beobachter-Besserwisser.

    Vieles im Bereich der Postkolonialismus-Literatur/Forschung, etwa im Hinblick auf Afrika, hat eben diesen Anspruch. Es geht darum, dass Afrika seine eigene Geschichte schreiben soll, nicht “wir” denen unsere Art die Dinge zu sehen aufdrücken…

    Ich sage auch Afrika, weil Deutschland in Afrika Kolonial-Erfahrungen hat und man hat das Gefühl: die Experten in den Medienhäusern haben nicht viel daraus gelernt..

  5. @Magdalena: danke! das suche ich mir mal raus ; ) ich haette noch eine Frage: was genau zeigt Grünenberg in seinem Text über die Journalismus-Kultur in Japan?

  6. @andi: auch Dir vielen Dank! persönliche Lese-Empfehlungen haben für mich einen besonderen Wert ; )

  7. @nele: Grünenberg legt die kartellartige Struktur der Presseclubs in Japan offen, die exklusiven Zugang zu Informationen haben und für „externe“ Journalisten nicht zugänglich sind.

  8. ein Blick nach Griechenland, einer ehemaligen Kolonie Deutschlands, oder sagen wir Gastarbeiter-Enklave, koennte manch interessant sein:

    Blog Pitsirikos – Griechenland | Donnerstag, 7. April 2011 | Griechen wollen klüngelfreien Journalismus

    Zwei griechische Journalisten haben einen ausschließlich aus Spenden finanzierten Dokumentarfilm gedreht. Debtocracy behandelt die Wirtschaftskrise und alternative Lösungen, diese zu bewältigen. Pitsirikos erklärt in seinem Blog den Erfolg des Low-Budget-Films und kritisiert die Nähe zwischen Politik und der griechischen Medienlandschaft: “Der große Erfolg von Debtocracy beweist, … dass die griechischen Medien von der jeweiligen Regierung finanziell vollkommen abhängig sind und ihr nach dem Mund reden. Seit Jahren bombardieren sie uns nur mit der Meinung der jeweiligen Regierung, die erfolgreich ihre Geschäfte mit der Elite des Landes macht, die wiederum die Massenmedien und Baufirmen besitzt. … Mit Debtocracy haben die Bürger gezeigt, dass sie eine andere Art von Journalismus wollen, finanzieren und gestalten können, der jeden erreicht und nicht von den Regierungen und dem Klüngel in ihrem Umfeld gesteuert wird.”

    http://www.eurotopics.net/de/archiv/article/ARTICLE85809-Griechen-wollen-kluengelfreien-Journalismus

  9. die kulturelle Suchmaschine ( http://www.realtokyo.co.jp/ ) ist als journalistisches Phänomen in Deutschland auch noch nicht eingehend genug (gewschweige denn vno innen heraus, zu ihren eigenen Bedingungen) gewürdigt worden!

  10. Seriosität der Deutschen Presse?

    Keine eigene Recherche, keine Fachleute, die nochmals prüfen und Korrekturlesen, blindes Vertrauen … Peinlich ist zu sehen, wie offenbar deutschlandweit von einander abgeschrieben oder ungeprüft von Agenturen Fehler übernommen werden. So melden etliche Zeitungen und Nachrichtenagenturen aktuell (Sa, 30.4.2001, 19:00 Uhr) Folgendes:

    Aus Protest gegen seiner Ansicht nach zu hoch angesetzte Grenzwerte nach der Atomkatastrophe von Fukushima ist ein Berater der japanischen Regierung zurückgetreten. Er könne es nicht vertreten, dass die Regierung den seiner Einschätzung nach unangemessenen Grenzwerte von 20 Millisievert pro Stunde für Grundschulen in der Nähe von Fukushima festgesetzt habe, erklärte Toshiso Kosak.

    ( http://www.welt.de/politik/ausland/article13309847/Japans-Atomberater-tritt-unter-Traenen-zurueck.html )

    ( http://m.ftd.de/artikel/60045746.xml?v=2.0 )

    ( http://www.focus.de/panorama/welt/tsunami-in-japan/japan-atomberater-tritt-weinend-zurueck_aid_622785.html )

    ( http://www.nachrichten.de/panorama/Japan-Atomberater-tritt-weinend-zurueck-aid_5451979271135442520.html )

    ( http://www.sueddeutsche.de/karriere/japanischer-atomberater-tritt-zurueck-traenen-der-wut-1.1091388 )

    ( http://www.taz.de/1/politik/asien/artikel/1/atomberater-tritt-zurueck/ )

    ( http://www.handelsblatt.com/politik/international/japans-atomberater-schmeisst-das-handtuch/4117970.html )

    ( http://www.mainpost.de/ueberregional/politik/brennpunkte/33-Milliarden-Euro-fuer-Wiederaufbau-verabschiedet;art112,6121777 )

    ( http://www.bild.de/news/ausland/fukushima/ruecktritt-atomberater-17661298.bild.html )

    Richtig gab dagegen der Spiegel an:

    Das Kabinett habe seinen Rat zum Umgang mit der Krise von Fukushima ignoriert. Und weil niemand auf ihn höre, habe es “keinen Sinn, dass ich auf meinem Posten bleibe”, sagte Kosako. So sei der von der Regierung eingeführte Grenzwert von 20 Millisievert pro Jahr für die Strahlenbelastung von Schülern in der Nähe von Fukushima inakzeptabel. “Ich kann das als Wissenschaftler nicht zulassen”, sagte Kosako.

    Zum Vergleich: Der Wert entspricht der Höchstdosis für einen deutschen Atomkraftwerksmitarbeiter.

    ( http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,759906,00.html )

    sowie

    ( http://nachrichten.t-online.de/atomkatastrophe-in-japan-atomberater-wirft-regierung-rechtsbruch-vor-/id_46102650/index )

    Ärgerlich ist, dass z.T. in den gleichen Meldungen von der Belastung von Arbeitern mit 250 mSv pro Jahr die Rede ist …

    ( http://www.mainpost.de/ueberregional/politik/brennpunkte/33-Milliarden-Euro-fuer-Wiederaufbau-verabschiedet;art112,6121777 )

    und der Fehler trotzdem NICHT gemerkt wird. Eine Belastung von Kindern mit 20 Millisievert pro Stunde wurde unweigerlich nach ca. 100 Stunden = 2,5 Wochen Unterricht zum Strahlentod führen!!!

    Um richtig verstanden zu werden, das macht das grundlegende Problem nicht besser: Auch die 20 Millisievert pro Jahr sind ein unglaublicher Skandal, gesundheitliche Belastungen und Spätschäden sind damit wahrscheinlich, von der psychischen Belastung völlig abgesehen. „Verstrahlte“ sind in Japan nach Hiroshima und Nagasaki über Jahrzehnte als Aussätzige der Gesellschaft geächtet und diskriminiert worden…

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