Kunst, Wahlkampf und Unbehagen in Japan

Vergangenes Wochenende haben die Konservativen in Japan die Wahl gewonnen – ein Erdrutschsieg. Die Künstlerin und Berliner Gazette-Autorin Nina Fischer hat das Land besucht, um eine Ausstellung zu eröffnen. Sie berichtet chronologisch von Wahlkampf, Begegnungen und Eindrücken. Und von einem Unbehagen, wenn es um das Reden über die Katastrophe vom 11.03.2011 geht.

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Anders als etwa in Europa haben die Protestbewegungen der 1960er in Japan keine sehr großen gesellschaftlichen Veränderungen nach sich gezogen und so versandete in den 80er Jahren das allgemeine Interesse daran. Seit dem ökonomischen Höhenflug, der Bubble Economy, drehte sich in der Kultur alles um Form und Pop. Nur wenige Künstler und Filmemacher widmeten sich noch politischen Themen.

Heute nach der Katastrophe in Fukushima flammt das Interesse allerdings wieder auf. Künstler in Japan beginnen sich auch wieder mit gesellschaftlichen und politischen Themen zu beschäftigen, was lange Zeit eine Art Tabu zu sein schien.

Normalität nach der Katastrophe

Dennoch: Über die Katastrophe wird gegenwärtig wenig gesprochen, alles hat sich der Normalität zugewandt. Trotz mittlerweile riesigen Demonstrationen mit hunderttausenden Bürgern gegen Atomkraft und für einen Erneuerung Japans, wendet sich die allgemeine Stimmung eher in die umgekehrte Richtung. Die konservativen Kräfte gewinnen an Zulauf. Vergangenes Wochenende wurde es amtlich: Die Japaner haben die konservative Partei LDP wiedergewählt. Vor drei Jahren waren sie von den Demokraten abgelöst worden, doch deren Amtszeit wurde vom Tsunami und dessen Folgen überschattet.

Die LDP verspricht: die Entscheidung zur Abschaffung der Atomkraft wird ersteinmal hinausgezögert. Und obendrein: Der Paragraph 9 der Verfassung soll geändert werden, damit die japanische Armee künftig wieder in Krisengebiete entsandt werden kann. Zusammen mit der rechten Partei Kōmeitō hat sie die zwei Drittel Mehrheit im Parlament.

In diesem gesellschaftlichen Klima fand meine jüngste Reise durch Japan statt – gemeinsam mit meinem Partner Maroan el Sani.

Eindrücke der Reise

Am 30.11.2012 kommen wir in Tokio an. 1.12.: Fahrt mit dem Shinkansen in den Süden, nach Yamaguchi zur Premiere von der Vocaloid Opera “The End” mit dem Virtual Idol Hatsune Miku. In der großartigen Oper, die Regisseur Toshiki Okada und Komponist Keiichiro Shibuya entwickelt haben, geht es um die Sterblichkeit des Virtual Idols Hatsune Miku.

Sie muss erfahren, dass auch sie nicht ewig leben wird, und versucht sich dann im Laufe des Stückes mit der Endlichkeit ihres Lebens abzufinden, was sehr dramatisch und dark ist. Speziell angesichts der Tatsache, dass Hatsune Miku ein Idol von Teenagermädchen ist, die mit ihrer Hilfe Unsterblichkeit erlangen wollen. Das Popidol funktioniert wie eine Art soziales Netzwerk: Die Fans können selbst Stücke schreiben und sich fortwährend einbringen.

Das ganze vor dem Hintergrund von Fukushima ist besonders fatal, da es uns eine Art Ergebenheit in die unabwendbaren Zustände suggeriert. Dieses Gefühl der Ergebenheit sollte uns während unserer Reise noch öfter begegnen.

Strahlenfreies Essen

3.12. Kyoto: Wir treffen den Musiker Lee Tabasco von der Band “Frying Dutchman“, die Protestsongs gegen Atomkraft im ganzen Land auf Demonstrationen singen, und damit gut beschäftigt sind. Er gibt uns Flyer von einem Freund, der ein Restaurant aufgemacht hat, in dem das Essen vorher auf Strahlung kontrolliert wird. Zero Bequerel. Das ist natürlich die Ausnahme, nicht die Regel.

Was das Essen angeht, zeichnet sich ein neuer Trend ab: Man geht zwar Essen, aber die meisten essen dabei fast nichts. Man bestellt Bier und ein paar Speisen, aber die werden kaum angerührt, man hat zuvor meist schon ein (selbstgemachtes) Onigiri gegessen, oder hebt sich den Hunger für später auf, wo man zuhause sein Essen aus kontrolliertem Anbau selbst zubereitet. Viele bestellen ihr Essen bei Food Coops im Süden, aber man redet nicht viel darüber.

5 bis 8.12. Sapporo: Preview und Lecture zu unserer Filminstallation über die Zeit nach Fukushima. Der Saal ist voll, viele Studenten und unsere ehemaligen Kollegen von der Sapporo City Universität. Wir zeigen etwa 60 Minuten der Filminstallation, auf drei Screens, die insgesamt aus über sieben Stunden Material, (Interviews, Portäts und Landschafts- und Stadtaufnahmen, von Oktober 2011 bis Januar 2012 in Japan). Nach dem Screening gibt es einige Verständnisfragen und eine Frage von einem Studenten: Warum zeigt ihr diesen Film dem Publikum? Er habe von einem Dokumentarfilmer in Japan gehört, der zuerst einen Film über Fukushima gemacht habe, sich dann aber doch nicht durchringen konnte den Film zu zeigen, da es schwierig sei, darüber zu kommunizieren.

The image as a record: Is documentation possible? Das ist genau die Frage: Welche Bedeutung und Wirkung kann es haben, das Zeitgeschehen zu dokumentieren, darüber einen Dialog beginnen, Bilder dafür zu finden, das Geschehene verarbeiten, daraus Schlüsse ziehen, einen Neuanfang zu wagen?

Avantgarde der 60er und 70er

8. bis 11.12. Tokio: Ausstellungsaufbau: Am Tag der Presse-Eröffnung treffen wir den Filmemacher Miyai Rikuro. Er gehörte zur künstlerischen und politischen Avantgarde der 1960er und 70er in Tokio und zeigt zwei seiner 16-Millimeter-Filme aus dieser Zeit. In einer Filmszene sieht man einen Ausschnitt aus einem anderen Film von Mishima. Ein junger Mann sitzt auf einem Tatami und bereitet sich auf einen Seppuku (Selbstmord durch Schwert) vor.

Miyai lacht bei der Szene und erzählt uns davon, dass sein Freund Mishima später Selbstmord durch Seppuku begangen hat. Miayi selbst ist mittlerweile viel in Indien unterwegs gewesen und meditiert. Er trägt einen langen weißen Bart und sieht sehr gelassen aus. Es kommen etwa 30 Leute zum Presse-Rundgang und lassen sich geduldig die Werke von der Kuratorin Tasaka Hiroko vorführen.

Es laufen Filmausschnitte über Narita 1970, in denen die Bauern sich ein Wortgefecht mit der Polizei liefern, Ausschnitte in denen es um die Opfer des Unglücks in Minamata geht, dazu die Anfänge der Laterna Magica, die schnell auch vom Volk für ihre Botschaften entdeckt wurde. Dann frühe Filme, ebenfalls aus der Sammlung wie der 1. Film von Lumière: Arbeiter verlassen eine Fabrik. Fragen gibt es keine, die Journalisten verlassen recht schnell die Ausstellung. Es bleibt ein gewisses Unbehagen im Raum zurück.

I don’t understand Japan!

11.12. Artist Lecture und Diskussion: Die Lecture und Diskussion laufen gut, obwohl es mir absurd erscheint, in Tokio die Aufnahmen zu zeigen, die wir vor einem Jahr in Tokio gemacht haben, denn auf den ersten Blick scheint alles noch genauso zu sein wie damals, nur andere Werbung in Shibuya, und die Leute, die im Dezember 2011 Stimmen für das Referendum gegen Atomkraft gesammelt haben, sind nicht mehr da, sondern dafür fahren grün gekleidete Grüppchen auf Fahrrädern durch die Stadt, um für die Wahl zu werben. Das sind aber nicht etwa die Grünen oder so, sondern die Ultrakonservativen, die sich – Costume Play is big in Japan – einfach mal in eine grüne Kluft geschmissen haben, um junge ecofriendly Wähler anzuziehen. Hello! Winke Winke! Wählt mich!

Die kommen in unserem Film ja noch nicht vor, dafür erscheint ein Ausschnitt eines Freundes und jungen Vaters, der sich vor einem Jahr in unserem Interview besorgt gezeigt hatte, Essen für sein Neugeborenes Kind im Supermarkt in Tokyo zu kaufen, da ihm die Grenzwerte in Japan zu hoch für Säuglinge schienen.

Am Ende der Lecture, als alle Gäste sich gerade verabschieden, raunt mir die (amerikanische) Übersetzerin zu: “You should tell your friend he does not have to worry about the food here in Japan, it is all checked and save!”. Ich antworte: Ja, vielleicht, aber die Werte sind sehr hoch und viele trauen den Werten nicht… Ihre Antwort daraufhin: “Yes, but we have an emergency here, you simply don’t understand Japan!” Was sollte ich jetzt sagen, mir liegen viele Varianten auf der Zunge, aber ich will mich nicht mit ihr anlegen, draußen warten meine Freunde, wir wollen Essen gehen und Bier trinken und ich sage nur etwas wie: “I think we understand the people quite well”.

Aber nach der Wahl gestern, muss ich sagen: Right, I think I don’t understand Japan!

Anm.d.Red: Der Beitrag wurde von Nina Fischer in Zusammenarbeit mit Maroan el Sani verfasst. Beide haben derzeit eine Ausstellungen in Japan im Metropolitan Museum of Photography. Die Fotos im Text stammen von Lars Niki alias infrastructuredept, sie stehen unter einer Creative Commons Lizenz. Das Foto ganz oben zeigt die verspiegelte Fassade des Tepco Museum in Shibuya, Tokio. Mehr zum Thema in unserem Dossier Fukushima.

3 Kommentare zu “Kunst, Wahlkampf und Unbehagen in Japan

  1. Diese Schilderung aus Japan vermittelt glaubwürdig japanische Mentalität und deren Reaktionen auf Fukushima. Danke! Für Europäer ist das schwer nachvollziehbar. Oder? Wird solcherart Fatalismus auch bei uns Schule machen? Nicht nur Fukushima hat Bedrohungspotential und schürt Ängste.

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