Jahresschwerpunkt 2013: Wie wir im Zeitalter des Konflikts zu “Komplizen” werden

Konflikt ist die Mutter heutigen Zusammenlebens. Unsere Zusammenarbeit steht im Zeichen von Komplizenschaft. Das sind die zentralen Thesen unseres Jahresschwerpunkts 2013. Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki skizziert das Anliegen.

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Wir leben im Zeitalter des Konflikts. Vor der eigenen Haustür und im Beruf, ebenso auf der großen Bühne von Politik und Finanzwirtschaft – überall gibt es Streitereien und Kämpfe, Scharmützel und Kriege. Mal lang und darbend im Modus des so genannten Low Intensity Conflicts. Mal eskalativ wie ein Herzinfarkt.

Immer ist es ernst. Meistens geht es ums Überleben. Drüber stehen, Abstand nehmen – das war gestern. Den auf Skandale programmierten Massenmedien kann das nur lieb sein. Wir aber fragen: Gibt es bei all dem Ringen einen gemeinsamen Horizont? Ein höheres, im Eifer des Gefechts vergessenes Anliegen? Ein übergeordnetes Ziel?

Akteure, die ihre Egos gegeneinander antreten lassen, sitzen häufiger als ihnen bewusst ist in ein und demselben Boot. Sie sind in Wirklichkeit keine Opponenten, sondern KOMPLIZEN – Partner wider Willen. Partner, die eigentlich gar nicht miteinander können, weil sie so ungleich scheinen. Klein und groß, alt und jung, gestrig und zukünftig, arm und reich, aus der einen und aus der anderen Welt.

Gibt es eine gemeinsame Sprache? Welche Methoden und Werkzeuge zur Zusammenarbeit sind verfügbar? Wer kann als Übersetzer, Vermittler oder Moderator den Dialog und die Kooperation anleiten?

Befriedete Zonen der harmonischen Kooperation

Der Berliner Gazette-Jahresschwerpunkt KOMPLIZEN sucht verschiedene Konfliktfelder auf. Aber auch augenscheinlich befriedete Zonen der harmonischen Kooperation. Denn selbst in den Reihen der Trendsetter in Sachen Zusammenarbeit geht längst nicht alles so reibungslos zu wie angenommen.

Nehmen wir zum Beispiel die von BürgerInnen organisierte Gegenöffentlichkeit, unter anderem bekannt als alternative Medienlandschaft, Blogosphäre oder Netzgemeinde. Dort, wo brüderliches Teilen groß geschrieben wird, dort wo das Zusammenarbeiten auf Gleichheit und anderen sozialistischen Tugenden aufgebaut zu sein scheint – exakt dort schlummern (oft uneingestandene) Konflikte.

Damit rückt die Berliner Gazette nicht zuletzt ihr eigenes Wirkungsfeld in den Blickpunkt. Und fragt: Warum ist die Gegenöffentlichkeit hierzulande so klein und harmlos im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA? Warum gibt es nicht mehr Kooperation und Kollaboration innerhalb der Szene und darüber hinaus? Warum schmoren die Akteure lieber im eigenen Saft?

Zeit für neue Filter

Sollte es nicht unser Anliegen sein, neue Allianzen zu schmieden? Sollten wir nicht das Teilen und die Syndication erleichtern, um die Resonanz unserer Arbeit zu verstärken? Sollten unsere Inhalte nicht nach Beliebtheit, sondern nach Relevanz und gemeinsamen Nennern gewichtet werden? Schließlich sind wir in den meisten Fällen aus politischer Motivation oder sozialem Engagement aktiv – wir wollen die Welt verbessern.

Die Berliner Gazette glaubt: Mehr Kooperation und Kollaboration ist nicht nur möglich, sondern kann auch dabei helfen, die echten Probleme unserer Zeit auf die Agenda zu rücken und gemeinsam zu lösen. Schließlich werden die Probleme nicht kleiner. Im Gegenteil. Daher brauchen wir Durchblick.

Nach WAS BLEIBT? (2011) und OIKONOMIA (2012) entzaubert der Jahresschwerpunkt KOMPLIZEN den Märchenfilm namens “Zusammenarbeit” und zeigt, dass es gilt den Konflikt als Mutter heutigen Zusammenlebens und der gemeinsamen Arbeit zu begreifen. Konflikt muss man aushalten und produktiv machen.

„zusammen mit“, „flechten“, „ineinanderfügen“

Wir müssen uns klar machen, dass das Geworfensein in die Komplizenschaft geltende Gesetze des Zusammenlebens in Frage stellt – nicht im juristischen, sondern im philosophischen Sinn. KOMPLIZEN legen den vorauseilenden Gehorsam der Frage “Wer darf mit wem?” zu den Akten und frönen einem anarchistischen “Alle dürfen mit allen”. Sie bilden unkonventionelle Teams und erproben neue Formen der Zusammenarbeit.

Mit diesem Vorgehen erschüttern sie traditionelle Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung und werden beiläufig zu Vorboten neuer Gesetze sozialer Konnektivität. Der Jahresschwerpunkt der Berliner Gazette erinnert somit an die ursprüngliche Wortbedeutung von KOMPLIZEN. Sie besteht aus der lateinischen Vorsilbe com „zusammen mit“ und aus plectere „flechten“, „ineinanderfügen“. Es könnte kaum passendere Losungen für die Ära der Vernetzung geben!

Wie immer bietet der Jahresschwerpunkt den Rahmen für eine Debatte in unserem Feuilleton und bei unseren Veranstaltungen. Wie immer sind Sie, werte Leserin, werter Leser, dazu eingeladen, Ihre Ideen einfließen zu lassen. Über Input und Feedback freuen wir uns sehr!

Anm.d.Red.: Die beiden Fotos stammen aus Mario SixtusNew York City-Album und stehen unter einer Creative Commons Lizenz.

29 Kommentare zu “Jahresschwerpunkt 2013: Wie wir im Zeitalter des Konflikts zu “Komplizen” werden

  1. As usual too many questions …… as in any equilibrium the people
    considered more equitable social balance plus braid .. but nothing remains but to put the right people in the right place … sparrow for a coffee …..

  2. Konflikte gab es schon immer und sicherlich waren sie früher wesentlich existentieller. Denn mal im Ernst, so gut wie im Heute und Jetzt ging es den Menschen lange nicht. Nur dass wir im Zeitalter der Massenmedien stärker an den Konflikten (wo immer sie auch stattfinden mögen) teilhaben dürfen, was wiederrum den Eindruck erweckt, alles würde stetig schlechter und schlimmer werden.

  3. @#4: die Massenmedien verändern unsere Wahrnehmung von Konflikt – es gibt qua Beschleunigung und Verbreitung von Information mehr davon vor dem eigenen Gesichtskreis. Welche Konflikte tangieren mich persönlich und lassen mich zum Konflikt-Akteur werden? Bei welchen Konflikten bin ich “nur” Zuschauer? Und viele weitere Fragen mehr.

    Es gibt eine weitere Verschiebung: Globalisierung und Digitalisierung waren lange Zeit in erster Linie eine schöne Geschichte im Zeichen des globalen Dorfs: wir rücken näher zusammen, alles wird einfacher, es gibt keine Grenzen mehr. In dieser schönen Geschichte vom globalen Dorf war bereits eine Kehrseite des paradiessischen Zusammenlebens vorgedacht. Deren Erfinder McLuhan warnte davor, dass unter den neuen Bedingungen Kriege von heute auf morgen ausbrechen können, weil irgendjemand ein Gerücht gestreut hat.

    Heute können wir an die Idylle des globalen Dorfs kaum noch glauben, denn wir sehen die massiven Umbrüche der Globalisierung und Digitalisierung immer deutlicher. Disruption, Zerstörung – all das nimmt immer deutlichere Umrisse und verursacht immer heftigere Konflikte.

    Insofern ist das Konflikt-Zeitalter nicht nur eines, dass durch Massenmedien “gemacht” wurde.

  4. Das verspricht ja ein spannendes Jahr mit dem Jahres-Schwerpunkt der Berliner Gazette zu werden. (..)

    Und der Gedanke der Komplizenschaft ist wirklich anregend. Sich in schwierigen Zeiten Verbündete zu suchen, ist ja schon ein tragender Gedanke. Aber der Begriff des Komplizen enthält noch mehr von “durch dick und dünn gehen”, was gut zum Konflikt passt. Denn der liegt für mich nicht nur in den Konflikten auf gesellschaftlicher und politischer Ebene, sondern auch auf der Ebene eigener, innerer und äußerer Widersprüche, die es zu bewältigen gilt. Und das heißt auch, einander auszuhalten mit diesen Widersprüchlichkeiten, was Komplizen noch enger miteinander verbindet.

    Also: es ist was zum angeregten Weiterdenken. (..)

  5. Hi, und danke für den Input Eurer “Gazette”.
    Ich weiß jedoch nicht, ob Konflikt der richtige, nämlich zentrale oder effektivste Ausgangspunkt ist, wenn es um die Formung etwa einer digital-orientierten Gegenkultur geht. Konflikte sind nötig, sie sind, “gesund” ausgetragen “gesund”, sie verwirklichen Rechte der Aufklärung wie der Selbstbehauptung jedes freien Menschen (sich frei ausdrücken/Kritik üben “dürfen”), überhaupt: eine eigene, auch (mit der Mehrheit etwas) konfligierende Meinung vertreten zu können. Eine “Komplizenschaft” auf solcher offener Basis ist sicher besser, als die manches Mal indirekte Konfliktaustragung. Aber: Es besteht die große Gefahr, diese Betonung von Konflikten zum Anlass zu nehmen, das WIE, die zwischenmenschliche Form als nachrangig zu sehen, so dass es als geringeres Problem zum Durcheinander bei Piratensitzungen – wie übrigens gut bekannt von größeren Treffen der klass. alternat. Bewegung – kommt, kommen kann mit erhöhter Wahrscheinlichkeit, sondern auch zum weiteren! Verfall der politischen Kultur aufgrund der Nicht-Achtung (wie sie sich öfters in Netzkommentaren zeigt, wie sie sich auch im TON gegenüber dem früheren Bundespräsidenten zeigte, auch in den klass. Medien, wo plötzlich jeder kleine Journalist sich zum brillanten Leitartikler aufschwang, indem er/sie möglichst pathetisch und methapernreich dem Wulff Ehre und alles absprach (reagierender Artikel in der taz etwa nach Wulffs Fernsehauftritt bei u.a. Fr. Schausten: “Der kriechende Präsident”). Viele Menschen verstehen ja nicht einmal den Unterschied zwischen “ehrlich sein” in einem respektivollen Sinne und einem brutalen “ehrlich sein” (wozu manches Mal auch noch Schimpfworte gerechnet werden). Wenn Ihr dsa Thema Konflikt und Komplizenschaft habt, so rate ich, diesen Verfall der Kommunikationskultur hinsichtlich von Achtungs-Fragen auch kritisch gegenüber der digitalen Akteure zu beleuchten, denn dass da ein Wandel stattfinden muss, wo bisher ein Durcheinander ist, das Ausfälle erlaubt (Shitstorm) ist klar. Alse vielleicht ein Sich-Sammeln und gleichzeitig Sich-Reformieren?
    Mein anderer Kritikpunkt oder meine Anregung ist nicht weniger schwergewichtig: Der Ansatz bei Kritik (und Komplizenschaft) so sehr ich sie oben gelobt habe als wesentlich für ein mündiges politisch-kommunikatives Handeln, ist dennoch “nur” die instrumentale Seite politischen Handelns, d.h. das “Wie” für das eigentlich übergeordnete WAS, WARUM? Wenn die Ziele der Bewewgung(en), s. Piraten, nicht klar sind, wenn abgesehen vom Digitalen und dem Mitbestimmen-Wollen (beides wiederum eher ein WIE, als ein WAS?) eine sehr große Heterogenität der Mitmacher besteht, die sich ZIEL-mäßig, das ist entscheidend, nicht zusammenführen, zu einer Zusammenarbeit wie auch immer (Komplizen, Kollob. etc. etc.) bringen lassen, dann steht – wie es m.E. jetzt bei den Piraten ist – das ganze Reformprojekt in Frage! Wenn ich nicht etwas Bestimmtes in der Ges. will (was nicht nur mit dem Urheberrecht zu tun hat), ich dies nicht leidenschaftlich will, und wenn ich zu viel Vielfalt habe, das als Stoßrichtung zu entscheiden, dann wird das vermutlch vorübergehn, fürchte ich, bzw. an einigen Stellen integriert werden in das Bestehende (Kritisierte). Die Grünen waren hinsichtlich dieser Frage Ziele? (vs. Mittel) und dieser Politisierung nach Inhalten schon zu Anfang politisch viel günstiger aufgestellt. S. bei Bedarf auch meinen prinzipiellen Artikel: http://sandoragaly.wordpress.com/2012/05/21/die-grunen-sind-aus-andrem-holz-als-die-piraten-ein-schlaglicht/
    Dennoch finde ich Euren Schwerpunkt gut, denn Ihr ruft dafür gerade die Thematisierung solcher Fragen wie hier von mir hervor. Sicher bedarf die Konflitkhaltigkeit im hist. Vergleich der genaueren Betrachtung(s. etwa Friede innerhalb Europas wie nie zuvor, s. die Weltkriege früher – andererseits: damals war Vieles festgefügter geistig, was eine spezielle Form des Friedens erbringt oder erzwingt (Religion, Sitte/Moral, Autoritäten etc.), heute sorgt die Offenheit und mediale Konfrontation mit and. Kulturen dafür für mehr Konflikte…); auch ist Konflikt nicht die “Mutter heutigen Zusammenlebens”. Aber doch ist da Wahres dran, denn der Meinungsstreit in einer zviilisierten Form, der Meinungsaustausch UND die Meinungsübereinstimmung zusammen könnte ich auch als zumindest wesentlich für das Zusammenleben bezeichnen. Ihr solltet nicht den Fehler machen, wie Viele umgangssprachlich: Da wird als “Kritik” bezeichnet, wenn jemand etwas als “schlecht” o.ä. bewertet. “Kritik” ist aber die (auf Kriterien beruhende, also nicht “Wischiwaschi” gebrachte) Bewertung von etwas, falle diese nun pos. oder neg. aus! Genauso ist es nicht gut, neben “Eurem” Konflikt die ÜBEREINSTIMMUNG zu vernachlässigen, bloß, weil sie weniger dramatisch erscheint und weniger Nachrichtenwert hat. Ihr habt das etwas zu sehr zugespitzt mit dem Konflikt. Aber viel Erfolg, für produktiven Meinungsstreit und Meinungsbildung und auch kritische Zustimmung, wo sie angebracht ist – das je *Eigene* zu sagen ist aufklärerisch-kritisch, ob dies nun gegen das Vorherrschende ist oder mit der Mehrheit geht. Paul Watzlawick hat einmal den tollen Aphorismus wiedergegeben: Menschliche Reife sei, das Richtige zu tun, selbst wenn es die Eltern empfohlen haben. ;-)

  6. @Krystian Woznicki: Naja Kriege sind auch schon früher aufgrund von Gerüchten ausgebrochen. Aber im Prinzip hast Du Recht. Mit der Globalisierung, dem Aufweichen von geografischen Grenzen sind auch die globalen Konflikte zu “unseren” geworden. Das heisst, dass wir definitiv mehr Konflikte aushalten müssen, weil der in China umgefallene Reissack uns nun auch betrifft. Aber irgendwie funktioniert das auch nicht immer, wie man am Krieg in Ex-Jugoslawien gesehen hat. Der fand zwar in der Nähe statt, war aber trotzdem hier fast jedem egal. Mich hat das damals schockiert.

  7. @Sönke Behnsen: verstehe ich Dich richtig, dass du meinst, dass durch die Komplizenschaft mehr Toleranz zu anderen Menschen entsteht und man lernt die eigenen Wiedersprüchlichkeiten ein bisschen hintenanzustellen. Das wäre toll, fällt mir aber schwer zu glauben.

  8. @Anne v. Fircks: Danke für Deine Nachfrage. Ich denke, es kommt darauf an, inwiefern wir uns selbst und anderen zutrauen bzw. zumuten wollen, andere auch an den Seiten teilhaben zu lassen, die wir nicht mögen, die mit zwiespältigen Gefühlen verbunden sind und solche auch auslösen können. Das wäre dann der Teil der inneren und äußeren Konflikte, von denen ich schrieb.

    Ich würde mich im Zweifel auf niemand wirklich verlassen wollen, der mir nur die “schönen” Seiten zeigt. Ich würde davon ausgehen, dass ich die anderen auch noch zu spüren bekomme, aber nicht als integrierten Teil seiner selbst, sondern nach außen verlagert. Das ist für mich z.B. eine der Wurzeln von Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz. Wenn ich dazu neige, etwas, das ich in mir selbst oder mit meinen engsten Verbündeten nicht ertragen kann (das Fremde in mir oder in meiner peer-group), nach außen zu projizieren, um es selbst loszuwerden, werde ich, sobald der Druck in Konflikten größer wird, genau das tun, was mich innerlich von diesen unangenehmen, inneren Widersprüchen befreit.

    Insofern wäre vielleicht das Hintenanstellen nicht der Ausdruck, den ich verwendet hätte, aber Du meinst vermutlich etwas Ähnliches. Je mehr ich mich mit meinen eigenen konflikthaften Seiten vertraut mache, desto eher bin ich dazu in der Lage, sie auch in Beziehungen zu anderen zu erkennen, und nichts “von innen nach außen zu verlagern”, um mich selbst zu entlasten.

  9. @Sandor Ragaly: du meinst, dass Komplizenschaft in sich wieder Probleme trägt, denn damit sie in irgendeiner Form handlungsfähig ist, muss die Gemeinschaft koordiniert werden.

    Das funktioniert bei Parteien mit striktem Programm nicht so gut (Dominanz der Idee Einzelner), aber mit Transparenz und Basisdemokratie wie bei den Piraten auch nicht. Interessanter Gedanke. Was aber funktioniert und da erleben wir es ja auch, ist so eine Art plötzliches Aufbäumen wie bei S21 und Pussy Riot.

    Das ist eine Form der Komplizenschaft, die gut funktioniert für den Moment. Was die Komplizen zusammenschweisst, ist in erster Linie ein Gefühl (Wut, Ohmacht). Damit lässt sich auch einiges bewegen. Aber ich vermute, es ist null nachhaltig, daraus lässt sich weder eine politische Gegenbewegung formen noch eine gesamtpolische Veränderung … oder vielleicht doch?

  10. @Anne v. Fircks: danke. Komplizenschaft an sich, als recht offenes Konzept, kritisiere ich allerdings für sich genommen nur dahingehend, dass es zu offen und nebulös ist (noch?). Und ich gehe auch nicht von der Koordinierung der Gemeinschaft aus, denn auch diese ist (s. m. Kommentar) eher sekundär – gegenüber den politischen Anliegen, Zielen, dem Bewältigungswillen gegenüber konkreten Problemen. Wenn das da ist, und die Leute mit solchen Zielen hinreichend politisiert und interessiert und leidenschaftlich, dann kann man erst mit Aussicht auf Erfolg koordinieren, etwas Schlagkräftiges daraus machen, auch, weiter sich auf Probleme fein-verständigen, die Heterogenität v.a. bei den Zielen ist dann nicht zu groß. Was Du zu Recht als einigendes Band nennst, das Aufbäumen aus Kritik, ist hierzulande m.E. nicht “nachhaltig” (gute Anwendung des Begriffs :-) für eine ganze Bewegung oder Partei), ihm fehlt die Puste, weil es nicht “angetrieben” wird von größeren Zielen und Werten, die in einer gewissen Weltanschauung verbunden sind, Leidenschaft, Leidensfähigkeit und Politisierung für diese Ziele (Grüne!) sind vermutlich nicht stark genug. Fürchte ich bei Piraten und vielen, die sich mal rasch bei Pussy Riots “einklinken”, weil man bloß auf “Teilen” zu klicken braucht (anders in Russland).

  11. @Sandor Ragaly, Anne v. Fircks, Sönke Behnsen: vielen Dank für die spannenden Einlassungen und Differenzierungen! Ein schöner, anregender Auftakt für das Berliner Gazette Jahresthema. Ich hoffe, wir können diese Stimmen und Ansätze noch anderweitig im weiteren Verlauf aufgreifen bzw. zur Geltung bringen.

    Die Berliner Gazette hat sich im Jahr 2008 mit dem Schwerpunkt “minimum” eingehend mit der Frage nach dem WIR und neuen Konzeptionen von GEMEINSCHAFT beschäftigt ( http://berlinergazette.de/feuilleton/jahresthemen/minimum/ ). Differenz, Spannung, Konflikt ist damals nicht stark genug thematisiert worden, theoretisch schon hier und da, doch so gut wie gar nicht auf der pragmatischen Ebene. Also wollten wir nachlegen bzw. neu perspektivieren, denn v.a. aus den Erfahrungen innerhalb von projekten und der Jahrelangen Arbeit an der Berliner Gazette ist uns immer wieder aufgefallen, dass hier und da Kooperation funktioniert, aber genauso häufig davon schön geredet wird, ohne die Sache wirklich konzeptuell weiterzudenken und weiterzuentwickeln.

    Es gibt noch viele brachliegende Potenziale und gerade das Unbequeme, was der Konflikt ja darstellt, sollte beim Ausloten der Potenziale nicht unter den Tisch fallen.

    Wir müssen jetzt auf das nächste Level und da kommen wir nicht hin, wenn wir es nur bei Wohlfühl-Arrangements belassen. In der Demokratie-Theorie bieten Ranciere und Mouffe verschiedene Ansätze, die Dissonanz zentral als konstruktive Kraft setzen, wir wollen in der Berliner Gazette das Ganze nach Möglichkeit eher bodenständig und an konkreten Erfahrungen und Fällen betrachten, und da können Pussy Riot, Piratenpartei und andere genannte Cases sicherlich weiterhelfen.

  12. @Krystian Woznicki: Bin gespannt… Vielleicht darauf achten, nicht in der Gegenbewegung auf eine Bewegung hin die je anderen Aspekte “mit dem Bad auszuschütten”. Scharfe Thesen etc. sind gut, aber Differenzierung ist bei so einem komplex-grundsätzlichen Thema sehr wichtig, denke ich. Daher mein Hinweis, die anderen Faktoren nicht zu vergessen (Große Rolle von Zielen/Inhalten/Problemlösungs-Notwendigkeiten, Konsens UND Konflikt, Individuum und Masse (“Aggregation” der Einzelmeinung zu einer “Parteimeinung” etc.), so dass zunächst vielleicht ein umfassendes Skizzenmodell der pol./ges. Vorgänge, die relevant sind, gut wäre, mit einer Würdigung der wichtigen Faktoren, bevor man später natürlich auf bestimmte Dinge hin zuspitzen kannn, nur das schien mir hier noch nicht so weit. Nur als Anregung :-) ). Gruß!

  13. Das klingt alles sehr interessant. Muss mich den Einlassungen von Sandor anschliessen: Konflikt vs Zusammenarbeit ist eine unzulässige Reduktion, die sich vielleicht für die Theorie eignet (die dann aber langweilig wird). In Wirklichkeit braucht es zum Kreieren von echten Zusammenarbeitsökonomien (die immer auch gleichzeitig Sozial- und Kulturzusammenhänge sind) ein riesiges Mass an Engagement. Mann kann auch sagen: Eier. Mit Lippenbekenntnissen lässt sich der digitale “Märchenfilm der Zusammenarbeit” nicht in die Realität übersetzen. Dann kriegt man es nämlich sofort mit ner ganzen Menge Konflikt zu tun. Wie es sogar aus der Perspektive eines bestehenden Unternehmens gehen kann, habe ich hier beschrieben: http://www.theserendipitymachine.com

  14. Interessante Gedanken!
    “Sollte es nicht unser Anliegen sein neue Allianzen zu schmieden?….Sollten unsere Inhalte nicht nach Belieben, sondern nach Relevanz und gemeinsamen Nennern gewichtet werden. ….wir wollen die Welt verbessern.!
    Worte, die sich selbst denunzieren.
    Allianzen statt Komplizenschaften und Relevanz und gemeinsamer Nenner statt…der Ideologie der anderen?
    …so wieder auch nicht, aber wenn alles so geschieht, wie wir es für richtig halten, dann fühlen w i r uns doch besser, oder?
    Zuhören und Streiten lernen, wie wäre es denn damit?

  15. Bei der Linken kämpfen zwei Frauen um die politische Führung der Partei: Sarah Wagenknecht und Katja Kipping. Doch die Partei scheint beide Positionen zu brauchen um eine wirklich breite und einsatzfähige Basis zu schaffen.

    Der Spiegel schreibt über den Machtkampf im Vorfeld der Wahlen:

    “Am Ende könnte es Wagenknecht und Kipping so ergehen wie ihren Vorgängern (Gysi und Lafontaine): Sie müssen miteinander, obwohl sie nicht miteinander können.”

  16. Um Konflikte aushalten und produktiv machen zu können muss man aber eben auch Abstand im Sinne einer Urteilsenthaltung einnehmen, damit der Konflikt als solcher einen Namen bekommt. Damit meine ich, dass nur Vorurteilsfrei die verschiedenen Relationen innerhalb eines Konfliktes überhaupt sichtbar gemacht werden können. Vielleicht wäre eine Herangehensweise in Form einer husserlschen epoche eine inspirierende Möglichkeit für Analyse von Konflikten?
    Als nächster Punkt wäre noch die “Geworfenheit” Heideggers zu benennen. Zu überlegen wäre in diesem Zusammenhang jedoch, ob auch da nicht in die genaueren Strukturen des Daseins geblickt werden sollte. Wenn das Dasein an das Man gebunden ist und Heidegger ihm das Selst gegenüberstellt(jedenfalls wird dies in der Sekundärliteratur of so gesehen), so ist doch die Frage ob ein Selbst ohne das Man überhaupt möglich ist. Aber wenn dies möglich ist, ist es nur dann ein Selbst, wenn es das Gegenteil vom Man ist? Wenn dem so wäre, dann würde dies wiederum eine viel engere Bindung an das Man bedeuten als wenn das Selbst eben nicht in unbedingter Opposition zum Man sondern frei über sein Handeln entscheidet. …

  17. Möchte Kontakt zu Sabine Reißig aufnehmen. Eine Antwort wäre sehr nett.
    Beste Grüße
    Peter Reißig

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