Intensivstation fuer Fische

Meinen ersten Blick in ein Aquarium bringe ich mit schweren Polstermoebeln, likorgefuellten Minibars, abgestandenem Zigarettenqualm und toedliche Langeweile verbreitenden Gesellschaftsspielen in Verbindung. An die Fische habe ich nur wenige Erinnerungen. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Aquarium freilich schon mehr als hundert Jahre seinen Zenit ueberschritten. Die ersten Aquarien, um die Mitte des 19. Jahrhunderts von religioesen Eiferern wie Philip Henry Gosse entworfen, hatten eine voellig andere Funktion: Sie sollten die bis dahin weitgehend unbekannte und nicht so leicht zugaengliche Unterwasserwelt anschaulich machen.

Aus heutiger Sicht ist der defizitaere Kunstozean, das Aquarium, nur noch ein Kuriosum und als historisches Artefakt mit Bezuegen zur Geschichte der Meeresforschung interessant. Seine Zeit ist abgelaufen. Es offenbart das fatale Missverstaendnis, dass sich die Fauna und Flora der Ozeane auf wenigen Kubikmetern zusammenfassen und lebensecht darstellen liessen. Besonders, wenn es sich um die Salzwasservariante handelt, ist es oekologisch und energietechnisch nicht zu rechtfertigen.

Das Aquarium funktioniert wie eine Intensivstation fuer Kreaturen, die durch den Fang schwer traumatisiert sind und in der freien Natur vermutlich nicht mehr lebensfaehig. Vor ein paar Jahren ist belegt worden, dass Fische Schmerzen empfinden koennen. Der ernuechternde Raubbau an Korallen und farbenfrohen Fischen, deren Nachzucht abseits der Meere nicht oder nur unter groessten Schwierigkeiten gelingt, ist fuer jeden nachzulesen, der sich dafuer interessiert.

Die den Verkauf treibende Profitgier ist Abscheu erregend. Und Aquaristen muessen wahrlich schlichten Gemuets sein, sonst wuerden sie diese miesen Geschaefte kaum weiter anfeuern. Ihre >Fachzeitschriften<, in denen sie sich ueber Spitzfindigkeiten der Fischzucht austauschen, legen darueber Beleg ab, sie sind Dokumente gelebter und bedrueckender Engstirnigkeit. Eine Existenzberechtigung haben allenfalls noch Unterwasserarchitekturen wie sie in den letzten Jahren in den Golfstaaten entstanden sind. Dort kann man die Fische wenigstens noch in ihrer natuerlichen Umgebung beobachten, auch wenn es nur als Entertainment dargeboten wird. Aber Dokumentarfilme vermitteln einen viel besseren Einblick in die Unterwasserwelt, als es ein Aquarium oder ein Ozeanarium jemals leisten koennte! Heute wissen wir schon viel mehr und lernen immer weiter dazu, wie im empfindlichen Oekosystem Ozean alles mit allem zusammenhaengt. Noch sind sie wichtiger Nahrungslieferant und haben eine haeufig noch unterschaetzte Funktion fuer die Regulierung des Klimas. Leider muessen wir auch beobachten, dass der Mensch die Welt der Ozeane pluendert und vernichtet. Kabeljau und Thunfisch werden knapp. Es ist nicht mehr vertretbar, jeden Fisch in der Spezialitaetenabteilung zu kaufen. Ohne intakte Weltmeere waere die Erde aermer. Die Ozeanologie, verstanden als interdisziplinaere Aufgabe, die ihre Erkenntnisse wirtschaftlichen und politischen Entscheidungstraegern zur Verfuegung stellt, ist eine Kernwissenschaft. Die Rettung der Meere ist eine Kulturaufgabe der Menschheit. Ein gelaeutertes >Aquarium< waere doch eine schoene Idee: Mechanische Fische in grossen transparenten Becken, in denen gefiltertes Regenwasser gespeichert wird, bieten eine ironisch gebrochene Reminiszenz an das antiquierte Bonsai-Meer. Diese Becken geben den Raeumen eine ungewohnte Struktur und sorgen fuer gesunde Luftfeuchtigkeit. Das Eigenheim der Zukunft macht mit Hilfe von durchsichtigen Rohren die Wasserstroeme transparent und offenbart spielerisch unsere Abhaengigkeit von diesem Element und den verschwenderischen Umgang mit dem Fluidum. Dort ist auch die Trennung von Trink- und Brauchwasser durch zwei Kreislaufsysteme laengst vollzogen. Das leicht vernehmbare Plaetschern und Rauschen durch das offene Kommen und Gehen des Wassers entfaltet seine zutiefst beruhigende Wirkung, es spuelt die Seele, trennt wichtige von unwichtigen Information und ermoeglicht endlich, die Konzentration auf das, was wirklich zaehlt. Die bedrueckende Last, schoene Fische im Aquarium zu quaelen, faellt ab. Die Aquarienindustrie geht zugrunde und Therapeuten werden arbeitslos.

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