Gefängnis Schule: Wie kann innovative Sozialarbeit Schulverweigerern helfen?

Das Prinzip ist vermeintlich einfach: Geh zur Schule, mach einen guten Abschluss und du wirst nicht arbeitslos. Doch vielen Schülern und Schülerinnen in Deutschland fällt es nicht so leicht, sich in dieses System einzufügen – ein System, das für sie wie ein Gefängnis sein kann. Sie werden zu Schulverweigerern und schwänzen den Unterricht. Wie man ihnen helfen kann, das zeigt der ehemalige Lehrer Stefan Schwall am Beispiel seiner innovativen Sozialarbeit.

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In der Arbeit mit Jugendlichen während des Studiums habe ich gemerkt, dass klassische Sozialarbeit nicht meinen eigenen Ansprüchen und Ideen entspricht. Mir fiel auf, dass die Sozialarbeiter häufig sehr geringe oder sehr hohe Maßstäbe setzten. Das waren widersprüchliche oder auf die Person des Sozialarbeiters bezogene Maßstäbe und Ziele.

Insbesondere Bildung war eher unterrepräsentiert und wenn, dann nur in Form von Worthülsen: “Das Kind sollte einen Schulabschluss machen”. Es wurde aber nicht geplant, wie das genau geschehen sollte. Hier waren alle Beteiligten überfordert. Als ich dem Jugendamt ein Konzept für eine Gruppe vorlegen wollte, hieß es: “Solche Konzepte haben wir zuhauf”. Wenn ich aber eine Idee hätte, wie man Schulverweigerer wieder in die Schule bringt, dann würden sie das unterstützen.

Das interessierte mich. Dieses Thema hatte mich schon oft beschäftigt und ich wunderte mich, warum es nichts gab, das wirkte. Also gründete ich apeiros: eine Betreuungs-, Informations- und Netzwerkinstitution im Bildungsbereich, die Schulverweigerer betreut und Schulen und soziale Einrichtungen berät.

Schlupflöcher und Strategien

Von der fünften bis neunten Klasse war meine Schulzeit von dem Gefühl geprägt, dass ich mich in einem Gefängnis befinde. Schule war und ist totalitär, auch wenn es heute etwas netter verpackt wird. In der Schule habe ich wie viele junge Menschen Schlupflöcher gesucht und gefunden. Ich war aber klug genug, zu wissen, wann ich mich einsortieren sollte.

Dieses Wissen, diese Strategien, will ich meinen Schülern beibringen, und zwar über zwei Kanäle: einmal die Erfahrung, was passieren könnte, wenn sie dieses oder jenes tun oder nicht tun und die anschließende kognitive Betrachtung und Analyse dieser Situationen. Dann versuche ich ihnen die Ressourcen mitzugeben, die sie brauchen: also coole Eltern, entspannte Lehrer und klar denkende Erwachsene.

Wenn ein Kind nicht zu uns kommt, gehen wir zu dem Kind. Am Anfang verbringen wir viel Zeit im Zimmer des Kindes, spielen, surfen am PC, basteln etc. Manche Kinder muss man aber erst mal wieder einfangen. Das geschieht immer unter dem Fokus, einen echten Kontakt – und sei es auch im Konflikt – mit dem Kind aufzubauen, um dann mit ihm in einem realen Bezug arbeiten zu können.

Zur Schule gehen ist nicht einfach

Einige Kinder sind soweit unstrukturiert, dass wir sie bei uns im Institut unterrichten müssen, um ihnen erstmal wieder Strukturen zu geben. Hier lernen sie wieder Regelmäßigkeit, Wissen, Beziehungen und Sicherheit kennen. Dabei arbeiten wir nicht gegen das System. Wir sind wahrscheinlich die Einzigen, die absolut in der Systemlogik des Systems arbeiten – zumindest in der Logik, die sich das System selbst gibt und nach außen transportiert. Dadurch führen wir aber das System ad absurdum und dadurch geschieht Veränderung. Wir kompensieren nicht, sondern belasten.

Der blinde Fleck ist die Meinung von Schule, Jugendhilfe und vielen Personen in diesem Umfeld, dass es ein einfaches Prozedere sei, in die Schule zu gehen – dem ist nicht so. Es ist eine hochkomplexe Leistung, die die meisten Kinder deshalb erbringen, weil sie von klein auf unterstützt werden. Ist dies nicht der Fall oder kommen Probleme von außen oder innen hinzu, kann diese Leistung manchmal nicht erfüllt werden. Das muss man erstmal verstehen.

So besteht meine Arbeit aus einem ganzen Bündel von Maßnahmen. Viele Ansätze sind bereits in anderen Feldern erprobt worden und werden auch in der Schule umgesetzt. Das Besondere bei meiner Arbeit ist die differenzierte Diagnostik und eine Organisationsform, die darauf ausgerichtet und aufgebaut ist, die Problematik auf allen Ebenen – Kind, Familie, Schule – angemessen zu beantworten. Dieses erfordert viel Personal und eine stringente Organisationsform.

Unternehmerisches Geschick ist gefragt

Die eigentliche Herausforderung für mich, und damit unterscheide ich mich auch von anderen Anbietern in diesem Feld, ist die Lösung des Problems durch Organisation: Das heißt, wir müssen einem komplexen Problem durch eine komplexe Antwort begegnen und diese Antwort muss auf einer umfassenden Organisation fundieren. Arbeitet jeder vor sich hin, hat er keinen Erfolg. Die Annahme, ein einzelner Sozialarbeiter kann ein vielschichtiges Problem eines Menschen lösen, ist absurd.

Die unternehmerische Dimension besteht bei uns darin, dass wir im sozialen Kontext so genannte weiche Faktoren, wie Zugewandtheit und Offenheit, in die Strukturen der Organisation, der Ausstattung und der Abläufe eingebunden haben.

Anm.d.Red.: Das Foto oben stammt von DeGust und steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

5 Kommentare zu “Gefängnis Schule: Wie kann innovative Sozialarbeit Schulverweigerern helfen?

  1. “hoher Personalaufwand” – das ist der Schlüssel zum Erfolg! doch es werden immer weniger Lehrer an Schulen beschäftigt und die wenigen, die verbleiben, müssen immer mehr work load meistern…

  2. Schulverweigerer – die härteste Nuss, die es zu knacken gilt, zumindest unter Jugendlichen, also viel Respekt von meiner Seite für diese Arbeit und den Mut zur Innovation.

  3. danke! sehr ehrenwert und hellsichtig. Solche Projekte und Institute braucht die Welt. Ich würde gerne mehr erfahren: gibt es Dokumentation von den unterschiedlichen Fällen in Behandlung? Gibt es mehr Geschichten von denen wir lernen können?

  4. Hallo Stefan, deine Arbeit klingt interessant,auch ich arbeite seit vielen jahren als freie Unternehmerin in diesem Bereich, ich kann deinen Thesen nur zustimmen, vielleicht können wir uns inhaltlich austauschen. Wäre nett, wenn du dich meldest.
    Gruß
    Gesine Berendson

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