Inkubatoren in the House

Ende der Neunziger wurde ich erst Mitarbeiterin, spaeter dann Chefin eines kleinen Berliner Unternehmens der IT-Branche, dass seine Reise in die Welt des Wirtschaftens gerade erst antrat.

Zusammenarbeit: Sie funktionierte als eine Art gemeinsamen Driftens. Geregelt wurde das durch taegliche Absprachen. Man kritisierte diese Form der Koordination damals als unprofessionell. Forderungen nach Verbindlichkeit und Transparenz scheiterten jedoch am Erfolg der taeglichen Praxis. Das lag vor allem daran, dass das weitgehende Fehlen von Strukturen kompensiert wurde durch bemerkenswerte Kunden- und Ergebnisorientiertheit.

Geben und Nehmen: Das wurde zwischen Mitarbeiter und Unternehmen gewissermassen doppelt geregelt. >Gehalt gegen Arbeitszeit< wurde als Waehrung ergaenzt durch einen unausgesprochenen Deal, der Mitarbeiter zu Unternehmer-aehnlicher Verantwortlichkeit und Arbeitgeber im Gegenzug zu Verzicht auf jegliche Form der Kontrolle verpflichtete. So war es z.B. nicht moeglich, sich im Team auf Arbeitszeiten zu einigen. Andererseits war es genauso undenkbar, am Wochenende wegzufahren, wenn am Montag eine Terminfrist ins Haus stand. Diese Unternehmeskultur ist hinreichend bekannt. Wir teilten sie mit den meisten Firmen der IT-Branche: als Makel, Marktvorteil und identitaetsstiftendes Moment. Unternehmerisch betrachtet, stellte diese Art zu Arbeiten keinen eindeutigen Mehrwert gegenueber traditionellen Formen dar. Sie passte einfach besser zu den persoenlichen Interessen aller Beteiligten. Wachstum: Dieser Fetisch bohrte sich im Zuge der allgemeinen Expansionseuphorie auch in unsere Firma. Die Strategie des Wachsens bestand in dem Bestreben, durch den Verkauf von Unternehmensanteilen der Firma, Venture Capital zuzufuehren und die Menge der Mitarbeiter zu vervielfachen. Da wir unsicher waren im Umgang mit Banken und Kapitalgebern, sollten Berater - so genannte Inkubatoren - unser Wachstum formen. Die Berater sollten uns zu mehr Professionalitaet verhelfen, das Geld organisieren und sich um die Finanzen sowie >das Personal< kuemmern. Rueckblickend nimmt sich ihr Eintritt in unsere Firma wie eine kulturelle Begegnung der dritten Art aus. Zwei Welten trafen aufeinander. Waehrungsreform: Sie fand statt als die Aufmerksamkeitsverschiebung vom Kunden auf die potentiellen Investoren vollzogen wurde. Das operative Geschaeft wurde quasi von der Frage der Finanzierung und damit von der Frage des Existenzerhalts entkoppelt. Der Erfolg der Unternehmung war nicht laenger abhaengig von der Qualitaet der Produkte und der Produktivitaet der Mitarbeiter. Ab jetzt zaehlte die Qualitaet des Businessplans, die >equity story< und die Ueberzeugungskraft der Unternehmensfuehrung im Auge eines unbekannten Geldgebers. Damit geriet das bisherige Modell von Geben und Nehmen aus den Fugen. Das Engagement fuer den Kunden blieb wichtig. Jedoch verlor es fuer die Zeit der Kapitalakquise seine bisherige existentielle Bedeutung. Entwurzelung: Sie kam graduell durch Massnahmen aus dem Werkzeugkoffer des Motivations- und Personalexperten zu Stande. Von >Incentives< war die ploetzlich die Rede. Mitarbeiterbewertung und Zielvereinbarungsgespraeche sollten eingefuehrt werden. An die Stelle faktischer Macht trat Belohnung. An die Stelle von Verantwortung trat Motivation, die wiewohl bis dato im Uebermass vorhanden mit Methode hervorgebracht werden sollte. In der konkreten Umsetzung scheiterten die Personalentwicklungsversuche am allgemeinen Desinteresse. Was blieb, war die Spur eines kulturellen Unfalls. Eine diffuse Desorientierung stellte sich ein. Wir sind nicht mehr dazu gekommen, aus diesem Zustand ein neues Gleichgewicht zu entwickeln. Die Krise des Marktes wurde zu schnell auch unsere. Wie die Geschichte dieser kulturellen Begegnung ausgegangen waere, kann ich deshalb nicht sagen.

2 Kommentare zu “Inkubatoren in the House

  1. Als ehemaliger GF und Gründer der Firma, über deren Erfahrung mit Incubatoren du schreibst, möchte ich noch etwas ergänzen: Im Nachhinein hat sich herausgestellt, das besagter Incubator von Anfang an eigene Interessen in unserer Firma verfolgt hat. Hidden agenda. Sämtliche “inhaltliche” Arbeit dieses Beratungsunternehmens zielte nur auf eine Sache ab, nämlich gewinnbringend Teile unseres Unternehmens zu verkaufen und den Rest einzustampfen. Dabei waren alle Mittel recht, bis hin zur Wirtschaftskriminalität. 2007 wurde “unser” Incubator wg. Missbrauchs von Insiderinfos in einem anderen Fall zu einer empfindlichen Geldstrafe verurteilt.

  2. Hallo VM,

    Toll, dass es nach 8 Jahren eine inhaltliche Weiterführung des Artikel gibt. Ich finde es sehr spannend dass sich der Beitrag von 2003 wie aus der heutigen zeit liest. Mit dem Unterschied dass sich die Gründer von heute vor der Gründung bereits auf den Venture Capital Geber ausrichten. Mich würde sehr interessieren wie du die damalige zeit vergleichen würdest mit der jetzigen Expansionsphase und deine Erfahrungen teilen würdest. Schreib doch bei uns was darüber.

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