Immunitaetsrituale

Tierhorden, die in ein Gebiet eindringen und es wie einen Flaechenbrand verwuesten, hat die Geschichte schon oft gesehen – ob in vorchristlicher Zeit auf Neuseeland oder im 19. Jahrhundert in Kalifornien. Das erklaert allerdings noch nicht, warum diese Vorstellung einen so wichtigen Platz in unserer Kultur einnimmt.

Tiere sind in unserer Gesellschaft einer strikten Bewegungskontrolle unterworfen, Zeichen davon koennen allenthalben ausgemacht werden. Hunde muessen draussen bleiben, an der Leine gefuehrt werden, etc. Aber, dass ihnen nun auch Computerchips eingepflanzt werden, muss uns doch ein wenig stutzig machen. Haben wir da unsere Machtfantasien ueberhaupt noch im Griff?

Die Angst vor dem Kontrollverlust ist in unserer Gesellschaft sehr gross. Tiere bekommen es zu spueren, sie stellen fuer diese Angst eine favorisierte Projektionsflaeche dar. Wenn Pfauen im Tierpark in ein Wuehlmausbecken springen, grenzt das schon an Anarchie. Und wenn ein Elefantenbaby dem Zoo entflieht und durch die Stadt irrt, sind die Medien sofort zur Stelle, um den Ausnahmezustand bildtraechtig zu begleiten. Die Aufmerksamkeit des Publikums ist garantiert.

Entlaufene Tiere haben sich im kollektiven Bewusstsein als Botschafter des Untergangs eingeschrieben. Der Hollywoodfilm >12 Monkeys< waere dafuer ein Paradebeispiel: Eine aus den Fugen geratende Welt, eine Stadt, die am Rande der Apokalypse steht, ueberall Zeichen von Krieg und Verwesung, doch ein Detail bringt die Endzeitstimmung am besten zum Ausdruck: Wilde Tiere wie Elefanten und Giraffen laufen in der von Verfallserscheinungen gezeichneten Metropole frei umher. Der Kontrollwahn, dem Tiere ausgesetzt sind, kommt auch an den Landesgrenzen zum Tragen. Die Gesetzte interessieren sich fuer unsere Waren, unsere Einreisemotive, unseren Status und Gesundheitszustand - und ob wir ein Tier bei uns fuehren. Tiere sind besonderen Einreisebestimmungen unterworfen. Solche Ausschlussmechanismen spiegeln immer auch die Angst unserer Gesellschaft und konstituieren das Innen: Wer wir sind und wer die da draussen sind. Das Output der Traumfabrik, nach Kracauer Spiegel der kollektiven Psyche, zeigt, wie sehr wir uns mit solchen Themen beschaeftigen. Ein wiederkehrendes Motiv in Katastrofenfilmen ist ein Tier, das widerrechtlich in das Land eingefuehrt worden ist: Ein Aeffchen, ein Hund oder eine Katze. Diese Tiere transportieren einen Virus oder sind entfuehrte Kinder, die die Rache der Mutter Natur nach sich ziehen - das Inferno fuer die urbanisierte Zivilisation ist unabwendbar. Bei den >Simpsons< wurde all das mal auf die Schippe genommen. In der Folge >Bart gegen Australien< glaubt Bart Lisa nicht, dass in Australien das Wasser im Klo links herum ablaeuft. Er ruft dort einen Jungen per R-Gespraech an, um die Wahrheit herauszufinden. Die beiden plaudern ein bisschen und irgendwann belaeuft sich die Telefonrechnung auf 900 australische Dollar, was zu einer diplomatischen Krise zwischen den USA und Australien fuehrt. Die Simpsons muessen ans andere Ende der Welt fliegen, um sich offiziell zu entschuldigen. Doch auch dort sorgt Bart nur fuer Aerger. Er setzt eine heimische Kroete in Australien aus, die fuer eine oekologische Katastrophe sorgt: Die Kroeten vermehren sich rasend schnell und treffen auf keine natuerlichen Feinde. Schliesslich fressen sie die ganze Ernte der Australier auf. Am Ende der Folge, als die Simpsons Australien wieder verlassen muessen, sieht man einen Koalabaer, der sich ans Flugzeug gehangen hat. Er blinkert verschwoererisch mit den Augen und man weiss: In diesem Augenblick zwinkert die australische Rache fuer die Kroetenplage. Die >Simpsons< erweisen sich auch in diesem Zusammenhang als gut informierte Reflektoren ihrer Zeit. Wenn sie es schaffen, unsere Obsessionen in einer Folge auf den Punkt zu bringen, gehen sie allerdings nur zwischen den Zeilen auf Ursachen ein. Nur andeutungsweise werden Antworten auf die Fragen, die sie aufwerfen, geboten. An dieser Stelle gilt es also nochmals explizit zu fragen: Warum nimmt die Vorstellung von Tieren, die Grenzziehungen verletzen, einen so wichtigen Platz in unserer Kultur ein? Spaetestens mit dem Mauerfall sind die Grenzen zusehends durchlaessiger geworden. Allein innerhalb der EU scheint diese Entwicklung die Frage aufzuwerfen, wie Migrationsbewegungen von Tieren in der grenzenlosen Gesellschaft fortan kanalisiert werden koennen: Werden nun neue, spezifisch der Tierwelt angepasste Systeme geschaffen, um beispielsweise Wolfswanderungen im Zaum zu halten? Werden alte Grenzen umfunktioniert, um das Innen der Gesellschaft vor animalischen Invasionen zu schuetzen? Aber das Problem liegt eigentlich woanders. Es besteht darin, dass das Innen unserer Gesellschaft nun unter den Bedingungen der Grenzenlosigkeit hergestellt werden muss. Die Immunitaet des Systems muss jetzt unter ungleich poroeseren Bedingungen neu verhandelt werden. Damit der >Organismus< faehig bleibt, sich gegen von aussen eindringende schaedigende Stoffe zur Wehr zu setzen, muessen neue Antikoerper erworben werden. Fuer DIESEN symbolischen Prozess stellt der >Fremdkoerper Tier< fuer unsere Gesellschaft ein handliches Versuchsobjekt dar. Kurz, bei den kursierenden Inszenierungen von Tieren, die Grenzziehungen verletzen, handelt es sich um Immunitaetsrituale. Was als verblasener Titel fuer das juengste Kapitel in der Geschichte zivilisatorischer Tierversuche abgeheftet werden koennte, beschreibt Vorgaenge, die unser Verhaeltnis zur Natur noch weiter zu deformieren drohen. Um das abzuwenden, scheint es umso wichtiger, dass der Kulturaustausch mit den Vertretern des Tierreichs intensiviert wird.

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