Im Netz der Literatur

Der deutsche Buchmarkt ist – allen Unkenrufen zum Trotz, dass es mit der Lesekultur hierzulande immer mehr bergab gehe – nach wie vor extrem vielseitig. Zu dieser Vielseitigkeit tragen in hohem Masse Buecher bei, die aus nahezu allen Literaturen der Welt ihren Weg zu deutschen Lesern finden. Insbesondere im Bereich der Belletristik spielt die uebersetzte Literatur eine enorme Rolle: Zuletzt hatte sie einen Anteil von ueber 20 Prozent an den neuen Titeln.

Besonders viele von ihnen stammen aus dem angelsaechsischen Sprachraum. Hier ist das Ungleichgewicht zwischen >importierten< und >exportierten< Titeln besonders eklatant: Den 1.100 belletristischen Titeln, die vergangenes Jahr aus dem Englischen ins Deutsche uebertragen wurden, stehen lediglich 35 Titel gegenueber, die vom Deutschen ins Englische uebersetzt wurden. Man kann hier also in puncto Literaturaustausch ohne zu uebertreiben von einer Einbahnstrasse sprechen! Mit weitem Abstand folgen literarische Uebersetzungen aus dem Spanischen, Franzoesischen, Italienischen und Schwedischen. Letzteres ist eine noch relativ junge Entwicklung, scherzhaft Mankell-Effekt genannt, in Anspielung auf den regelrechten Boom skandinavischer Literatur im Ausland, der mit Henning Mankells Krimis begonnen hat. Aber nicht nur in der Belletristik, sondern auch im Kinder- und Jugendbuchbereich spielen Uebersetzungen mit ueber 17 Prozent bei den Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt eine grosse Rolle. Dazu kommt, dass in der Verlagswelt - wie in anderen Wirtschaftszweigen auch - seit Jahren ein enormer Beschleunigungseffekt zu beobachten ist: Erfolge muessen immer schneller erzielt werden, einzelne Titel verschwinden oft schon nach kurzer Zeit wieder aus dem Programm. Das hat auch zur Folge, dass Buecher, die bereits seit mehreren Jahren auf dem heimischen Markt sind, nur noch selten in andere Sprachen uebersetzt werden. Deshalb ist es in diesem immer schnelllebigeren Geschaeft wichtig, Neuerscheinungen auch im Ausland moeglichst zeitnah zu vermitteln. Und da so wenig Menschen auf der Welt Deutsch koennen, sollte auch das am Besten wieder auf Englisch passieren und zwar im Internet als dem einzigen Medium, das ueberall auf der Welt und zu jeder Zeit genutzt werden kann… Ausgehend von diesen Beobachtungen habe ich im Auftrag der Kulturstiftung des Bundes im Jahr 2003 ein Projekt zur internationalen Vermittlung deutschsprachiger Gegenwartsliteratur entwickelt. Bis dahin habe ich an der Uni gearbeitet, zuletzt als wissenschaftliche Assistentin am Institut fuer Neuere deutsche Literatur und Medien in Kiel, so dass das mein erster, aber folgenreicher Ausflug in die Welt ausserhalb der akademischen vier Waende war: Denn aus diesen Ueberlegungen ist das Projekt Litrix.de - German Literature Online entstanden, das ich inzwischen leite. Zusammen mit zwei Kolleginnen arbeite ich seit Juli 2003 in der Zentrale des Goethe-Instituts, des Projekttraegers, in Muenchen, von wo aus wir unsere Website mit neuen Buechern und Artikeln zur deutschen Gegenwartsliteratur bestuecken. Diese praxisorientierte, international ausgerichtete Form der Literaturvermittlung ist eine ungeheuer spannende Aufgabe, die fuer mich so etwas wie die gegenwartsbezogene Umsetzung meiner Dissertation ueber transkulturelle Literaturkonzepte im 18. Jahrhundert darstellt, denn nach wie vor habe ich es mit dem spannenden Thema >Literatur zwischen den Kulturen und Sprachen< zu tun. Auf unserer Website stellen wir jeden Monat neue Romane, Sachbuecher und Kinder- und Jugendbuecher auf deutsch, englisch, arabisch und chinesisch mit ausfuehrlichen Besprechungen, Auszuegen aus den Originaltexten sowie Probeuebersetzungen und allen wichtigen Informationen zu den Autoren und ihren bisherigen Veroeffentlichungen vor. Auf diese Weise koennen auch Leser ausserhalb Deutschlands mitverfolgen, was sich in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gerade tut und die entscheidenden Fachleute wie Verleger, Lektoren und Uebersetzer hoffentlich das ein oder andere Buch entdecken, das fuer die Uebersetzung interessant sein koennte. Dass wir die Buecher und Autoren ausser auf englisch auch in den beiden >exotischen< Sprachen Arabisch und Chinesisch vorstellen, haengt damit zusammen, dass Litrix.de noch sehr viel mehr ist als das, was im Internet zu finden ist: Wir bieten zusaetzlich ein eigenes Uebersetzungsfoerderungsprogramm fuer Laender und Sprachen an, in die Buecher aus dem in jeder Hinsicht fernen Deutschland von allein nicht so leicht ihren Weg finden. Das war in den ersten beiden Jahren die arabische Welt, wo auch schon die ersten zehn unserer Buecher auf Arabisch erschienen sind. Jetzt ist China unser Schwerpunktland. Das bedeutet auch, dass wir aktuelle deutschsprachige Buecher dort nicht nur >virtuell< ueber das Internet vermitteln, sondern auch etwas fuer eine lebendige Literaturvermittlung tun, indem wir unter anderem Workshops fuer Nachwuchsuebersetzer anbieten. Denn die Uebersetzer sind es ja, die mit ihrer sprachlichen Vermittlungsarbeit die Voraussetzung dafuer schaffen, dass so etwas wie interkultureller Austausch via Literatur ueberhaupt stattfinden kann. Ausserdem laden wir wichtige deutsche Autoren zu Lesereisen in das jeweilige Schwerpunktland ein. So waren wir u. a. mit Uwe Timm und Navid Kermani in Kairo und Beirut und mit Wilhelm Genazino und Antje Ravic Strubel in Peking und Shanghai. Inzwischen ist ein gut funktionierendes Netzwerk zwischen der deutschen und der internationalen Literatur- und Verlagsszene entstanden, so dass Buecher und Ideen leichter als bisher zwischen den unterschiedlichsten Sprach- und Kulturraeumen hin und her wandern koennen. Und so werden wir bei Litrix auch weiterhin vergnuegt daran arbeiten zu zeigen, dass die aktuelle deutschsprachige Literatur sowohl on- als auch offline absolut entdeckenswert ist!

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