Im Fluss mit Flusser

Vilem Flusser hat es geahnt: Die Schrift hat ihre besten Tage hinter sich. Sie wird nicht das vorherrschende Medium der Gesellschaft bleiben oder ist es vielleicht schon gar nicht mehr. Die Schrift, die Arme, ist einfach zu sehr der Linearitaet verpflichtet. Alles will sie aufreihen, alles zwaengt sie in eine vorherbestimmte Sequenz. Und das reicht ihr nicht.

Zutiefst hat sie unsere Vorstellung von Zeit gepraegt: die Geschichte als eine Gerade hat sie erst erfunden. Gerde noetigt sie euch und mich von links nach rechts zu schauen. Unermuedlich zaehlt, ordnet und zwingt sie die Welt in Zeilen. Das konnte nicht gut gehen.

Die naechste Gesellschaft ist eine der Flaechen und Farben. Die neuen, technisch erzeugten Bilder und Bildschirme brechen mit der alten Linearitaet, ja entlarven sie als blosse Vermittlungen. Zu Flussers Zeiten [1978] haetten wir das noch fuerchten muessen, denn gemeint war das Senden der Massenmedien, das nur eine Richtung kennt. Flusser hat damals zurecht bemerkt, dass Informationen ueber solche Einbahnstrassen zwar fliessen koennen, dass sie so aber nicht prozessiert oder bearbeitet, nicht kulturell gespeichert werden koennen. Das Internet hat das geaendert.

Der Preis fuer diesen Wechsel ist nicht niedrig: Aufgeben muessen wir den Glauben an eine lineare Erklaerbarkeit der Welt und stattdessen vorlieb nehmen mit Modellen und Theorien. Die Welt hoert auf, sich als etwas Lesbares zu praesentieren. Fuer eine Archivierung ist sie zu fluessig geworden. Das Netz des Internet spiegelt das wohl am besten wieder. Deshalb ist es auch komisch, wenn die Deutsche Nationalbibliothek meint, sinnvoll das Internet archivieren zu koennen. Haben die in ihrem Archiv nicht auch Vilem Flusser? Und: Wenn noch ein Archiv moeglich ist, kann dann nicht nur das Internet selbst dieses neue Archiv sein?

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