Im Entdecker-Modus

Wie Sie wissen, hat die Berliner Gazette jeden Monat einen Themenschwerpunkt. In der Betreffzeile der woechentlichen E-Mail ist das jeweilige Motto in eckigen Klammern untergebracht: [Wallraff], [es], [Krieg] – um nur einige der beliebteren genannt zu haben.

Waehrend ich ueber den Titel des Monats August nachdenke, muss ich mich an mein altes >Was ist Was< Buch ueber >Entdecker< erinnern, das vor gut 20 Jahren zu meinen Lieblings-buechern gehoerte. Auf dessen Cover war ein Entdecker zu sehen, ein stilisiertes Typenportrait von Magellan & Co. In der Reflektionspose, Pfeife im Mund, blickte er auf sein Produkt: die Weltkarte. Eine Diskrepanz liegt in dieser Kombination verborgen, die mir erst spaeter klar wurde. Als die Erde Ende des 19. Jahrhunderts laengst vermessen war, kursierten zum Beispiel in Japan noch immer vollkommen verklae-rende Weltkarten. Die Kontinente waren nur grob in ihren konkre-ten Ausmassen dargestellt. Anstatt Landesgrenzen waren Daemonen- und Tierbilder als Stellvertreter der Nationen und Voelker zu sehen. Feindbilder, die die japanische Bevoelkerung in Unkenntnis setzen und einschuechtern sollten. Kurz: Zwischen dem Entdecker und seinem Forschungsergebnis war schon immer Mittler. Weltkarten waren schon immer eine Frage des Wissens- und Wahrnehmungsmanagements. Diese Tatsache hat sich heute, in der dritten Globalisierungs-phase, zugespitzt. Schliesslich ist diese Phase im Vergleich zu den vorangegangenen durch die schnelle und breitflaechige Verbreitung von Informationen gekennzeichnet. Raeume werden duch Massenmedien erschlossen und temporaer aufgeladen: Aufstand in Ruanda, Flugzeugabsturz in Sibirien, Seeroben-sterben in Alaska. Dadurch entsteht eine Weltkarte, die sich zusammensetzt aus uebereinander- gelagerten Landkarten der Bedeutung. Bedeutungen, die allerdings nichts mehr mit den herkoemmlichen Kategorien aus unserem Schulatlas gemein haben: Politik, Geologie, Klima, Bevoelkerungszahl, Industrie, etc. Die neue Chemie der karthographischen Elementarteilchen: Offizielle und inoffizielle Symbole des Nationalstaates, als bi-polare Entladungen des Lokalen sowie Globalen. Der Kontext dieser Legende: Tourismusindustrie, mittlerweile eigentlich von dem Zusammenschluss der Kriegs- mit der Unterhaltungsindustrie abgeloest worden. Denn die Kriegsgebiete, in die es das US-Militaer seit 1960 zieht, sind fuer die konventionelle Tourismus-branche zwar zu ungezaehmt und roh, fuer den im Entdecker-Modus suspendierten Blick aber gerade noch jungfraeulich genug. Da reibt sich nicht nur CNN-Gruender Ted Turner die Haende. Auch die Unterhaltungs-Industrie hat angebissen: Themenpark-Entwuerfe der Londoner Consulting-Firma Pearfisher zeigen den Erdball aus der weltraumgestuetzten Vogelperspektive mit einer als Sonderzone hervorgehobenen Insel, auf der zu Wochenend-Kriegsspielen eingeladen wird. >Virgin Territory< ist der Titel des Themenparks, laesst sich aber auch als Symptombezeichnung lesen. Was heute Subkultur ist, regiert morgen die Welt: Survival-Tourismus. Eigentlich haetten wir den Monat also auch nach Schwarzkopf oder Rumsfeld benennen koennen. Denn wer heute in die virtuellen Fussstapfen von Ferdinand Magellan tritt, jenem Seefahrer also, der im 16. Jahrhundert u.a. die Lazarusinseln [Philippinen] entdeckte, muss danach fragen, wie stark unsere staedtische Fernwehpraxis und unser entlegener Urlaubsalltag von militaer-medialen Metaphern strukturiert wird. Was liegt also naeher, als zurueck- zublicken, in die eigene Jugend, als man im urbanen Dschungel >Raeuber und Gendarm< zu spielen und Ausruestung von A wie Armbrust bis Z wie Zelt Playmobil und Lego zu ersetzen begann. Als man anfing >Tim und Struppi< zu leben, sich von >Die fuenf Freunde< und >TKKG< inspirieren liess. Und hatten nicht auch >Hanni und Nanni< Abenteuer durchzustehen, die lebensgefaehrlich waren? Man fuhr in Zeltlager, musste Mutproben bestehen, wollte leerstehende Fabrikanlagen und verlassene Hafenareale erkunden. Bevor man reif war fuer das Ausland, machte man Badeurlaub an der Nord- oder Ostsee, also an dem mythischen Ankunftsort der Entdeckerschiffe: dem Strand. Nichts blieb unerforscht. Das Survival-Messer mit integriertem Kompass hatte man fest in der Hand. Doch wussten wir damals nicht, dass eine mit Badeurlaub synonym gewordene Serie wie >Eis am Stiel< in Israel entstanden war. >The Lemon Popsicle<, wie sie im Orginal heisst, wurde Ende der 70er von Boaz Davidson und Eli Tavor ersonnen und erzaehlte in der darauffolgenden Dekade in mehr als acht Folgen die Geschichte von drei Teenagern, die waehrend der 50er Jahre am Strand von Israels Hauptstadt leben: Tel Aviv, jenes urbane Symbol eines Siedlerstroms, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzte, dessen Konsequenzen in den letzten Monaten immer blutiger zu Tage treten. Selbst am Strand herrscht dort ein schier nicht enden wollender Kriegszustand. Was fuer ein verstoerender Subtext fuer eine Teenager-Serie! Dass es sich lohnt unsere 80er auch in dieser Hinsicht erneut aufzurollen, liegt auf der Hand. Mehr wird an dieser Stelle ueber das Titelthema der Berliner Gazette in diesem Monat allerdings nicht verraten. Bleiben Sie dran!

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