Im Bannkreis der Tracht

Die europaeische >Tracht< gilt als Inbegriff von laendlicher Authentizitaet und Lebenskultur. Waehrend neuere Ansaetze in der wissenschaftlichen Volkskunde sich davon zunehmend distanzieren und eher von einer >kreierten Identitaet< ausgehen, kann noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein in ethnologischen Lehrbuechern die Tracht als Ausdruck eines beinahe magischen Weltbildes gelesen werden.

Alle >echte< Tracht haelt sich demnach nur dort, wo der Zusammenhang mit der Natur und ein gewisses mythisches, religioeses und traditionelles Weltbild noch existieren, wie beim Bauern, Fischer, Jaeger und Bergmann. Ist die Tracht einem Wandel unterworfen, bildet dieser eine eher kreisartige Entwicklung. Das Urmotiv des Kreises ist die Ruhe, wodurch die Tracht im Gegensatz zur >Mode< eine enge Verbundenheit zu ihrer jeweiligen Tradition herstellt. Innerhalb dieses Kreises koennen sich Veraenderungen in den Trachten der Hochkulturen - wie der europaeischen - nur aufgrund von friedlichen Durchdringungen durch andere Kulturen vollziehen. Eine bewusste Aenderung hingegen nur durch eine Gruppe oder eine Persoenlichkeit. Im Gegensatz zum bleibenden Charakter der Tracht, ist die Mode wiederum mit schnellem Wandel verbunden und in ihrem Wesen durch folgendes gekennzeichnet: Das Werdende, das Neue, das noch Unbestimmte, das in seinem ewigen Wandel nie Erfuellung erreicht. Will der Mensch im Fluss der Zeit das Stete, so waehlt er die Tracht. Im europaeischen Raum treffen zwei Lebensweisen aufeinander: der strebende faustische Mensch, der nach Ferne, Veraenderung und Machtgewinn ueber die Natur sucht, sowie der Mensch, der die Stetigkeit bevorzugt, den Gang der Jahreszeiten, die Gleichheit des Bodens. Beide wirken sich in der Kleidung aus. Trachten wurden lange Zeit im Zusammenhang gesetzt mit dem beharrenden Menschentyp, mit Braeuchen und Erzaehlungen in einem laendlichen sowie irgendwie gebirgigen Raum, innerhalb dessen die tiefe mythische Verbundenheit einer Kultur mit Natur und Religion bewahrt blieb. Bewahrt, denn die Ueberlieferung alter Sitten und Gebraeuche, die in den Trachten ihren Ausdruck fanden, sahen manche Volkskundler in Europa Mitte der 1960er Jahre bedroht von den zerstoererischen Werten der modernen Kultur und dem >rationalistischen Geist< der Mode. Durch Schule, Rundfunk, Fernsehen und Kino fand das Moderne auch auf dem Lande Verbreitung. Kinder lauschten dort nicht mehr nur den >Erzaehlungen aelterer Leute<. Sie mussten auch durch die Nachrichten aus der ganzen Welt erfahren, dass ihre Heimat nur ein kleiner Teil einer groesseren Gemeinschaft ist. Der kleine Kreis, der durch Sitten und Trachten zu einer Gruppe von Gleichen zusammengeschmelzt worden war, wurde im Zuge dessen nach und nach aufgebrochen. Die auf jene Veraenderungen folgende >Trachtenerneuerungsbewegungen< wurden als ein Versuch gewertet, die alten Wurzeln einem neuen Rahmen anzupassen. Dass das Provinzielle rueckstandig sei und sich an das Staedtisch-Avantgardistische anpasse, dass das Laendliche zum Urbanen sich hin bewege, und weiter das Lokale zum Globalen hin, sind heute verbreitete Annahmen. Annahmen, die nicht zuletzt durch eine Sonderausstellung im Grazer Landesmuseum Joanneum in ein neues Licht gestellt worden sind. Entgegen der Auffassung, dass nur dasjenige als >echte< und >bodenstaendige< Tracht gilt, was Ergebnis einer kontinuierlichen und anonymen Entwicklung der Kleidergewohnheiten in der laendlichen Bevoelkerung ist, kann das Entstehen eines regionalen Trachtenbewusstseins im Grazer Land auf die Wirkung des steiermaerkischen Erzherzogs Johann im 19. Jahrhundert zurueckgefuehrt werden. Ziel war es, die Tracht im staedtischen Raum, d.h. am Hofe und zum Anlass oeffentlicher Ereignisse, aufrechtzuerhalten. Die professionelle Erforschung, Pflege und Erneuerung der Trachten setzte dann durch buergerliche Kreise im Grazer Stadtraum im 20. Jahrhundert ein und besteht bis heute fort. Als Resultat entstanden neue Trachtenformen, die von oeffentlichen Stellen gelenkt und von der wissenschaftlichen Volkskunde unterstuetzt wurden. Dazu wurden Prototypen sowie Richtlinien und >Echtheitskriterien< erarbeitet, die das Bild der damals und heute als >echt< geltenden Trachten bestimmen. Diese Differenzierungen zwischen >echt< und >unecht< stammen erst aus der Trachtenerneuerungsbewegung des vorigen Jahrhunderts und waren davor unueblich und unbekannt. Wie die Grazer Ausstellung verdeutlichte, herrschte unter Laien und Volkskundlern in der Steiermark die Vorstellung, die Tracht sei Resultat einer alten unveraenderten Ueberlieferung und befinde sich im Aussterben und von aktuellen Modetrends durchsetzt. Tatsaechlich aber war es das laendliche Desinteresse, dem staedtisch-intellektuelle Kreise ihr Interesse fuer Pflege- und Erneuerungsbewegungen der Trachtenmode entgegensetzten. Aehnliches kann man heute wieder beobachten, beispielsweise im Zusammenruecken der Laender Europas. Durch die Erweiterung der europaeischen Union werden nationale, regionale, soziale und religioese Bindungen neu geordnet und damit Gemeinschaften, die >trachtenbildend< wirken. In dieser Neuordnung wird auch auf Altes und Gewohntes zurueckgegriffen, das zum scheinbar Wahren einer Kultur geworden ist. Ebenso wie in der steiermaerkischen Trachtenerneuerung beschrieben, ist seit einiger Zeit das >Provinzielle< wieder angesagt und umworben, worunter in einem globalen Zusammenhang mehr und mehr auch das >Nationale< faellt. Der als >avantgardistisch< bezeichnete Modedesigner Bernhard Wilhelm etwa holt deutsches Brauchtum nach Paris und zeigt Schwarzwaelder Trachten auf dem Laufsteg der Moderne. Wilhelms Trachten dienen nicht mehr als realer Marker und Beweis fuer die Authentizitaet einer Kultur. Sie ist endgueltig Zitat >kreierter< Identitaet, die sich im Nahen und Fernen gleichzeitig, d.h. >glokal< verortet.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.